Heiko Schaffartzik im Interview "Mein Wurf ist nicht verrückt"

Bonn · DBB-Kapitän Heiko Schaffartzik (FC Bayern München) vor dem Spiel in Bonn über Nationalstolz, Nowitzki und die neue Saison.

 Ein Typ mit Ecken und Kanten, aber ein Typ: Nationalteam-Kapitän Heiko Schaffartzik hat Führungsspielerqualitäten.

Ein Typ mit Ecken und Kanten, aber ein Typ: Nationalteam-Kapitän Heiko Schaffartzik hat Führungsspielerqualitäten.

Foto: dpa

Am Mittwoch spielt die deutsche Basketball-Nationalmannschaft im Bonner Telekom Dome in der EM-Qualifikation gegen Polen.

Wie hätte Ihre Zusammenfassung der Qualifikation vor den beiden Heimspielen in Trier und Bonn ausgesehen?
Heiko Schaffartzik: Es ist sicher nicht so gelaufen, wie wir uns das vorgestellt haben. Wenn man die Ergebnisse der Vorbereitung sieht, kam das etwas überraschend. Gegen Polen war es schon nicht so besonders, und gegen Österreich noch weniger - allerdings finde ich, wir haben gegen Österreich in den letzten fünf Minuten eine exzellente kämpferische Leistung gezeigt und das Spiel noch umgebogen.

Wie waren denn die Erwartungen vor der Qualifikation?
Schaffartzik: Wir haben nicht gesagt: "Wir hauen jetzt alle weg." Unser Anspruch war und ist, den ersten Platz in dieser Gruppe zu belegen. Und in allererster Linie natürlich uns zu qualifizieren.

Es hat reichlich verbale Prügel gegeben, deren Absender, Experten und Medien, eine mangelhafte Einstellung gesehen haben wollen. Können Sie das nachvollziehen?
Schaffartzik: Davon habe ich nichts mitbekommen. Ich habe leider - oder was heißt "leider"? Vielleicht ist es besser - nichts gelesen. Daher kann ich das nicht kommentieren.

Da war von fehlender Identifikation mit dem Trikot mit dem Adler auf der Brust die Rede.
Schaffartzik: Ich weiß nicht, woran man das fest macht. Was ich sagen kann ist, dass hier in jedem Training eine sehr hohe Intensität herrscht und wir sehr hart trainieren.

Bei der Kritik geht es auch um das zersplitterte Zusammenkommen der Mannschaft durch die Teilnahme einiger Spieler an den NBA-Summercamps.
Schaffartzik: Ich glaube, man kann das auch anders sehen: Die Jungs, die in der Summerleague vorgespielt haben, haben in 14 Tagen zehn Spiele gespielt - nachdem sie eine harte Vorbereitung durchgemacht hatten. Da hat ja keiner auf der faulen Haut gelegen. Die sind später, aber fit dazugekommen. Natürlich ist es einfacher für eine Mannschaft sich zu finden, wenn man viel Zeit zusammenverbringt.

Sind die zwei Heimspiele nach zwei solchen Partien gerade richtig um zu beweisen, dass es besser geht?
Schaffartzik: Ich weiß nicht, mit Vorhersagen tue ich mich generell schwer. Ich denke, wir haben etwas Anlaufzeit gebraucht und den Ernst der Lage erkannt. Wenn ich mir die Trainingseinheiten ansehe, würde ich sagen: Wir wissen, worum es geht.

Heimspiele mit der Nationalmannschaft sind für einen Bayern-Spieler doch die erfreulicheren Begegnungen mit den BBL-Auswärtshallen, oder?
Schaffartzik: Ja. Während der Saison wird uns schon viel ... ja: Hass entgegengebracht. Mit der Nationalmannschaft wird uns der Rücken gestärkt. Das schätze ich sehr. Es gibt auch einen harten Kern von Fans, die uns zu Auswärtsspielen begleiten. Das bedeutet uns viel.

Aber ein Nationalteam-Heimspiel ist von der Stimmung betrachtet etwas anderes als ein BBL-Heimspiel...
Schaffartzik: Naja, wir Deutschen tun uns aufgrund unserer Geschichte mit dem Patriotismus halt immer noch schwer, und damit zu sagen: Ich bin stolz, Deutscher zu sein. Außerdem finden wir immer was zu meckern. Wenn wir nicht Weltmeister werden, ist erstmal alles schlecht. Und wenn wir Weltmeister werden, findet man auch noch was, das nicht in Ordnung war. In Polen wird anders angefeuert. Das liegt meines Erachtens daran, dass da mehr Nationalstolz ist. Wie gesagt: Bei uns hat das mit der Geschichte zu tun.

Nervt Sie das Geschrei nach dem Heilsbringer Dirk Nowitzki?
Schaffartzik: Wir diskutieren darüber nicht. Wir werden informiert, ob er kommt oder nicht. Darauf haben wir auch keinen Einfluss. Dirk ist halt Dirk. Einer der weltbesten Basketballspieler. Es ist nicht so, dass wir anrufen und sagen: Hey Dirk, komm mal rüber, wir brauchen dich.

Aber der Erfolg der Nationalmannschaft wird gerne über ihn definiert...
Schaffartzik: Von wem? Es tut mir wirklich leid. Ich bekomme das nicht mit. Das mache ich auch mit Absicht so. Ich will das alles nicht wissen.

Aber das ist doch eine Antwort: Wer da ist, ist da und mit dem Team für das Erreichen der EM-Endrunde zuständig.
Schaffartzik: Ganz genau.

