Interview mit Simon Rolfes "Ich will auf höchstem Niveau aufhören"

LEVERKUSEN · Im Gespräch mit Berthold Mertes und Gregor Derichs blickt der 26-malige Nationalspieler (zwei Tore) Simon Rolfes auf Höhen und Tiefen seiner Karriere zurück, erklärt seine Pläne - und verrät, wie er sich das Ende seiner zehn Jahre bei Bayer 04 erträumt.

 Schaut her, das bin ich: Simon Rolfes als 33-Jähriger und beim Torjubel nach einem Treffer im Old-Trafford-Stadion von Manchester. Das Bild schmückt eine Wand in den Gasträumen des Leverkusener Fußball-Bundesligisten in der BayArena.

Schaut her, das bin ich: Simon Rolfes als 33-Jähriger und beim Torjubel nach einem Treffer im Old-Trafford-Stadion von Manchester. Das Bild schmückt eine Wand in den Gasträumen des Leverkusener Fußball-Bundesligisten in der BayArena.

Foto: Wolfgang Henry

Simon Rolfes hat gute Laune. "Alles gut, ich bin topfit", sagt der 33-Jährige, als er zum GA-Interview Platz nimmt. Der Kapitän von Bayer Leverkusen wirkt austrainiert. Körperlich, räumt Rolfes ein, gäbe es derzeit keinen Grund zum Aufhören. Dennoch ist seine Entscheidung unumstößlich: Nach dieser Saison ist für ihn Schluss mit dem Profi-Fußball.

Herr Rolfes, am Mittwoch sind Sie 33 Jahre alt geworden. Sie sind zehn Jahre bei Bayer Leverkusen. Warum haben Sie sich damals für die Karriere beim Werksclub entschieden?
Simon Rolfes: Die Chance, bei Bayer auch wirklich zu spielen, war groß. Carsten Ramelow war damals der gestandene Spieler, Gonzalo Castro noch sehr jung. Ich war der dritte Sechser. In einem Topclub eine solche Ausgangsposition - das war perfekt. Und ich hatte mich im Rheinland schon akklimatisiert.

Fanden Sie es normal, so schnell Stammspieler zu werden?
Rolfes: Schon ab dem vierten Saisonspiel habe ich eine Serie von 131 Bundesliga-Spielen in Folge begonnen. Der Sprung aus Aachen von der zweiten Liga ging rasend schnell. Das erste Bundesliga-Tor im Derby gegen Köln am fünften Spieltag war sehr emotional. Da fühlt man sich erst als richtiger Bundesliga-Profi.

Wieviele Momente gab es, in denen die Verlockung eines Wechsels groß war?
Rolfes: Bei jedem neuen Vertrag stellt man das auf Prüfstand. Aber Bayer 04 war immer die richtige Wahl. Ich kam 2005 im Umbruch nach der Calmund-Ära, als eine neue Mannschaft gebildet wurde, die sich auch immer besser entwickelte. 2009 und 2010 sind wir immer mit vier oder fünf Leverkusenern zur Nationalmannschaft gereist. Die gute Entwicklung von Bayer lief stets parallel mit meiner. Das hat einfach gut gepasst.“

Und im Sommer soll wirklich Schluss sein? Es gibt kein Zurück mehr von ihrem überraschend angekündigten Rücktritt?
Rolfes: Die Ankündigung kam vielleicht überraschend, aber der Entschluss ist schon länger gereift. Mit dem letzten Vertrag vor zwei Jahren habe ich angefangen zu überlegen. Ich habe nach und nach gemerkt, dass es die richtige Entscheidung ist.

