Interview mit dem Basketball-Bundestrainer Fleming: "Wir müssen uns vor niemandem verstecken"

Chris Fleming hat viel erreicht im Basketball. Als junger Trainer führte er die Artland Dragons in die erste Liga, später, bei den Brose Baskets Bamberg, holte er viermal in Folge den deutschen Meister-Titel, dreimal davon in Kombination mit dem Pokalsieg. Jetzt steht er nach einjähriger Pause vor einer neuen Herausforderung: Er will die deutsche Nationalmannschaft nach Rio führen.

 Der Mann, der bei den deutschen Basketballern die Richtung bestimmt: Trainer Chris Fleming. FOTO: DPA

Der Mann, der bei den deutschen Basketballern die Richtung bestimmt: Trainer Chris Fleming. FOTO: DPA

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Mit einem entspannten Bundestrainer sprach Tanja Schneider.

Herr Fleming, mussten Sie lange über das Job-Angebot des DBB nachdenken?

Fleming: Nein. Als DBB-Generalsekretär Wolfgang Brenscheidt zu mir gekommen ist und wir darüber gesprochen haben, war das für mich eine große Ehre - und eine Aufgabe, die ich wahrnehmen wollte.

Wie ist er denn, der neue Bundestrainer?

Fleming: Das können andere sicher besser beurteilen. Aber ich kann sagen, ich bin froh, dass die Arbeit jetzt endlich begonnen hat. Was ich noch sagen kann: Ich bin authentisch.

Sind Sie einer, der bestimmt, welche Spieler zusammen im Doppelzimmer wohnen?

Fleming: Ja.

Und entscheiden Sie, wer Teamkapitän wird?

Fleming: Kann sein, ja. Das weiß ich noch nicht. Im Verein ist es besser, wenn die Spieler wählen. Für unsere relativ kurze Zeit des Zusammenseins kann man es vielleicht anders machen.

Wie sehen Sie Ihre Aufgabe?

Fleming: Wir haben die Verantwortung für eine wahnsinnig große Aufgabe. Das muss man so wahrnehmen, aber man muss es auch genießen können. Nicht in jedem Moment, aber immer zwischendurch. Diese Aufgabe ist eine einmalige Chance für uns alle und ich habe das Gefühl, dass auch die Jungs das realisieren. Alle.

Wie entsteht denn die neue Mannschaft eines neuen Bundestrainers?

Fleming: Es ist für uns alle ein Neustart, nicht nur für mich. Die Nationalmannschaft in dieser Zusammenstellung hat es vorher noch nie gegeben. Ich meine nicht nur die NBA-Spieler. Sondern auch: Per Günther fehlt, Tibor Pleiß war vergangenes Jahr nicht dabei, Anton Gavel ist ganz neu - wenn es klappt - und so weiter...

Mit "ES" meinen Sie die Spielberechtigung für den Guard Anton Gavel, der Slowake ist inzwischen Deutscher, hat aber bereits für die Slowakei gespielt. Wessen Idee war dieser Antrag?

Fleming: Er hat einen deutschen Pass - da war die Idee nicht so abwegig. Ich glaube, darauf sind wir beim Verband gemeinsam gekommen.

Und Anton Gavel?

Fleming: Ich habe ihn angerufen, er konnte sich's vorstellen. Die Telefonnummer hatte ich noch... (Anm. d. Red.: Fleming war in Bamberg lange Jahre Gavels Trainer)

Sie haben sich vorher von allen ein Bild gemacht, sind überall hingereist. Auch in die USA.

Fleming: Ja, ich glaube, das war ein Vorteil, den wir als Verband in den vergangenen Jahren nicht hatten. Der Bundestrainer war nie während der Saison frei, sodass er alle Spieler hätte live sehen können. Ich denke, das war für den Anfang notwendig und außerdem sehr gut.

In Bonn ist aus der Theorie erstmals Praxis geworden. Wie sind denn Ihre ersten Eindrücke?

