Deutscher EM-Kader Warum Marco Reus nicht zur EM darf

Ascona · Schon wieder trifft es Marco Reus. Wie schon vor zwei Jahren verhindert eine Verletzung die Teilnahme des Dortmunders an einem großen Turnier. Die Nachricht war die große Überraschung bei Löws EM-Kadernominierung.

Natürlich fällt es Joachim Löw nicht leicht, Menschen zu enttäuschen. Berufsbedingt bleibt ihm jedoch nichts anderes übrig, als im Zweijahresrhythmus einen rituellen Akt der Grausamkeit zu begehen. Seine Aufgabe als Bundestrainer beinhaltet eben nicht nur das Aufstellen einer Mannschaft, die im Laufe eines Turniers nach seiner Ansicht die besten Erfolgsaussichten bietet. Zu seinen Aufgaben gehört es natürlich auch, einigen Spielern ihre Ausmusterung vor dem großen Auftritt mitzuteilen.

Als Podium hat der Großmeister dieses Rituals am Dienstag das Podium des Pressezeltes in Ascona gewählt, um seine für die Bettroffenen unerfreuliche Botschaft unters Volk zu streuen. Wem also verweigerte der Bundestrainer die Berechtigung für die EM-Teilnahme? Kurz und knapp und bestimmt benannte er jene vier Spieler, bei denen er den Rotstift angesetzt hatte. Julian Brandt: war zu erwarten. Karim Bellarabi, ebenfalls aus Leverkusen: ist angeschlagen. Sebastian Rudy: hatte sich nicht angedeutet. Und, Trommelwirbel, Marco Reus: bumms, das saß!

Marco Reus. Schon wieder er. Wie schon vor der WM in Brasilien vor zwei Jahren verhindert eine Verletzung die Teilnahme des Dortmunders an einem großen Turnier. Dieses Mal plagt er sich mit Adduktoren- und Schambeinbeschwerden. Die traurige Nachricht erhielt der Offensivmann ausgerechnet an seinem 27. Geburtstag. Die Feier dürfte nun wohl ebenso ins Wasser fallen wie die zweite Hälfte im Spiel der Nationalmannschaft gegen die Slowakei. Während sich Löw bei den drei übrigen Streichkandidaten die Gründe für seinen Verzicht sparte, lieferte er bei Reus eine Erklärung mit - eine logische, die keinen Widerspruch duldete. Die Ärzte, meinte der 56-Jährige, seien skeptisch, dass er voll belastbar sei. Und: "Das ist bitter für ihn und bitter für uns. Er wäre eine enorme Bereicherung."

Nationalmannschaftskollege Sami Khedira konkretisierte die Leiden des jungen Reus'. Er sagte: "Marco kann im Moment gerade mal geradeaus laufen, da muss man eben sehen, ob es Sinn ergibt." Bei ihm fehle einiges, um eine EM spielen zu können. Aber: "Marco hat es sehr gefasst aufgenommen." Ob das auch bei zwei weiteren Versehrten der Fall gewesen wäre, ist hingegen mehr als zweifelhaft. Bastian Schweinsteiger und Mats Hummels gehören zur Reisegruppe nach Frankreich. Sie werden dabei sein, weil Löw die Erfahrung gesammelt hat, dass er sich einen Achsenbruch nicht leisten kann. Nur mit einem erbrobten "Skelett der Mannschaft", so drückt es Löw aus, kann er den vierten EM-Titel nach Deutschland holen. Davon ist er überzeugt.

Zu diesem Gerippe gehören neben Manuel Neuer, Jerome Boateng, Toni Kroos, Sami Khedira, Mesut Özil und Thomas Müller eben Hummels und Schweinsteiger. "Basti", stellte der Bundesttrainer dann auch klar, "ist voll belastbar." Gestern sollte er ins Mannschaftstraining einsteigen. Bei Hummels (Wadenprobleme) "dauert es noch etwas". Aber es wird schon, hätte er getrost hinzufügen können. Beiden traut Löw zu, im Laufe der EM eine prägende Rolle zu spielen. Die Methode des Jobsharings hat sich dabei bewährt. Da auch auf den ständig maladen Khedira nicht uneingeschränkt Verlass ist, liegt für Löw eine mögliche Aufgabenteilung nahe. Auch und vor allem bei der WM in Brasilien hat es funktioniert, als sich Schweinsteiger in Abwesenheit des verletzten Khedira im Finale gegen Argentinien zu einer heroischen Leistung aufschwang.

Nun ist es natürlich ausgeschlossen, dass alle Spieler des aktuellen Kaders in den Genuss eines Einsatzes in einem möglichen EM-Endspiel kommen. Doch gerade bei diesem Turnier bieten sich, glaubt man den Ausführungen Löws, selbst für Spieler Nummer 23 im Kader durchaus Spielgelegenheiten. In diesen Tagen spricht der Trainer gerne davon, bei der EM zwei Mannschaften zu brauchen. In der Vorrunde erwartet er defensive Gegner, die boshaft darauf bedacht sind, das deutsche Spiel zu zerstören. Ab dem Viertelfinale rechnet er damit, dass die Gegner selber Spaß am Fußballspielen entwickeln. Und zumindest in der ersten Hälfte, meint Löw, benötige er Spieler, die im höchsten Tempo auf engem Raum auch mal die "Eins-gegen-eins-Situationen" meistern. Deshalb zählt auch der Schalker Leroy Sané zum Aufgebot, von dem Ritualmeister Löw jüngst auffällig oft schwärmte.

Die beiden anderen Jungstars, den Münchner Joshua Kimmich und den Dortmunder Julian Weigl, erwähnte Löw gestern beiläufig. Er sagte wie selbstverständlich: "Sie sind dabei." Ihre Stärken wie das Finden technischer Lösungen auf engem Raum, Laufvermögen und Übersicht könnten durchaus schon im Nachbarland zum Tragen kommen. Eins wollte Löw zum Schluss dann doch nicht unerwähnt lassen, was seine Kaderzusammenstellung betrifft: Es sei keinen Entscheidung gegen Spieler, sondern "für die 23, die dabei sind." Trösten wird das Marco Reus an seinem bitteren Geburtstag wohl kaum.

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