Waren Verletzungen der Hauptgrund für die Entscheidung?
Rolfes: Die Verletzungen waren es nicht. Die am Syndesmoseband wurde zwar zweimal operiert, aber das ist ja eigentlich gar keine schwere Verletzung. 2010 war ein hartes Jahr mit drei Operationen am Knie. Das hat mich komplett rausgehauen. Ich hatte die Befürchtung, dass die dritte Knie-OP, dann am Knorpel, mein Karriereende bedeuten könnte. Mir wurde bewusst, dass das Ende ganz schnell kommen kann. Davor war ich vom Glück geküsst. Ich hatte noch nicht mal kleine Verletzungen. Ich dachte, verletzt sind nur andere. Dann stellte sich diese extreme Situation ein, und ich habe angefangen, mich damit zu beschäftigen, was nach dem Fußball kommt.

[kein Linktext vorhanden]Die Verletzungen gaben nicht den Ausschlag. Welche Gründe gibt es denn noch?
Rolfes: Ich bin noch richtig fit, voll belastbar, das Knie macht keinerlei Probleme. Der Körper wäre noch voll bundesliga-tauglich. Aber ich habe immer gesagt, ich will es nicht bis zum Ende so ausreizen, dass mir in zehn Jahren Verschleißerscheinungen zu schaffen machen. Ich will auf höchstem Niveau aufhören, und dafür ist es jetzt ein guter Zeitpunkt. Mit 33 wird es ja auch absehbar, dass man mal aufhören muss.

Simon Rolfes: Im Interview und in Aktion
9 Bilder

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Motto: „Aufhören, wenn es am schönsten ist“?
Rolfes: „Genau so ist es. Ich habe eine sehr schöne Karriere gehabt, ich habe viel gelernt, gerade auch durch die schwierigen Zeiten. So soll dieser Lebensabschnitt in Erinnerung bleiben.

Sie haben früher freiwillig zusätzliches Spezialtraining mit den 400-m-Läufern Lars Figura und Jens Dautzenberg absolviert. Wie kamen Sie auf die Idee?
Rolfes: Das waren unglaubliche Athleten, beide deutsche Meister. Die 400 Meter gelten ja als die Königsdisziplin, weil sie permanent durchsprintet werden und unglaubliche Willenskraft gebraucht wird. In Bremen haben wir in der Jugend mit Lars Figura Sprint- und Athletiktraining gemacht. Als ich im dritten Profi-Jahr mit 20 Jahren in Bremen zwar mit dem Profi-Kader trainierte, aber noch immer bei den Amateuren spielte, habe ich Lars gefragt, ob er einmal die Woche extra mit mir trainieren würde. Jeden Sonntag um 17 Uhr, nach dem Spiel am Samstag und dem Training am Sonntag, haben wir Tempoläufe gemacht – auch Kraft, Athletik und Lauftechnik. Lars hat mich an Jens verwiesen, mit dem ich das Training in Aachen fortgesetzt habe.

Und das hat wirklich etwas gebracht?
Rolfes: Ja, definitiv. Ich habe sehr gezielt an meinen Defiziten gearbeitet und dann deutlich an Kraft zugelegt. Das war ein wichtiger Grund, dass ich nach nur einer halben Zweitliga-Saison in Aachen die Voraussetzungen mitbrachte, in die Bundesliga wechseln zu können.

Wann kam die Überlegung, an der FH Koblenz Sportmanagement zu studieren?
Rolfes: Ich habe mich nicht erst seit der Verletzungsphase 2010 für Management interessiert. Vor zwei Jahren etwa lagen bei Bayer dann Angebote zu dem Studium in Koblenz aus. Das bietet die Möglichkeit, den MBA (Master of Business) komplett im Fernstudium mit zeitlich flexiblen Prüfungen machen zu können. Das fand ich wunderbar. Ich bin im dritten Semester und hochzufrieden. Es macht richtig Spaß, sich mit betriebswirtschaftlichen Grundlagen, die sehr sportbezogen sind, zu beschäftigen.

Das soll dann in eine neue Laufbahn als Karrieremanager für Sportler münden? Weist der Name Ihres Unternehmens „Olympia - The Career Company“, das Sie mit dem Fondsmanager Markus Elsässer aus Hennef gegründet haben, darauf hin, dass Sie damit nicht nur Fußballer ansprechen wollen?
Rolfes: Wir werden es nicht nur auf Fußball begrenzen. Auch Athleten in anderen Sportarten sind am langfristigen Aufbau einer Karriere interessiert. Ich bin überzeugt, dass ein enormer Bedarf nach einer Kombination von Karriere- und Lebensplanung vorhanden ist. Mitzuhelfen, Karrieren sauber aufzubauen, das würde mir Freude machen.

