Staatsdoping in Russland WADA-Entscheidung: Leichtathleten fordern Votum

Frankfurt/Main · Der Druck ist groß, die weltweite Kritik immens. Dennoch wird das WADA-Exekutivkomitee der Empfehlung seiner Zulassungskommission höchst wahrscheinlich folgen und die russische Anti-Doping-Agentur RUSADA wieder zulassen. Bundesminister Horst Seehofer ist dagegen.

 Die WADA entscheidet auf den Seychellen über die Zukunft der RUSADA.

Die WADA entscheidet auf den Seychellen über die Zukunft der RUSADA.

Foto: Jean-Christophe Bott/KEYSTONE

Im Inselparadies der Seychellen trifft die Welt-Anti-Doping-Agentur am Donnerstag eine der schwersten Entscheidungen ihrer Geschichte.

Bereits die Empfehlung ihrer Zulassungskommission, den Bann der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA zu beenden, ist weltweit auf strikte Ablehnung und scharfe Kritik gestoßen. Es sieht aber so aus, als würde die WADA sich davon nicht beeindrucken lassen und die 2015 nach Aufdeckung des staatlich verordneten Dopings in Russland verhängte Sperre aufheben. Dies dürfte ihr höllischen Ärger einbringen und könnte sie Glaubwürdigkeit kosten.

Die Athletenkommission des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF hat die WADA in einem Brief aufgefordert, gegen die Wiederzulassung der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA zu stimmen. "Wir drängen darauf, entgegen der Empfehlung der Zulassungskommission der Welt-Anti-Doping-Agentur die RUSADA nicht zuzulassen", heißt es in dem Schreiben der IAAF-Athleten einen Tag vor der WADA-Entscheidung.

Außerdem appellierten sie in dem Brief an WADA-Präsident Craig Reedie, dass der Anforderungskatalog zur Aufhebung des RUSADA-Banns voll erfüllt werden müsse - inklusive der Anerkennung des McLaren-Reports mit den Ermittlungsergebnissen des 2015 aufgedeckten staatlichen Dopings in Russland.

In die Schar der Gegner hat sich auch der Bundesinnenminister eingereiht. "Für eine Wiedereinsetzung der RUSADA fordert die WADA, dass die Untersuchungsergebnisse des McLaren-Reports vollumfänglich anerkannt werden und dass der WADA Zugang zu dem Moskauer Labor und den dortigen Dopingproben gewährt wird", sagte Horst Seehofer der Deutschen Presse-Agentur. "Beides ist bisher nicht geschehen. Die Suspendierung sollte daher weiterhin aufrechterhalten werden, bis die von der WADA geforderten Kriterien zur Compliance mit dem Welt-Anti-Doping-Code erfüllt sind."

Der für den Sport zuständige CSU-Politiker ist zumindest in dieser Frage mit dem Koalitionspartner SPD einig. "Ich bin nach wie vor dagegen, die RUSADA zum jetzigen Zeitpunkt wieder zuzulassen", sagte Dagmar Freitag, Vorsitzende im Sportausschuss des Bundestages. "Man kann nicht erst seitens der WADA Bedingungen stellen und sie später für irrelevant erklären." Deshalb müsse Russlands Agentur non-compliant bleiben. "Ich habe aber die Sorge, dass die WADA umfallen wird", meinte die Sozialdemokratin. Denn "auch Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, scheint Interesse daran zu haben, dass die RUSADA wieder zugelassen" werde.

Im Juli hatte Bach am Rande der Fußball-WM gesagt, dass Russland den Anti-Doping-Kampf reformiert habe und verkündet, dass das IOC bereit zum "willkommen des Landes zurück" sei. Trotz des größten Doping-Skandals des 21. Jahrhunderts, mit Sabotage im Olympia-Labor der Winterspiele 2014 in Sotschi sowie rund 1000-fachen Manipulation von Doping-Proben durften bei den Sommerspielen 2016 in Rio rund 270 Russen als neutrale Athleten starten. Bei den Winterspielen im Februar in Pyeongchang wurden 169 Russen zugelassen. Und nach der Schlussfeier hob das IOC die Sperre des NOK des Landes auf.

"Am Willen des russischen Sports, zur Aufklärung des massiven Doping-Skandals vollumfänglich beizutragen, muss nach wie vor gezweifelt werden", bekräftigte Andrea Gotzmann, die Vorstandschefin der deutschen Anti-Doping-Agentur.

Dies geht auch aus Briefen des russischen Sportministers hervor, die Ende Mai und Ende Juni bei der WADA eintrafen. Im ersten Brief forderte Pawel Kolobkow bei der Entscheidung über die RUSADA, nur die "technischen Fähigkeiten" bei den Kontrollen zu beurteilen und keine "anderen Parameter aus der Vergangenheit" heranzuziehen.

Im zweiten Schreiben bestätigt der Minister, die Ergebnisse des Schmid-Report anzuerkennen. In dem vom IOC beauftragen Bericht des ehemaligen Schweizer Bundesrats wird festgestellt, dass Beweise gefunden wurden, die "die Unterstützung oder die Kenntnis des Systems durch die höchste Staatsführung bestätigten".

Aus dem McLaren-Bericht geht hervor, dass das russische Sportministerium verantwortlich für das Doping-System war. Warum das WADA-Zulassungsgremium dennoch die Empfehlung zur Aufhebung des RUSADA-Banns gegeben hat, ist vielen suspekt und gibt Anlass zur Spekulationen über Umtriebe im Geheimen.

In einer WADA-Mitteilung fünf Tage vor der Sitzung auf den Seychellen wurde der Vorschlag des Prüfgremiums mit "Führung erfordert Flexibilität" und eine "nuancierten Interpretation der Roadmap", um die Sache zu einem Ende zu bringen, verteidigt. "Als ehemalige Athletin wiederhole ich, was von sauberen Athleten aus aller Welt darauf zu hören ist: Wir haben die Sorge, dass die WADA-Spitze Flexibilität höher gewichtet als starke und entschiedene Führung", schrieb Claudia Bokel, die frühere Athletensprecherin des IOC, in einem Betrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Mittwoch).

Für Grigori Rodschenkow, den früheren Moskauer Laborleiter und unter Zeugenschutz in den USA lebenden Kronzeugen des Skandals, wäre die Aufhebung der RUSADA-Suspendierung "eine Katastrophe für olympische Sportideale, den Kampf gegen Doping und den Schutz von sauberen Sportlern", schrieb er in der Zeitung "USA Today".

Unterdessen hat WADA-Vizepräsidentin Linda Helleland angekündigt, der Empfehlung nicht zu folgen. "Wenn man für die Wiederzulassung Russlands stimmt, würde man dem Wunsch der Athletenkommissionen auf der ganzen Welt zuwiderhandeln, die sich klar positioniert haben, eine Zulassung jetzt nicht zu akzeptieren", sagte die Norwegerin, die Kandidatin für die Nachfolge von Präsident Craig Reedie ist.

Unabhängig von der WADA-Entscheidung will der Internationale Leichtathletik-Verband darüber befinden, wann er die Sperre des russischen Verbandes aufhebt. "Wenn die RUSADA ihre Arbeit aufnehmen darf, werden wir den Bericht darüber abwarten und dann beraten", sagte IAAF-Präsident Sebastian Coe jüngst. Die IAAF und das Internationale Paralympische Komitee (IPC) sind die beiden Weltverbände, die Russland bis heute gesperrt haben.

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