Nominierung des EM-Kaders Löws Streichquartett

Ascona · Bis Dienstag um Mitternacht hat der Bundestrainer Zeit, seinen endgültigen Kader für die EM in Frankreich zu benennen. Vier Nationalspieler bleiben zu Hause. Schweinsteiger und Hummels stehen auf der Kippe.

 Joachim Löw muss vier Kandidaten aus dem vorläufigen Aufgebot streichen.

Joachim Löw muss vier Kandidaten aus dem vorläufigen Aufgebot streichen.

Foto: dpa

Manchmal sieht Thomas Müller so aus, als schlendere er gerade zum üppigen Frühstücksbuffet. Selbst, wenn er auf dem Weg zum Trainingsplatz in Ascona ist. Von Anspannung keine Spur. Nun ist der Münchner zwar gerade im feinen Hotel Giardino untergebracht. Mit Urlaub hat das alles aber nichts zu tun. Dort im Tessin ist harte Trainingsarbeit gefragt, zum Glück sind die Wege für die Nationalspieler sehr kurz. Zwischen Hotel und Stadion liegen nur einige Hundert Meter. Ein Golfplatz grenzt an das Giardino. Für Müller bedeutet das einen nicht zu vernachlässigenden Aspekt, versteht er sich doch vorzüglich auf den Umgang mit Schläger und Miniball.

Nun sind es aber nicht die kurzen Wege, die Joachim Löw an dieser bayrischen Frohnatur so sehr schätzt. Vielmehr sind es auch diese irren-wirren Läufe des Raumdeuters, die aus Müller einen der unglaublichsten Fußballer der Welt formten. Dass der Bundestrainer ihn nicht für die EM nomiert, ist so wahrscheinlich wie Schnee in der Kalahari-Wüste. Beim verhagelten 1:3 im Test gegen die Slowakei wurde er geschont.

Gedanken machen muss sich Löw vielmehr über jene vier Kandidaten des bislang 27-köpfigen Aufgebots, die er von der Reisegruppe nach Frankreich ausschließt. Er muss abwegen, in sich gehen, sich Rat holen. Wer überhaupt für das Turnier in Frage kommt - das wollte Löw am Montag "ein bisschen diskutieren". Auch mit der medizinischen Abteilung des DFB. "Natürlich entscheiden die Mediziner bei dem ein oder anderen Spieler ein bisschen mit", sagt Löw. "Ich möchte bei den verletzten Spielern schon das Okay vom Arzt haben, dass es keine Risiken für die nächsten Wochen birgt." Den Daumen heben oder senken darf Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, auf den sich Löw seit Jahren verlässt.

Entscheidung am Dienstag, 23.59 Uhr und 45 Sekunden

Was bei den Diskussionen um den Fitnesszustand der Spieler herausgekommen ist, wollte Löw zunächst aber nicht preisgeben. Zumindest nicht bis am Dienstag um Mitternacht. Denn bis dahin muss der 56-Jährige seinen Kader benannt haben. Am "Dienstag, 23.59 Uhr und 45 Sekunden" werde er seine Entscheidung treffen, wer denn zu seinen Auserwählten gehört. 15 Sekunden vor Ultimo. Das war natürlich witzig gemeint, entbehrte aber nicht einer gewissen taktischen Ausrichtung: das Schinden der Zeit.

Denn für einige der verletzten Spieler ist ein Aufschub nötig. Bastian Schweinsteiger (Knieverletzung) kommt wohl für Vorrundeneinsätze in Frankreich nicht in Frage. Zudem scheint die Wadenverletzung von Mats Hummels schwerwiegender zu sein, als zunächst angenommen. Selbst ein möglicher Einsatz im zweiten Gruppenspiel gegen Polen (16. Juni) ist nicht gesichert. Zu den verletzten Spielern, die auf Müller-Wohlfahrts Daumen-nach-oben-Geste hoffen, zählen auch Marco Reus (Adduktorenbeschwerden) und Karim Bellarabi (Zerrung). Beim Leverkusener ist allerdings nicht einmal ausgeschlossen, dass Löws Daumen ohnehin nach unten zeigt.

Lob für Sané

Denn das Angebot auf seiner offensiven Außenposition ist enorm. Nicht zuletzt sein junger Club-Kollegen Julian Brandt und Leroy Sané drängen nach. In dem Schalker sieht Löw ein sehr, sehr großes Versprechen. Mit seinen Laufwegen, auch in den Rücken der Gegenspieler, kann er Lücken reißen. "Seine Schnellligkeit und seine Laufwege sind sehr speziell", sagte Löw über den 20-Jährigen. Laufwege, mit denen auch der nimmermüde Thomas Müller die gegenerische Defensive verwirren kann. Sané, so Löw, suche "die Eins-gegen-eins-Situationen" - solche Spielertypen fehlten der Mannschaft. Im Test gegen die Slowakei deutete Sané zumindest sein Potenzial an. Insgesamt aber präsentierte sich keiner aus dem Hochbegabten-Quartett mit ihm, Brandt, Julian Weigl und Joshua Kimmich bei der Niederlage gegen die Slowakei in EM-Form. Gleich als Streichquartett gelten sie jedoch nicht. Gut möglich aber, dass Löw nur einen von ihnen mitnimmt: Sané.

Klar ist nämlich, dass die Weltmeister wie Julian Draxler und André Schürrle einen Treuebonus genießen. Der Wolfsburger Draxler hatte gegen die Slowakei gute Momente. Wie auch Stürmer Mario Gomez, der als Gewinner der Partie gilt. Auf ihn wird Löw setzen in Frankreich. Selbst wenn er nach der Partie gegen die Slowaken betonte: "Dieses Spiel alleine gibt nicht den Ausschlag." Wichtig sei, erläuterte Löw, "wie sich die Spieler in den letzten Monaten in den Vereinen und in Ascona in den Trainingseinheiten präsentiert haben." Aha, es könnte also eng werden für Schweinsteiger, selbst, wenn Müller-Wohlfahrt sein Okay gibt - wird es dann aber gewiss nicht.

Sicher dabei, gute Chancen oder Streichkandidat?

GA-Redakteur Guido Hain ist in Ascona vor Ort. Seine Einschätzung zur EM-Nominierung:

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