Krawalle bei der Fußball-EM Ist Frankreichs Polizei überfordert?

PARIS · Die Polizei in Frankreich hat während der Krawalle bei der Fußball-Europameisterschaft keine gute Figur gemacht. Kritik gibt es auch von internationalen Experten.

 Haben ein Auge auf die Fans: Französische Polizisten in der Nähe des Hauptbahnhofs von Lille.

Haben ein Auge auf die Fans: Französische Polizisten in der Nähe des Hauptbahnhofs von Lille.

Foto: dpa

Es ist erst Mittag, doch schon schwebt ein herber Geruch von Bier in der Luft von Paris. Die Bistros auf den Grands Boulevards sind gut besucht mit Gruppen überwiegend männlicher, oft mit Trikots ihrer Nationalmannschaften bekleideter Gäste. Hier, wo man sich sonst gerne ein Viertel Rotwein zum Mittagessen gönnt, werden zu Zeiten der Fußball-EM großzügige Bierrunden geschmissen, ungeachtet des stolzen Preises von rund acht Euro für einen halben Liter. „Wir sind schließlich nur einmal hier“, rufen die Schweizer, die sich um einen Tisch drängen. Und das tun sie problemlos neben den Besuchern aus Albanien, die gestern ebenfalls in den Bars für die Begegnung am frühen Abend im Pariser Prinzenstadion vorglühen.

Wären alle Fans in so fröhlich-friedlicher Stimmung, würden die Debatten über die sportlichen Leistungen der Teams vielleicht überwiegen. Doch den EM-Auftakt prägten schockierende Bilder von Hooligans, die mit extremer Gewalt aufeinander eindreschen, während die Sicherheitskräfte ihrer kaum Herr werden. Nach den wüsten Krawallen vom Wochenende am Rande der Begegnungen England gegen Russland in Marseille und Deutschland gegen die Ukraine in Lille liegt das Augenmerk darauf, neue Ausschreitungen zu verhindern.

Frankreich, das den Erfolg des Turniers von dessen Sicherheit abhängig macht, arbeitet mit 90 000 Einsatzkräften von Polizei, Gendarmerie und privaten Firmen. Doch schon jetzt werden Lücken sichtbar. Hat man sich im Vorfeld auf die Terrorbedrohung fokussiert, so geraten nun Hooligans ins Blickfeld.

Das gestrige Spiel Russlands gegen die Slowakei galt als Test – für das Betragen der russischen Anhänger und dessen obersten Beauftragten (siehe unten), aber auch für die Polizei, die als überfordert und unvorbereitet kritisiert worden war. Vor dem Spiel gestern in Lille kam es erneut zu – allerdings kleineren – Zusammenstößen, als russische Hooligans vor Bars mit Glasflaschen und Stühlen warfen. Sieben Personen wurden seit Dienstag wegen Gewalt festgenommen, drei weitere wegen Trunkenheit. Im Stadion jedoch blieb es ruhig. „Unsere Strategie besteht darin, eine extrem hohe Zahl von Ordnungskräften in der Stadt zu verteilen, um den öffentlichen Raum mit Polizeipräsenz zu füllen“, erklärte Polizeipräfekt Michel Lalande.

Wurde die Begegnung Russland – Slowakei als eines der Risikospiele der EM eingestuft, so folgen heute zwei weitere: Am Nachmittag treten England und Wales im nordfranzösischen Lens an. Erwartet werden bis zu 50 000 britische Fans, während das Stadion nur rund 35 000 Gäste fasst. Neben 1200 Polizisten und Gendarmen sollen noch einmal so viele private Sicherheitsleute im Einsatz sein.

Sorge bereitet aber auch die Begegnung der deutschen und der polnischen Elf am Abend in Paris. „Wir gehen fest davon aus, dass sie gewaltbereite Störer anziehen wird“, erklärt Jan Schabacker, Sprecher der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS), die die deutsche Hooligan-Szene beobachtet: „Spiele gegen Polen sind traditionell brisant.“

Bereits in die Krawalle am Wochenende waren nicht nur Engländer und Russen, die offenbar ihr internationales Ansehen als besonders grobe Schläger steigern wollten, verwickelt, sondern eben auch Deutsche, oft aus der extrem rechten Szene. Nachdem ein Foto, auf dem 30 Rechtsradikale vor der Reichskriegsflagge posierten, im Internet zirkulierte, konnte die Polizei in Dresden einige Dynamo-Anhänger identifizieren. Die erwartet ein Ermittlungsverfahren. Für die Ermittlung weiterer Randalierer hat das Bundeskriminalamt ein Hinweisportal im Internet eingerichtet, über das Videos anonym auch hochgeladen werden können.

Offenbar trieben sich als gewaltbereit bekannte Fußballfans dabei nicht nur in der Stadt herum, sondern auch im Stadion. Medienberichten zufolge hatten sie teilweise offizielle Tickets des „Fanclubs Nationalmannschaft“. Wie das möglich war, ist noch unklar.

Als bedeutsam bei Prävention und Fahndung gilt indes der Informationsaustausch mit szenekundigen Beamten aus 23 teilnehmenden Staaten, von denen 180 im Land sind. Doch genau dieser funktioniere nicht gut, kritisiert Ex- DFB-Sicherheitschef Helmut Spahn, der Frankreich wiederholt einen mangelhaften Umgang mit Problemfans vorgeworfen hat.

„Die internationale Zusammenarbeit, die in den letzten 15, 20 Jahren gewachsen ist und die eigentlich bei jedem großen Turnier in der Vergangenheit stattgefunden hat, gab es in Frankreich nicht.“ Die Organisatoren hätten sich abgeschottet, Rat und Angebote zur Unterstützung abgelehnt. Jetzt allein mit mehr Polizei oder Alkoholverboten zu reagieren, reiche nicht, wenn kein echtes Konzept dahinterstehe.

ZIS-Sprecher Schabacker erklärt, Ausschreitungen ließen sich zwar nicht ganz verhindern, doch in Lille hätten die deutschen Beamten im Laufe des Sonntags etwa 300 gewaltbereite Störer ausgemacht: „Wir hatten diese frühzeitig auf dem Schirm und haben das den französischen Kollegen mitgeteilt.“

Griffen diese zu spät ein? In diese Richtung weist auch die Kritik des britischen Hooligan-Spezialisten Geoff Person, der am Wochenende in Marseille vor Ort war – die französische Polizei sei überfordert gewesen und habe wenn, dann sofort mit Tränengas und Wasserkanonen reagiert, berichtet er. „Ihr fehlt die Routine im Umgang mit diesem Phänomen, das hier weniger stark ausgeprägt ist als in England oder Osteuropa“, erklärt der Soziologe Nicolas Hourcade. Im eigenen Land werde mit Stadionverboten für gewaltbereite Anhänger reagiert, doch reine Repression könne das Problem nicht lösen, nur verschieben.

Zur Verteidigung der Beamten verweist Hourcade hingegen auf die seit Monaten andauernde Dauerbelastung infolge der Terroranschläge in Paris 2015. Seitdem herrscht Ausnahmezustand mit stark verschärften Sicherheitsvorkehrungen. Dabei sind die Beamten nicht nur selbst zu extremer Wachsamkeit aufgerufen, Sie gelten auch als Zielscheibe. Das bewies auf furchtbare Weise der Doppelmord an einem Polizistenpaar am Montag durch einen Islamisten.

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