Fleming: Bei den Spielern herrscht eine ganz hohe Bereitschaft, unseren Spielstil anzunehmen und zu entwickeln. Jedem merkt man an, dass er in die Mannschaft will. Das Team ums Team ist eingespielt, die Bedingungen sind sehr, sehr gut.

Also hat Telekom-Baskets-Trainer Mathias Fischer Recht, wenn er sagt, dass er mit seinem Team nicht in ein Trainingslager reisen muss, weil er zu Hause alles Notwendige hat...

Fleming: Genau. Deshalb sind wir hier. Die Anlage ist super, die Wege kurz. Wir haben sogar zur Unterstützung einige Bonner-Jugendtrainer mit dabei. Sehr gute Jungs. Es war das erste Mal, dass wir sowas ausprobiert haben und es hat sehr gut funktioniert.

Warum gibt es in der Vorbereitung kein Länderspiel in Bonn?

Fleming: Ich weiß es nicht. Hier haben ja schon einige Länderspiele stattgefunden. Vielleicht muss man, wenn man Basketball in Deutschland nach vorn bringen will, auch mal andere Standorte in Betracht ziehen...

Der Bonner Andrej Mangold war im vergangenen Jahr zum Lehrgang der Nationalmannschaft eingeladen, dieses Mal ist er nicht dabei. Warum?

Fleming: Ich glaube, dass Andrej eine Super-Saison gespielt hat. Er ist ein Spieler, der seiner Mannschaft mit seiner Energie gut helfen kann. Aber ich habe ein paar andere Jungs ein bisschen weiter vorn gesehen und wir haben uns deshalb für sie entschieden.

Zwölf Spieler werden bei der EM dabei sein, das heißt, es muss noch Absagen geben. Waren Sie schon mal in dieser Situation?

Fleming: Ich musste im Verein schon Spielern nach Probetrainings absagen. Aber die Jungs hier sind alle intelligent genug, um zu wissen, ob sie zu den Wackelkandidaten gehören. Dennoch, wenn es dann soweit ist, ist das keine einfache Situation und auch sicher nicht das Schönste an diesem Job.

Wie neutral kann ein ehemaliger Vereinscoach denn sein, wenn er sich zwischen einem Spieler, den er lange trainiert hat und einem anderen auf derselben Position entscheiden muss?

Fleming: Ich glaube, dass wäre im vergangenen Sommer viel schwieriger gewesen. Direkt im Anschluss an mein Engagement in Bamberg. Aber mit dem Abstand einer Saison, in der ich mir viel Zeit genommen habe, alle zu sehen und kennenzulernen, kann ich das relativ neutral beurteilen. Aber wir sind alle Menschen und es gibt Spieler, die dir aus irgendeinem Grund besser gefallen als andere.

Um nochmal auf den Spielstil zurückzukommen: Wie soll der aussehen?

Fleming: Im Prinzip wollen wir unsere Länge nutzen, um das Spielfeld kleiner zu machen. Daran arbeiten wir schon sehr hart. Offensiv wollen wir ins Laufen kommen und den Ball mit schnellen Pässen untereinander laufen lassen, um zum Wurf zu kommen.

Bestimmen die Spieler, die man hat, den Spielstil, den man wählt?

Fleming: Klar, die Mannschaftszusammenstellung ist eine andere als im Verein. Da ist es oft so, dass du eine Spielidee im Kopf hast und dafür die passenden Spieler suchst. Bei der Nationalmannschaft muss man sich überlegen, welcher Stil zu den Spielern passt, die man hat.

Das Olympia-Ticket zu bekommen, ist nicht einfach. Die ersten beiden bei der EM bekommen eins, die nächsten vier spielen Qualifikation. Wären Sie in Rio noch dabei - trotz der Spekulation, dass Sie in die NBA zu den Denver Nuggets gehen?

