Müller über EM-Viertelfinale "Italien ist schon eine Hausnummer"

Bordeaux · Nationalspieler Thomas Müller spricht in Interview über seine Torflaute bei der EM, den italienischen Fußball und die Chancen der DFB-Elf im Viertelfinale.

Wenn Thomas Müller bei einer Weltmeisterschaft trifft, ist das schon fast keine Nachricht mehr. Zehn Tore hat der Münchner für die Nationalmannschaft 2010 und 2014 insgesamt erzielt. Bei einer EM muss er jedoch weiterhin auf sein erstes persönliches Erfolgserlebnis warten. Dennoch zeigte sich Müller gut gelaunt im Gespräch. Guido Hain war dabei.

Ça va?
Thomas Müller: Ça va bien. S'il vous plaît.

Am Samstag geht es gegen Italien im Viertelfinale (21 Uhr). Endet das Italien-Trauma?
Müller: Grundsätzlich hat Deutschland noch nie bei einem Turnier gegen Italien gewonnen. Das hat natürlich mit den zukünftigen Spielen nichts zu tun. Das ist Geschichte. Falls wir gewinnen sollten, hätten wir das Ganze in die richtige Richtung gedreht. Falls es nicht reichen sollte, haben wir eben weiter den Italien-Fluch.

Im Champions-League-Achtefinale haben sie in beiden Spielen gegen Juventus Turin getroffen.
Müller: Richtig, aber auch das hat mit dem Spiel am Samstag nichts zu tun. Ich spiele übrigens gerne gegen italienische Mannschaften.

Warum?
Müller: Weil die Spieler auch gute Typen sind, echte Sportsmänner. Sie haben große Erfahrung, sind vor und nach dem Spiel sehr freundschaftlich. Auch wenn man manchmal sagt, die Italiener bleiben ganz gerne nach einem Foul mal länger liegen, oder diskutieren zu gerne mit dem Schiedsrichter. Aber wenn es im Zweikampf mal rumpelt, da helfen sie einem wieder auf.

Wie viel Italien steckt denn schon in Deutschland. Ihr habt noch kein Gegentor bekommen?
Müller: Ich bin kein Freund von Klischees. Eher von Tatsachen. Ich stehe auf Beobachtungen. Und hefte mich nicht an alte Klischees. Das ist mir zu einfach.

Die Italiener sind ja auch nicht mehr die Italiener, die nur auf Catenaccio spielen, sich ständig fallen lassen.
Müller: Ein Spiel hat viele Situationen, viele Facetten. Natürlich sagt man den Italienern eine gewisse Cleverness nach, auch mal in die Grauzone des Erlaubten zu gehen. Aber wenn wir jetzt 1:0 führen, es sind noch zwei Minuten zu spielen, verlange ich auch nicht, dass wir zum Einwurf sprinten und dem Balljungen den Ball aus der Hand reißen. Die Italiener sind schon gute Sportsmänner.

Kommen wir zu den Fakten. Wie haben sie die Italiener bisher gesehen?
Müller: Sie haben sich bisher in jedem Spiel richtig reingehauen, als Mannschaft agiert, sie haben Automatismen gezeigt. Offensiv wie defensiv. Das ist jetzt nicht bewundernswert, aber sicher einer ihrer Stärken. Das Spiel gegen Spanien war vor allem in der ersten Hälfte sehr stark. Das Belgien-Spiel habe ich jetzt nicht so stark gesehen, wie es geschrieben wurde. Belgien hatte zum Beispiel eine Vielzahl an guten Tormöglichkeiten. Da habe ich nicht diese starke italienische Abwehr gesehen. Die ist nicht undurchdringbar. Man muss einfach die Chancen, die man gegen sie hat, nutzen.

Gegen Spanien haben die Italiener vor allem in der Offensive Akzente gesetzt.
Müller: Jede Mannschaft, die was gewinnen will, muss den Weg in die Offensive suchen. Italien war nie eine Mannschaft wie zum Beispiel die Iren, die nur über das Verteidigen kommt und über Standartsituationen ihr Glück versucht. Italien hatte immer klasse Fußballer. Andrea Pirlo kam in den vergangenen zehn Jahren zum Beispiel eher über ein feines Füßchen, als über die Rasierklinge.