Wie kam Ihr Kontakt zu Herrn Elsässer, dem einmal Anteile an Borussia Dortmund gehörten, zustande?
Rolfes: Vor acht Jahren war ich auf der Suche nach jemandem, der mich berät und betreut in finanziellen Fragen. Das hat wunderbar funktioniert – im Laufe der Zeit haben wir die Vision dieses gemeinsamen Projektes entwickelt. Markus Elsässer kommt aus der Wirtschaft und dem Finanzmanagement, ich aus dem Sport mit großem Interesse an diesem Arbeitsfeld. Unser Altersunterschied ist eine sehr interessante Kombination, in der man viel voneinander lernen kann. Es war immer eine Prämisse für mich, auch nach dem Fußball etwas zu finden, was mir Spaß macht.

Rudi Völler hat geäußert, dass er Sie gerne bei Bayer eingebunden hätte. Warum gehen Sie diesen Weg nicht?
Rolfes: Weil es immer meine Wille war. Es ist für mich eine Grundansatzfrage, selbstständig oder angestellt zu sein. Ich habe mich für die Freiheit der Selbständigkeit entschieden. Deswegen ist dies auch keine Entscheidung gegen Bayer 04.

Besteht das größte Problem für junge Fußballer in der abgeschottete Scheinwelt, in der sie zwangsläufig als Erstliga-Profi landen?
Rolfes: Wenn sie Profi geworden sind, werden sie unheimlich interessant für viele Leute. Je besser die 18-Jährigen sind, desto weniger Menschen gibt es im Umfeld, die ihnen überhaupt noch irgendetwas Kritisches sagen. Aber sie sind erst 18 und müssen von der Persönlichkeit her noch wachsen. Fußballerisch ist man häufig erst mit 25 am Zenit, viele aber bleiben bis 35 ewige Talente. Die Kunst besteht darin, das vorhandene Potenzial auch zu erschließen. Gerade deswegen darf ein 18-Jähriger nicht völlig kritiklos behandelt werden.

Existiert das Problem, dass geldgierige Berater oft vor allem an eigenen Profit denken?
Rolfes: Mit Sicherheit gibt es Ausgestaltungen in allen denkbaren Formen. Markus Elsässer und ich wollen ein besseres Angebot machen - mit äußerst hoher Qualität in der Betreuung. Ich glaube, meine charakterlichen Eigenschaften sollte man inzwischen ganz gut einschätzen können. Ich habe bei meinen Entscheidungen über neue Verträge nicht nur nach dem Geld geschaut. Sonst hätte ich einen anderen Weg genommen als zehn Jahre Leverkusen.

Was entgegnen Sie eigentlich denen, die Leverkusen als Wohlfühloase bezeichnen?
Rolfes: Wenn man Leverkusen vorhält, dass hier beste Rahmenbedingungen existieren, heißt das doch, dass es super professionell zugeht. Das ist kein Negativmerkmal. Hier ist der Druck genauso hoch wie woanders, in die Champions League zu kommen. Das wird vielleicht nur nicht so stark nach außen getragen. Als Wohlfühloase wird der Club doch nur dann tituliert, wenn es mal nicht so gut läuft. Aber ich habe mit dem Verein in den letzten zehn Jahren achtmal in internationalen Wettbewerben gespielt. In den letzten vier Jahren waren wir dreimal in der Champions und einmal in der Europa League.