Sie haben mal gesagt, dass die Unfreundlich- bis Feindseligkeit von den Rängen sie anstachelt. Gibt es nie den Moment, in dem es nervt oder weh tut?
Schaffartzik: Nein. Es würde mir dann weh tun, wenn ich das Gefühl hätte "au, ich hab mich fehlverhalten" und die Anfeindungen haben eine Berechtigung. Aber das ist bisher noch nicht vorgekommen.

Nach Ihrem Wechsel nach München kamen Sie mit dem neuen Club zurück nach Berlin und Alba-Fans hatten Ihr Trikot auf einer Stangenkonstruktion, die viele als Kreuz interpretierten, aufgehängt. Sind Sie nachtragend?
Schaffartzik: Kommt immer darauf an, wie sich die andere Partei nach sowas zeigt. Das ist auch im Privaten so. Wenn der andere sagt "Das ist nicht so ganz richtig gelaufen, tut mir leid", dann kann man mit mir immer reden. Dann ist das ist in Ordnung.

Das klingt, als sei ein basketballerisches Zurück in Ihre Heimatstadt derzeit ausgeschlossen?
Schaffartzik: Für mich persönlich hat Alba sehr wenig mit Berlin zu tun. Berlin ist meine Heimat und Alba ist einfach der Verein, der da sitzt. Ich trenne das komplett.

Also war Ihnen das Herz nicht schwer, als Sie nach München gegangen sind...
Schaffartzik: Naja... Ich will da nicht so großartig drüber sprechen.

Wenden wir es andersherum: Mit München alles richtig gemacht?
Schaffartzik: Das finde ich schon. Ich finde auch, dass ich mich weiterentwickelt habe. Vor allem in den Play-offs habe ich gespielt, wie ich selten zuvor gespielt habe. Ich freue mich sehr darüber. Und darüber, diese Entscheidung getroffen zu haben.

Wird es mit dem Meistertitel schwieriger diese Saison?
Schaffartzik: Auf jeden Fall haben viele Teams gewaltig aufgerüstet. Für uns ist sicher positiv, dass die Mannschaft im Kern zusammen geblieben ist. Wir sind jedenfalls der Gejagte. Das ist immer schwerer als zu jagen. Wir werden uns ganz schön reinhängen müssen.

Wo sehen Sie die anderen Teams? Die Bamberger Kaderzusammenstellung ist eine klare Kampfansage...
Schaffartzik: Die Liga wird immer ausgeglichener. Kleine schlagen Große oder ärgern sie zumindest. Das gab es immer, aber ich hatte das Gefühl, dass es letzte Saison besonders oft vorgekommen ist.

Und in die Play-offs kommen die üblichen Verdächtigen?
Schaffartzik: Artland hat einen sehr interessanten Kader, genauso Oldenburg - sie haben viele Spieler gehalten und nur ein paar Puzzleteile ausgetauscht. Alba Berlin ist stark. Da ist wichtig, dass Sasa Obradovic geblieben ist. In Bonn ist es immer schwer zu spielen.

Warum?
Schaffartzik: Sie haben sehr gute Fans und spielen mit dem Focus auf der Verteidigung. Ich würde auch sagen dass sie sehr sehr fit sind. Als Jared Jordan gegangen ist, war Bonn meiner Meinung nach mit Geno Lawrence nicht schlechter. Das heißt, es spricht für das System in Bonn. Also: Oldenburg, Bamberg, Bonn, Artland, Berlin, Ulm.

Verbinden Sie irgendetwas speziell mit Bonn?
Schaffartzik: Wenn ich an Bonn denke, denke ich immer an diese Mannschaft, die schon so gut wie Meister war. Rowland, Strasser, Kolodziejski, Bowman, Johnson, Frazier, Yarbrough und Coach Mike Koch. Das war eine Super-Mannschaft, die habe ich gerne gesehen. Und es ist nach wie vor eine der ärgerlichsten Niederlagen im deutschen Basketball.

Das sieht man in Bonn nicht anders.
Schaffartzik: Das glaube ich! Grundsätzlich verbinde ich mit Bonn unglaublich viele sehr knappe Spiele.

Zum Abschluss: Eine Waffe des DBB-Teams sind die verrückten Distanzwürfe von Heiko Schaffartzik. Ist Selbstvertrauen eine der wichtigsten "Fähigkeiten" eines Basketballers?
Schaffartzik: Ich denke, Selbstvertrauen ist das Wichtigste in allen Lebenslagen. Wenn man nicht an sich glaubt, was soll denn dann funktionieren? Das ist nicht nur beim Basketball so.

Erinnern Sie sich an einen besonders verrückten?
Schaffartzik: Ich finde meine Würfe nicht verrückt! Habe ich auch noch nie gefunden. Vielleicht sieht es so aus, aber ich denke immer: Natürlich mache ich den jetzt. Ist doch klar. Ich gucke mir das Spielfeld an, wo sind die Spieler, was macht mein Verteidiger, rechnet der mit dem Wurf? Und wenn er nicht damit rechnet, ist es logisch zu werfen. Das Gegenteil von verrückt.

Es findet also eine Art "Risikominimierung" statt?
Schaffartzik: Klar. Das geht sehr schnell. Ich spiele das Spiel ja schon länger. Meine Würfe sind nicht verrückt!

Zur Person

Heiko Schaffartzik (30) begann seine Profi-Karriere 2002 bei Alba Berlin. Mit 13 Jahren hatte er mit dem Basketball aufhören müssen, weil er an Leukämie erkrankte. Von Berlin aus führte sein Weg dann unter anderem über Gießen, Oldenburg, Ludwigsburg, Ankara (wo er mit Tony Gaffney zusammen spielte) wieder über Berlin nach München. Schaffartzik spielt seit 2009 in der deutschen Basketball-Nationalmannschaft, seit 2011 ist der Spielmacher mit den Führungsspielerqualitäten ihr Kapitän.

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