Deutschland gegen Italien Joachim Löw sucht nach dem wunden Punkt

Évian-les-Bains · Vor dem EM-Achtelfinale stellt sich der Bundestainer die Frage: Wie kann man die italienischen Abwehrkünstler und Torwart Buffon überwinden?

 Bundestrainer Joachim Löw gibt sich kämpferisch.

Bundestrainer Joachim Löw gibt sich kämpferisch.

Foto: Arne Dedert

Fast schien es, als habe Joachim Löw ein wenig in der griechischen Mythologie gestöbert und recherchiert. Sein mögliches Hauptmotiv: Belagerung fremder Städte und die Möglichkeit, deren Mauern zu überwinden. Zwangsläufig wäre er dann wohl auf Homers "Ilias" gestoßen, jenes epochale Werk, das vom Trojanischen Krieg erzählt. Löw hätte dann vermutlich jene Passage mit größter Aufmerksamkeit gelesen, die sich dem Ende der Auseinandersetzung zwischen der griechischen Allianz der Achaier und den Trojanern widmet.

Diesen auf die Weltliteratur gestützten Anschauungsunterricht könnte Löw nämlich sehr gut in seinen eigenen Angriffsplan - heute würde man diesen eher als Matchplan bezeichnen - einfließen lassen. Als der Bundestrainer am Dienstag, eher smart als kämpferisch, über den kommenden Gegner seiner Elf im Achtelfinale der EM referierte, entstand der Eindruck: Diese Italiener hätten auch in den archaischen Auseinandersetzungen an der Seite der Trojaner eine hervorragende Figur abgegeben - und ihre mächtigen Stadtmauern bis aufs Blut verteidigt.

Löw lobte die Verteidigungslinie der Italiener vor dem ewig jungen Duell am kommenden Sonntag (21 Uhr/ARD), als hätten sie die zu einer Form höchster Kunstfertigkeit erhoben. Das Verteidigen hätten sie in "Fleisch und Blut", die Defensivspieler würden sich "blind kennen". Löw bezeichnete sie als "athletische und physisch starke Spieler, die Ruhe ausstrahlen". Tatsächlich verfügen diese Italiener, Torwart Gianluigi Buffon sowie die Dreierkette Andrea Barzagli, Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini, über defensive Qualitäten, die selbst die Trojaner wohl neidisch hätten auf den "Stiefel" blicken lassen. Nur einen Gegentreffer kassierten sie in vier Spielen bisher (beim 0:1 gegen Irland). Sie hielten hinten dicht gegen das hochgewette Belgien, gegen Schweden, ja selbst zuletzt gegen Titelverteidiger Spanien.

Gleichwohl wirkte Löw am Dienstag auf dem Pressepodium in Évian-les-Bains so entspannt wie ein Rom-Tourist beim Taubenfüttern auf dem Petersplatz. Natürlich habe man Respekt, sagte der 56-Jährige. Aber Angst vor diesem Angstgegner, gegen den die deutsche Elf bei acht Versuchen noch nie gewinnen konnte im Rahmen einer EM oder WM? Natürlich nicht. Dass Löw dennoch nicht ganz sorgenfrei in den Klassiker gehen kann - obschon alle seine Spieler trotz leichter Blessuren einsatzbereit sind -, haben diese Italiener mit den trojanischen Wurzeln eindrucksvoll gegen die Spanier demonstriert.

Dabei beließen sie es nicht nur auf einer ausgezeichneten Vorführung ihrer Defensivkünste. Nein, Trainer Antonio Conte hatte seiner Mannschaft Ausfälle aus ihrer Verschanzung erlaubt, er hatte sie anscheinend sogar in seiner Verteidigungsstrategie fest verankert. Noch beim EM-Finale vor vier Jahren gegen den selben Gegner waren sie chancenlos geblieben beim 0:4. Der frühere Nationalspieler verfügt nun aber über eine starke Offensive mit dem schnellen und wendigen Eder und Graziano Pelle, die laut Löw aber auch Spieler sind, "die gut verteidigen können". Und so passiert es schon mal, dass die Italiener "manchmal mit zehn Mann hinter den Ball" kämen und den eigenen Strafraum verbarrikadierten. Conte sagte jedoch nach dem Sieg gegen die Spanier, nicht ohne Stolz und völlig nachvollziehbar: "Wir haben gezeigt, dass wir nicht nur mit Catenaccio erfolgreich sein können."

Auch Löw ist von dieser Entwicklung und der neuen Vielseitigkeit angetan. "Die Italiener kontern auf einem sehr hohen Niveau", sagte er. "Sie haben klare Automatismen, sogar den Abgang von Andrea Pirlo gut verkraftet." Und ohnehin, das Team sei "stärker als 2008, 2010 und 2012". Vor allem die Gedanken an 2012 dürften den Trainer in diesen Tagen beschäftigen. Damals verlor seine Elf im Halbfinale der EM gegen eben jene Italiener. Löw haftet seitdem der Makel an, ein als stärker eingeschätztes Team auch in sein Verderben führen zu können. Seitdem wird in Deutschland gerne das Wort "vercoacht" als Synonym für das damalige Scheitern des DFB-Teams verwendet. Zum Verhängnis wurde Löw einst seine zurückhaltende Taktik, mit der er den Fixstern der Squadra Azzura, Pirlo, in seiner Kreativität beschneiden wollte.

Löw betrachtet die "schmerzliche Niederlage" heute als eine "gute Lehre. In meiner persönlichen Entwicklung hat sie mich weitergebracht und mir bei der WM 2014 geholfen". Es ist daher auch unwahrscheinlich, dass Löw am Sonntag das Spiel seiner Mannschaft verstärkt von einzelnen italienischen Spielern abhängig macht. Vielmehr könnte er sich auf die alten Griechen bei seiner Strategie stützen. Wie die Geschichte um Troja damals endetete? Mit einem Pferd voller Angreifer tricksten die Angreifer ihre Gegner aus und drangen ein in die Stadt hinter den mächtigen Mauern. Mit List und Tücke.

Genau so stellt sich das Löw bei seiner Elf vor. Er will, dass seine Spieler den wunden Punkt in der italienischen Abwehrarmade entdecken, den Weg hinter die letzte Linie finden - wie die Griechen. Selbstbewusst betonte Löw jedoch, sich weniger mit Geschichtsträchtigem zu befassen: "Wir haben kein Italien-Trauma. Die Vergangenheit ist kalter Kaffee. Ein frischer Espresso ist uns lieber. Und der soll uns am Samstag möglichst gut schmecken."

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