Wird es jungen Profis zu leicht gemacht? In Leverkusen und genauso in den anderen Clubs?
Rolfes: Thomas Schaaf hat mir damals in Bremen gesagt, im Profifußball bekommst du nichts geschenkt. Es hat mir damals nicht gefallen, aber es hat meine Karriere geprägt. Es ist gar nicht schlecht, auch gegen Widerstände ankämpfen zu müssen. Heutzutage bekommt jeder sehr gute 18-Jährige einen Bonus - die Jungen haben es leichter. Die Trainer lassen sie spielen und werden von den Medien dafür gelobt. Früher hieß es, wenn es mit einem jungen Spieler nicht funktionierte, wie doof ist der denn. Aber die 18-Jährigen von heute können auch ganz schnell wieder weg sein. Dann kommt einfach der nächste.

Welche Träume haben sich für Sie in Leverkusen erfüllt?
Rolfes: Ich habe meinen Kindheitswunsch, Fußballprofi zu werden, erfüllt und bin bei Bayer 04 sogar zum Nationalspieler geworden. Von der Nationalmannschaft habe ich als kleiner Junge nicht einmal zu träumen gewagt. Leider habe ich 2008 mit dem EM-Finale und 2009 mit dem DFB-Pokalfinale zwei große Endspiele verloren – aber es waren trotzdem prägende Erlebnisse. Wenn im Sommer nach 14 Profijahren Schluss ist, habe ich mit Leverkusen und der Nationalelf irre viel erlebt. Ein Pokalsieg am Ende dieser Saison wäre selbstverständlich ein sehr schöner, perfekter Abschluss.

2010 haben Sie die WM verpasst. War das Ihre härteste Zeit?
Rolfes: Nach der EM 2008 war ich Stammspieler, es ging in Richtung der WM in Südafrika. Es war bitter, sie durch die Verletzung zu verpassen. Wenn die deutsche Mannschaft spielte, war das schrecklich für mich. Es war ein großes Glück, dass zu dieser Zeit meine erste Tochter geboren wurde. Einzelne Niederlagen, die man mit seinen Teams erlebt, verkraftet man relativ schnell. Aber einen Monat mitzuerleben, dass diese Mannschaft spielt, zu der ich gehört hätte, das tat sehr weh, zumal ich damals um meine Karriere bangen musste. Ich war froh, als die WM 2010 vorbei war. Es flimmerte alle drei Tage der verpasste Traum über den Fernseher.

Plagt Sie nicht auch das Gefühl, mit Leverkusen einen Titel verpasst zu haben?
Rolfes: Der ist doch noch möglich. In den letzten Jahren ist es noch schwieriger in der Bundesliga geworden durch den unglaublichen Qualitätssprung der Bayern. Für die Champions League und den DFB-Pokal glaube ich aber, dass wir gerade für diese K.o.-Spiele prädestiniert sind. In einzelnen Spielen haben wir schon ganz besondere Leistungen abrufen können. Da erhoffe ich mir bis Saisonende noch einiges. In der Bundesliga müssen und werden wir die Champions League erreichen.

Vollenden Sie bitte folgenden Satz: Mein Traum ist es, zum Karriereende mit Bayer Leverkusen ...
Rolfes: … ein Finale in Berlin zu gewinnen. (schmunzelt) Es sind ja in diesem Jahr sogar zwei dort.

Zur Person

Simon Rolfes, geboren am 21. Januar 1982 in Ibbenbüren, begann mit vier Jahren in seinem Heimatort beim TuS Recke mit dem Kicken. 1999 wechselte er zur A-Jugend von Werder Bremen, baute in der Hansestadt sein Abitur.

In Bremen schaffte es Rolfes in den Bundesliga-Kader, wurde von Trainer Thomas Schaaf aber nicht eingesetzt. Nach einer Zweitliga-Saison bei Alemannia Aachen dann 2005 der Durchbruch bei Bayer Leverkusen.

Dem Werksclub ist der defensive Mittelfeldspieler treu geblieben. In 357 Einsätzen erzielte er 48 Tore (272 Bundesligaspiele/40 Treffer). Seine Nationalelf-Karriere endete verletzungsbedingt 2010. Rolfes ist verheiratet und hat zwei Töchter (zwei und vier Jahre).

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