Fleming: Fakt ist: Wir haben nach allen Gesprächen im Vorfeld beim DBB gemeinsam entschieden, dass es ein Zwei-Jahres-Projekt ist - auch, wenn wir es nicht nach Rio schaffen. Dabei bleibt es. Es war aber auch immer klar, dass ich parallel dazu wieder im Verein arbeiten wollte - und das war okay so. Insofern ist das alles für mich kein Thema. Ich sehe die aktuelle, große Aufgabe - nicht rechts, nicht links. Ich habe mit keinem Verein gesprochen, der von mir verlangt, die Nationalmannschaft aufzugeben.

Denken Sie schon daran, wie schwer die Gegner in der Gruppe A sein werden: Island, Spanien, Serbien, Italien und die Türkei sind ziemliche Hausnummern...

Fleming: Egal wie die Gegner heißen: Wenn man bedenkt, wo die deutsche Nationalmannschaft in den letzten Jahren war, lag das sicher - auch wenn nicht immer alle Spieler dabei waren - ein Stück weit unter dem, was wir von uns selber erwarten. Es ist schön und gut, zu sagen: Wir wollen nach Rio. Aber um eine Mannschaft zu werden, die zu den Olympischen Spielen fährt, nachdem sie vor nicht allzu langer Zeit so gerade gegen Österreich gewonnen hat - da müssen wir an uns arbeiten. Und wir müssen uns in diesen Prozess verlieben. Aber ich glaube, dass die Jungs die harte Arbeit nicht scheuen.

Da ist es doch eine gute Voraussetzung, dass Sie die bestmögliche Nationalmannschaft zusammenhaben - sieht man von Verletzten wie Elias Harris, Daniel Theis und Maxi Kleber ab.

Fleming: Alle, die können, sind dabei.

Auch Dirk Nowitzki. Wie war das Gespräch mit ihm?

Fleming: Ich glaube, dass Dirk immer dabei sein wollte. Er liebt es, Basketball zu spielen. Die Nationalmannschaft hat für ihn einen extrem hohen Stellenwert.Von daher glaube ich nicht, dass ich ihn in irgendeiner Weise überredet habe. Er wollte sich die Chance einer Heim-EM nicht entgehen lassen.

Sie haben schon mit vielen Spielern zusammengearbeitet. Freuen Sie sich auf diesen besonders?

Fleming: Am Ende des Tages lernt man viel von seinen Spielern und nimmt von jedem was mit. Was mich bei Dirk am meisten begeistert, ist, dass er einfach Basketball liebt und spielen will.

Die drei NBA-Profis Dirk Nowitzki, Dennis Schröder und Tibor Pleiß haben von ihren Vereinen die Auflage, dass sie nur 35 Tage im Jahr für die Nationalmannschaft aktiv sein dürfen. Sie stoßen erst später dazu. Wird es schwierig, sie in den Vorbereitungsprozess zu integrieren?

Fleming: Ich erwarte keine Probleme - obwohl jeder Einzelne natürlich einen Einfluss auf das Gesamte hat.

Was sind die Stärken Ihres Teams?

Fleming: Ich hoffe, dass unsere große Stärke die gute Chemie ist. Gerade in der Nationalmannschaft muss das deine Stärke sein. Ich habe auch viel mit ehemaligen Nationalspielern gesprochen. Und wir sind immer wieder bei der Teamchemie gelandet.

Und wo sind die Schwächen?

Fleming: Im Vergleich zu unseren Gegnern ist der Erfahrungsschatz, was Turniere angeht, eher klein. Aber wir müssen uns vor niemandem verstecken.

Zur Person

Chris Fleming wurde am 3. März 1970 in Forked River/New Jersey geboren.1994 kam er nach Deutschland und spielte sechs Jahre lang in der Regionalliga für die Artland Dragons. 2000 beendete er seine aktive Karriere, wurde Trainer der Dragons und führte sie 2002/03 in die Basketball-Bundesliga. 2008 wechselte er zu den Brose Baskets Bamberg, mit denen er vier Meistertitel in Folge holte, drei davon als Double mit gleichzeitigem Pokalsieg. Nach dem frühen Playoff-Aus 2014 stellte Bamberg den Trainer frei. Seit Dezember 2014 ist Fleming Bundestrainer.

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