Nationalmannschaft Schweinsteiger - Ein Held im Hintergrund

Évian-les-Bains · Mit Beginn der K.o- Runde der Europameisterschaft bietet sich Bastian Schweinsteiger als Option für die deutsche Startelf an. Spieler genießen freien Tag.

 Bastian Schweinsteiger kämpft für seine EM-Einsätze.

Bastian Schweinsteiger kämpft für seine EM-Einsätze.

Foto: Arne Dedert

Selbst an ihrem freien Tag konnten die besten Fußballer des Landes den Ball nicht einfach mal Ball sein lassen. Mehr noch: Sie feilten unter der brennenden Sonne am Genfer See an der Taktik, probten Spielzüge ein im Zwei-gegen-zwei auf kleinem Feld: Abwehr gegen Angriff. Die Defensivkünstler Mats Hummels und Jonas Hector gegen die geballte Offensive um Mario Götze und Thomas Müller. Schweißtreibend war die Übungseinheit auf jeden Fall, und mit ihren blanken Oberkörpern riskierten sie einen Sonnenbrand. Was Joachim Löw aber noch weniger amüsiert haben dürfte, war der Untergrund, auf dem seine Spieler mit Tempo, Technik und Taktik zu Werke gingen: Er war aus Beton. Deshalb war es ganz gut, dass sie den Ball nicht mit ihren Füßen malträtieren mussten und auf Grätschen verzichteten. Das ist eben beim Basketball nicht nötig - und erst recht nicht erlaubt.

Basketball in der Freizeit

Hummels, Hector und Co. nutzten also die Freizeit für ein ordentliches Korbspielchen. Und die Verletzungsgefahr auf diesem Betonboden? Löws Assistent Marcus Sorg fand gestern beschwichtigende Worte. Er sagte: "Es war ja eher ein Stehen und Werfen." Mehr nicht. Und überhaupt, Vorgaben an die Spieler gebe es nicht, wie sie ihren freien Tag zu nutzen hätten. Das Vertrauen in die Eigenverantwortung der Spieler, wollte er damit andeuten, ist also vorhanden.

Was Bastian Schweinsteiger am Donnerstag so anstellte, ist nicht bekannt. Zumindest nicht alles. Gut möglich, dass er Hochzeitsvorkehrungen getroffen, vielleicht einige Einladungen verschickt hat. Und es ist nicht auszuschließen, dass seine künftige Angetraute Ana Ivanovic, die Tennisspielerin, ihn dabei unterstützte in seinem Zimmer im Hotel "Ermitage". Aber wer weiß das schon? Gesichtet wurde er allerdings am Ufer des Sees - an der Seite Jerome Boatengs - mit einem Eis in der Hand. Ein Kurzauftritt im Kurort.

Dass er sich der Streetballer-Gruppe seiner Mitspieler angeschlossen hätte, war ohnehin nahezu ausgeschlossen. Denn dieser unnachgiebige Boden wäre Gift für Schweinsteiger, der sich nach seinen beiden Knieblessuren gerade erst wieder herangepirscht hat an die Mannschaft. Auf leisen Pfoten, wenn man so will. Denn der Mittelfeldstratege von Manchester United hatte sich rar gemacht zuletzt in Évian-les-Bains. Der Genfer See schien ihn verschluckt zu haben. Untergetaucht. Unnahbar. Unerreichbar.

Dabei ließ es sich so gut an im Trainingslager in Ascona. Er wirkte, als könne ihm die Verletzungen nichts anhaben, selbstbewusst, befreit. Ganz anders als zwei Jahre zuvor in Brasilien. Dort hatte er sich nach einer Verletzung ebenfalls herangekämpft, schottete sich aber ab. Außerhalb des kleinen, uneinnehmbaren Campo Bahia sah man ihn ebenso selten wie auf Pressekonferenzen. Jetzt gleichen sich die Bilder. Keine Frage, Hochzeitsvorkehrungen benötigen ihre Zeit. Als Klassensprecher versteht sich der deutsche Kapitän aber ohnehin nicht.

Die Mannschaft stehe an erster Stelle, nicht eine einzelne Person, betonte er in der Schweiz. Er versuche, die Erfahrung, die "ich habe, besonders den jungen Spielern mitzugeben". Der nach dem WM-Finale in Rio in den Stande eines Unantastbaren erhobenen Bayer verrichtet seine Führungsarbeit bevorzugt im Verborgenen - ein Held im Hintergrund. Natürlich hat er nichts gegen die große Bühne einzuwenden. Gerade dann nicht, wenn der Boden nicht aus Beton, sondern aus Rasen ist. Dann genießt er seine Auftritte, gerne mit der Binde am Arm, als Lenker und Leitfigur auf dem Platz.

Nun ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich der Mann, der seinen Spitznamen "Schweini" so sehr schätzt wie eine Wurzel-OP, bald wieder häufiger zu Wort meldet. Denn die Chance auf einen Einsatz im Achtelfinale gegen die Slowakei am Sonntag (18 Uhr, ZDF) ist so gering nicht. Selbst wenn die Zweifel an einem turniergerechten Fitnesszustand des bald 32-Jährigen noch nicht ganz ausgeräumt sind und die Frage lautet: Schafft er eine Drehung um 180 Grad, ohne dabei sieben Zwischenschritte machen zu müssen?

15 EM-Einsätze sind deutscher Rekord

Auf zwei (Kurz)einsätze als Einwechselspieler und einen Treffer kann er in seinem Bewerbungsschreiben an den Bundestrainer immerhin verweisen. Nun könnte Schweinsteigers Zeit anbrechen. Die K.o.-Spiele bieten eine geeignete Plattform für einen wie ihn, der erprobt ist in großen Kämpfen. Seine 15 EM-Einsätze bedeuten deutschen Rekord. Vieles deutet daraufhin, dass es zu einer Art Jobsharing kommen könnte wie bei der WM in Brasilien. Bedeutet: Sami Khedira raus, Schweinsteiger rein. Denn auch der frühere Stuttgarter könnte ganze Bulletins schreiben über seine Verletzungen. Er hat sich ebenso mühsam zurückkämpfen müssen an, besser: in das Team. Bislang aber wurde seine wirkliche Klasse nicht vollständig sichtbar. Eine Pause für Khedira wie bei der WM vor zwei Jahren wäre vielleicht sogar hilfreich. Und beide Verletzungsexperten Seite an Seite? Dieses Riskio wird Löw wohl gegen die Slowakei nicht eingehen.

Dass Schweinsteiger jedoch eine Option für die erste Elf ist, klang in den Worten der beiden deutschen Co-Trainer durch. Er sei gut in Schuss, sagte Thomas Schneider. Von Spiel zu Spiel, von Training zu Training präsentiere sich Schweinsteiger „besser", „stabiler" und „spielfreudiger", ergänzte Kollege Sorg. „Er kommt langsam an das Niveau, dass er uns von Anfang an helfen kann."

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