Aber sie spielen schon gerne von hinten raus?
Müller: Ja, sie kombinieren, lassen den Ball flach, sobald der Ball ins Mittelfeld kommt, spielen sie den Stürmer an, der lässt klatschen. Das sind schon klare Strukturen, die im Spiel der Italiener schon seit Jahren drin sind. Derzeit ist Graziano Pellè vorne der Anspielpunkt und der zweite Stürmer, Éder, ist pfeilschnell. Das passt schon gut. Wenn du so in die in die spanische Hälfte spielst, hast du sicher mehr Chancen als gegen Polen. Daher hat mich das gute Spiel der Italiener gegen die Spanier nicht so gewundert.

Euer Spiel ähnelt dem der Spanier.
Müller: Das Überraschende im Spiel der Italiener gegen Spanien war, dass sie es geschafft hatten, den Spaniern den Ballbesitz abzuluchsen. Italien hatte es geschafft, dass Spanien nicht zu seinem Spiel gefunden hat. Wir müssen schauen, dass wir zu unserem finden, dass wir in die Zweikämpfe kommen, die Duelle gewinnen.

Was taugt denn der 4:1-Sieg an Ostern gegen die Italiener?
Müller: Nichts. Spiele in der Vergangenheit haben nichts mit Spielen in der Zukunft zu tun. Genau so wenig wie Leistungen eines Spielers in der Vergangenheit mit zukünftigen zu tun haben. Es zählt immer das nächste Spiel. Ich sehe uns gut gerüstet und bin auch optimistisch. Aber Italien ist schon eine Hausnummer. Der Ausgang ist völlig offen.

Wo sehen sie denn die Schwächen der Italiener?
Müller: Sie versuchen, ihr Spiel von hinten aufzuziehen. Wenn wir ein gutes Pressing spielen, haben sie natürlich die Lösung mit ihrem langen Ball. Aber das ist dann auch die Einzige. Wenn wir darauf vorbereitet sind, haben wir da viele Balleroberungen, nach denen es schnell gehen kann. Auch spielen sie ab und an risikoreich hinten raus. Über Torhüter Gianluigi Buffon, die Abwehrspieler. Sie wollen ja auch nicht wild den Ball wegschlagen. Da haben wir Chancen auf eine Balleroberung.

Und bei eigenem Ballbesitz?
Müller: Da erwarte ich von uns ein besseres Positionsspiel, als es Spanien gezeigt hat.

Manche Italiener sahen in Halbzeit zwei gegen Spanien müde aus.
Müller: Sie hatten in der ersten Halbzeit einen großen Aufwand betrieben. Als Emanuele Giaccherini Mitte der zweiten Halbzeit auf Außen einen Sprint ansetzen musste, da hat man am Fernsehen richtig mitgelitten. Da werden sich für uns Räume ergeben. Da hatten auch die Spanier ihre Chancen. Aber wir werden sicher nicht 60 Minuten hinten drin stehen und warten, bis die Italiener müde sind.

Nagt es an Ihnen, dass sie bei dieser EM noch nicht getroffen haben?
Müller: Nein, es nagt nicht an mir. Wenn wir so spielen, wie bisher, diese mannschaftliche Geschlossenheit haben, dann macht es einfach Spaß, in dieser Truppe zu spielen. Natürlich werde ich immer wieder darauf angesprochen, deshalb muss ich mit dem Thema zwangsläufig auseinandersetzen. Aber ich bin da sehr entspannt.

Es fällt halt auf: Bei der WM treffen sie, bei einer EM nicht.
Müller: Es ist ja nicht so, wenn einer mal ein Tor geschossen hat, muss er immer treffen. Man muss in die Situationen kommen. Gegen Nordirland hatte ich gute Chancen, bis auf eine, habe ich mich beim Abschluss nicht falsch verhalten. Wenn einer reingegangen wäre, würden wir jetzt darüber nicht reden.

Vor vier Jahren, im verlorenen EM-Halbfinale gegen Italien, haben sie überraschend auf der Bank gesessen. Jetzt wieder?
Müller (lacht):Der Trainer ist der Chef. Aber die Anzeichen, dass ich Einsatzminuten bekomme, stehen ganz gut.

Der Stachel von 2012 ist also kein Thema mehr?
Müller: Nein, wir leben nicht in der Vergangenheit. Wir sind positiv. Aber wenn am Samstag viel Negatives zusammenkommt, kann es auch sein, dass wir am Sonntag die Heimreise antreten. So objektiv muss man sein. Aber ich denke schon, dass wir noch ein bisschen hierbleiben.

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