DFB-Pokalfinale Tief empfundenes Glück beim BVB

Berlin · Physiotherapeut Peter Kuhnt und Trainer Thomas Tuchel finden in der Halbzeitpause des DFB-Pokalfinales die richtigen Worte und trimmen die BVB-Profis auf Siegkurs. Dortmund holt den Pott gegen starke Frankfurter zum vierten Mal.

Es wäre keine bodenlose Übertreibung, räumte man diesem Mann eine prägende Rolle ein in diesem spannenden Schauspiel. Was nicht weiter verwundert, denn an Erfahrung und Erfolgen mangelt es Peter Kuhnt nicht: Der Forchheimer hat Meisterschaften erlebt und Pokaltriumphe. Kuhnt hat eben ein feines Händchen.

Doch nun, nach 23 Jahren im Dienst von Borussia Dortmund, ist Schluss für ihn. Die Mannschaft wird das bedauern. Denn zu ihrem Physiotherapeuten hatten sie einen bemerkenswert guten Draht. Und so also kam es in der Pause des Pokalfinales gegen Eintracht Frankfurt zu einem nie für möglich gehaltenen Gefühlsausbruch des 55-Jährigen – beim Stande von 1:1. Er hielt, erstmals in seinem letzten Spiel für den BVB, eine Ansprache an die Mannschaft, zehn Sekunden lang nur und sehr emotional. Wie Trainer Thomas Tuchel später bestätigte.

Was er der Mannschaft denn mit auf den Weg gegeben hat? Es fiel ihm nicht mehr ein, als er so dastand, mit zittrigen Knien und offenem Mund, in den alten Gemäuern des Berliner Olympiastadions. Tief empfundenes Glück spiegelte sich in seinen weit geöffneten Augen. Mehr noch: Begeisterung. Denn sie hatte ja geholfen, seine Sekundenansprache. Nach der Pause ließ der BVB das 2:1 folgen und holte nach langer Leidenszeit und drei verlorenen Berlin-Endspielen in Serie den Goldpokal. Zum insgesamt vierten Mal nach 1965, 1989 und 2012.

Am Ende des Abends schien es, als habe Trainer Tuchel eine ganz andere Form gefunden, dem eben Erreichten Ausdruck zu verleihen. Er wirkte wie ein Schattensuchender in der Wüste. Völlig ausgelaugt. „Ich bin irgendwie total leer gerade, weil es heute sehr harte Arbeit war. Es fällt viel ab, und ich genieße es im Moment sehr.“

Diese innere Leere war natürlich auch das Ergebnis der zuletzt quälenden Wochen mit dem schwelenden Konflikt zwischen ihm und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Das Amtsenthebungsverfahren Tuchels, so wird behauptet, soll in dieser Woche zum Abschluss kommen. Zumal Tuchels Verhältnis zu den Spielern auch nicht als ungetrübt gilt. Was Tuchel selbst zuletzt bestritt.

Eine Chance auf einen Verbleib bei der Borussia erkennt er dennoch. Gespräche zwischen ihm und der Clubführung soll es diese Woche geben. Darüber, ob er seinen Vertrag bis 2018 erfüllen darf oder gehen muss. „Natürlich möchte ich Trainer bleiben“, betonte Tuchel in der Nacht nach dem anstrengenden Finale. Als „ergebnisoffen“ bezeichnete er die anstehenden Gespräche.

Sportlich bleibt ihm mit der direkten Champions-League-Qualifikation und nun dem Pokaltriumph nichts vorzuwerfen. Und man darf sicher davon ausgehen, dass auch Tuchel einige passende Worte in der Halbzeit an seine Mannschaft gerichtet hat. Vermutlich werden es sogar einige mehr gewesen sein als die von Kuhnt. Offenkundig war jedenfalls, dass die Dortmunder das Spiel in der zweiten Hälfte wieder in den Griff bekamen, nachdem sie nach einer starken Anfangsviertelstunde den Frankfurtern mehr und mehr Raum gelassen hatten. Diese setzten ihre gefürchteten Nadelstiche.

Ja, der BVB musste sich nach dem herrlichen Führungstreffer durch Ousmane Dembélé (7.) gefühlt haben wie ein Nadelkissen. Ante Rebic traf zum verdienten 1:1 (29.), und so trieben die BVB-Profis ihren Physio Kuhnt in seinem Abschiedsspiel zu seiner Kabinenpredigt. „Wir fangen sehr gut an und machen das Tor“, sagte Tuchel später. „Dann hatten wir Angst, dass wir das Ding verlieren. Die Eintracht hat es dann sehr gut und mutig gemacht. Die Pause hat uns letztendlich geholfen.“

Nun kommt es selten vor, dass Spiele in der Pause gewonnen werden. Bisweilen aber eben schon. Und als Ironie der Geschichte erwies sich, dass ausgerechnet Verletzungen wichtiger Spieler den Dortmundern das Heft des Handelns wieder in die Hand drückten. Nach 45 Minuten ging es nicht mehr weiter für Kapitän Marcel Schmelzer (Muskelprobleme) und seinen Stellvertreter Marco Reus (siehe untenstehenden Artikel). Für sie schickte Tuchel dann Christian Pulisic und Gonzalo Castro aufs Feld, brachte so neue Dynamik und eine größere Stabilität in die zuvor leicht bröckelnde Statik des Borussen-Gefüges. Und letztlich den Sieg, den Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang mit einem mutigen Elfmeter-Lupfer (Frankfurt-Torhüter Lukas Hradecky hatte Pulisic gefoult) vollendete.

Der Erfolg war am Ende der größeren individuellen Klasse der Dortmunder gegen kompakte und kämpferisch starke Frankfurter zu verdanken. Aufgrund der zweiten Hälfte sei der Sieg für den BVB auch verdient, meinte Eintracht-Trainer Niko Kovac, lobte aber seine Spieler: „Das, was wir geleistet haben, ist einzigartig gewesen.“

Nicht weniger einzigartig war die Spielzeit von Liga-Torschützenkönig Aubameyang. Zu dem Zeitpunkt, als der begehrte Gabuner, der wie Kuhnt und wohl Tuchel sein letztes Spiel für den BVB bestritten hatte, am späten Abend noch einmal zurückkehrte auf den Rasen des Olympiastadions (um sich ein Stück des Tornetzes abzuschneiden), beantwortete Marcel Schmelzer noch einige Journalistenfragen.

Zunächst in aller Höflichkeit und derart, wie man es sich von einem Sieger nicht anders erwartet. Ein paar Tage werde man jetzt „auf jeden Fall feiern“, sagte er, dann verfinsterte sich seine Miene. Er ließ erkennen, dass es um das Binnenklima zwischen den Spielern und dem Trainer wohl nicht zum Besten bestellt ist. Der Linksverteidiger bezog sich auf die Maßnahme Tuchels, den defensiven Mittelfeldspieler Nuri Sahin, den viele in der Anfangself erwartet hatten, nicht in den Kader zu berufen. „Mich hat es sehr geschockt. Ich verstehe es einfach nicht“, sagte Schmelzer. „Wenn ein Spieler wie Julian Weigl ausfällt, dann ist der Einzige, der das mindestens genauso gut kann, Nuri Sahin.“

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