Mittelfeldstratege Toni Kroos Magnetischer Mittelpunkt

Évian-les-Bains · Toni Kroos gibt dem deutschen Spiel die Form und gilt als prägende Figur. Vor dem Viertelfinale gegen Italien am Samstag fürchtet sich der Mittelfeldstratege nicht.

 Mittelfeldstratege Toni Kroos.

Mittelfeldstratege Toni Kroos.

Foto: Laurent Dubrule

Oliver Bierhoff versuchte es mit gespielter Entrüstung. Er habe sich seinen Kaffee selber holen müssen, sagte er und musste dann doch schmunzeln. Natürlich war der Nationalmannschaftsmanager auch nicht davon ausgegangen, dass er am Donnerstag, an diesem für ihn besonderen Tag, besonders hofiert werden würde.

Denn schließlich ist es ja schon 20 Jahre her, dass er mit seinem Golden Goal im Finale gegen Tschechien den bislang letzten EM-Titelgewinn einer deutschen Mannschaft sicherstellte. Bierhoff meinte jedoch, er würde nicht den Fehler machen, es den jungen Spielern zu erzählen, denn "es ist Zeit, eine neue Geschichte zu schreiben".

Für Leroy Sané ist die Zeit bei dieser EM allerdings bislang noch nicht gekommen. Der Schalker stand in Frankreich noch nicht eine Minute auf dem Platz. Bierhoff fiel dennoch auf, als er so in seinen Erinnerungen an die EM vor 20 Jahre in England kramte, dass Sané immerhin schon auf der Welt war, als der tschechische Torwart Petr Kouba in der 95. Minute des Endspiels von 1996 den Ball nach seinem Schuss durch die Finger flutschen ließ. Sané, im Januar geboren, war damals gerade wenige Monate alt.

Prägende Figur im deutschen Spiel

Dass Toni Kroos mehr von Bierhoff und der EM mitbekommen hat, ist hingegen wahrscheinlich. Er war seinerzeit immerhin schon sechs. Und anders als Sané ist er schon eine prägende Figur im deutschen Spiel. Auch bei diese EM. Über seine vier Auftritte hinweg erreichten nicht weniger als 92,3 Prozent seiner Pässe einen Mitspieler. Dass Deutschland bei diesem Turnier in Frankreich auf die höchste Ballbesitzquote verweisen kann, ist auch dem kühlen Blonden von Real Madrid zu verdanken.

Er gibt beinahe den magnetischen Mittelpunkt des deutschen Spiels. Seine Dominanz bezieht er jedoch nicht - wie bei Mitteldanführern früherer Epochen (Lothar Matthäus, Michael Ballack) üblich - aus seiner übermäßigen Kraft und seinem Rang. Kroos bietet mit seiner Übersicht und seinen feinen Pässen Lösungen auch in schwierigen Phasen an. Wirkt stets furchtlos unterkühlt.

"Warum sollte ich ein Italien-Trauma haben?"

Trocken fragte er dann auch, angesprochen auf die schwarze Serie gegen Italien (in acht Turnierspielen kein Sieg): "Warum sollte ich ein Italien-Trauma haben? Das muss mir erst mal einer erklären - bevor ich es dementiere." Tatsächlich, beim 1:2 im EM-Halbfinale 2012 standen zehn der aktuellen deutschen Spieler auf dem Platz. Ansonsten aber haben sie sich aus dieser Serie herausgehalten.

Toni Kroos' Erinnerungen an diese Partie vor vier Jahren dürften weniger euphorische sein wie jene Bierhoffs an die EM 1996. Im Halbfinale gegen die "Squadra Azzurra" lief er erstmals von Beginn an auf in diesem Turnier. Von Joachim Löw erhielt er einen Spezialauftrag: Er sollte als Abfangjäger für Andrea Pirlo dienen.

Jenen kleinen, großen Italiener, der damals, obschon 33 Jahre alt, als Blaupause für den heutigen Kroos hätte durchgehen können. Pirlo aus dem Spiel zu nehmen, gelang ihm damals nicht, und so wurde die Niederlage zwar Trainer Löw wegen seiner destruktiven Herangehensweise angelastet - ein wenig blieb sie aber auch an Kroos hängen.

Kroos hat ein "großes Positionsgefühl"

Damit beschäftigt sich der frühere Münchner heute allerdings nicht mehr. Bei diesem Turnier war es Kroos, der dem deutschen Spiel die Kontur gab. "Er ist einer der wichtigsten Spieler bei Real und bei uns", meint Abwehrchef Jerome Boateng.

"Er bestimmt das Tempo, schlägt kluge Pässe und ist auch torgefährlicher geworden". Joachim Löw stimmte ein in die Eloge. Kroos sei für die Symmetrie verantwortlich, hat ein "großes Positionsgefühl".

Nun ist Kroos selbstbewusst genug, um seinen Wert für sein Team auch öffentlich zu bestätigen. Sein Trainer bei Real - ein gewisser Zinedine Zidane - müsse ihm keine Belehrungen mit geben, er wisse schon, "dass ich es mit dem Ball ganz gut allein hinbekomme", hat Kroos jüngst gesagt.

Dass seine konsequent starken Auftritte auch andere Clubs auf den Plan treten lässt, erscheint da beinahe logisch. Aber ein angebliches Interesse von Manchester City zaubert ihm nur ein müdes Lächeln ins Gesicht. „Vor ein paar Tagen war ich schon wieder in München, das war nett zu lesen", sagte der ehemalige Bayern-Profi und verwies auf seine Bindung an seinen spanischen Club. „Ich bin Spieler von Real Madrid mit vier Jahren Vertrag noch", sagte er.

Gedanken um die Zukunft

Natürlich, er mache sich "immer Gedanken um die Zukunft". Verstärkt trifft das in diesen Tagen wohl auf den nächsten Gegner zu: Italien. "Es wäre wichtig zu gewinnen", sagte er und ließ eine logische Schlussfolgerung folgen, "denn dann geht für uns das Turnier weiter."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Berechtigte Ausgrenzung
Kein Platz für Müller im DFB-Team Berechtigte Ausgrenzung
Aus dem Ressort