Kommentar zu Angelique Kerber Vorbild statt Star

Meinung | London · Bei ihrem Erfolg in Wimbledon hat Angelique Kerber bewiesen, was sich mit Willen, Mut zum Wandel und Hartnäckigkeit erreichen lässt. Ein Star ist sie deshalb nicht, aber ein Vorbild, findet GA-Redakteur Hartmut Eickenberg.

Aufgeben war für Angelique Kerber nie eine Option. Auch in ihrem Seuchenjahr 2017 nicht, als sie von Weltranglistenplatz eins auf Rang 21 abgestürzt war, sie Selbstzweifel quälten und Tennis auf einmal Last und nicht mehr Lust war. In diesen trüben Zeiten, als das Selbstbewusstsein in Trümmern lag und die Karriere zu versanden drohte, hat sie die Eigenschaften eines Champions gezeigt. Die Topstars der Branche lassen sich nicht sagen, sie müssten handeln, sie handeln. Angelique Kerber bewies Ende des vergangenen Jahres Mut zu radikalen Veränderungen und stellte ihr komplettes Trainer- und Betreuerteam neu auf.

Das war in dem Fall nicht selbstverständlich. Trainer Torben Beltz hatte sie fast ihr ganzes Tennisleben begleitet, sie waren befreundet, beide hatten ein Faible für verrückte Wetten, mit denen sie sich gegenseitig anstachelten. Doch Kerber wusste: Wenn sie den Weg zurück in die Weltspitze finden und sich ihren Wimbledon-Traum erfüllen wollte, musste sie raus aus dieser Komfortzone – selbst wenn ihr die Trennung menschlich weh getan haben dürfte. Es war der entscheidende Impuls.

Unter dem neuen Coach, dem Belgier Wim Fissette, der schon Kim Clijsters zu Grand-Slam-Titeln geführt hatte, hat sich Angelique Kerber im fortgeschrittenen Alter von 30 Jahren noch einmal neu erfunden – auch weil sie den Willen zur Selbstreflexion besaß. Sie ist gelassener geworden, weniger flatterhaft, setzt sich selbst nicht mehr so unter Druck wie in den Jahren zuvor. Kerber spielt seitdem nicht nur wieder konstant auf hohem Niveau, sie reifte auch als Persönlichkeit.

Die Kielerin mit polnischen Wurzeln taugt nicht zum Glamourgirl und wird nie den bunten Boulevard beckermäßig mit Einblicken in Lebens- und Liebeskrisen bedienen. Kerber ist kein Star, aber sie ist in vielerlei Hinsicht ein Vorbild. Sie hat demonstriert, was sich mit Willen, Mut zum Wandel und Hartnäckigkeit erreichen lässt.

Mit nun drei Grand-Slam-Titeln, dem Wimbledonsieg als Krönung, hat sie das Maximum aus ihrer Karriere herausgeholt. Und nebenbei das deutsche Tennis wiederbelebt – auch wenn ihr historischer Triumph keine Hysterie wie in den 80er Jahren auslösen wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Berechtigte Ausgrenzung
Kein Platz für Müller im DFB-Team Berechtigte Ausgrenzung
Aus dem Ressort