Deutsche Fußball-Nationalmannschaft Sieg gegen die Niederlande verschafft Löw etwas Ruhe

AMSTERDAM · Im achten Länderspiel nach dem WM-Debakel glückt der stark verjüngten DFB-Auswahl ein bedeutender Sieg. Das 3:2 in Holland verschafft vor allem Joachim Löw Ruhe und tut auch der Seele gut. Genugtuung verspürt der Bundestrainer nicht.

 Da lang: Amsterdam brachte Aufschlüsse über den Weg, den Trainer Joachim Löw seiner Mannschaft weist.

Da lang: Amsterdam brachte Aufschlüsse über den Weg, den Trainer Joachim Löw seiner Mannschaft weist.

Foto: dpa

Manchmal wüsste man schon zu gerne, wer in diesem Sieben-Millionen-Mitglieder-Verband eigentlich Forderungen an Joachim Löw stellen kann. An erster Stelle wäre da natürlich Reinhard Grindel zu nennen. Aber der Präsident des DFB hat, das behauptet er selbst, ein „freundschaftliches Vertrauensverhältnis“ zu Löw. Dem Bundestrainer mal ordentlich die Leviten zu lesen und möglichen Begehren in Richtung des Bundestrainers Nachdruck zu verleihen, so einfach ist das alles also nicht. Und wenn er doch etwas zu kritisieren hat, wie Löws Vorpreschen bei den Kündigungen für Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller, dann will Grindel seine Aussagen gar nicht erst als Ermahnung in Richtung Bundestrainer verstanden wissen.

Eigentlich wäre der frühere Journalist qua Berufsstand dazu zwar in der Lage, aber er hält sich zurück – er weiß ja, was er an seiner sportlichen Führungskraft hat. Löw gilt immer noch als unantastbar – zumindest im eigenen Haus.

Also müsste Löw schon selbst einschreiten, um Forderungen an seine Person zu richten. Er könnte dann so etwas sagen wie: Mensch, Jogi, zeig' doch endlich mal Emotionen. Doch selbst der am Ende glückliche 3:2 (2:0)-Erfolg der deutschen Mannschaft zum Auftakt der EM-Qualifikation in den Niederlanden, der aufgrund der beeindruckenden ersten Hälfte seine Berechtigung fand, vermochte es nicht, den Bundestrainer aus der Reserve zu locken. Als Löw nach dem Spiel da so saß auf dem Pressepodium der Johan-Cruyff-Arena, wirkte er nicht wie jemand, der gerade seine Feuertaufe im Erneuerungsprozess des deutschen Fußballs bestanden hatte. Er wirkte wie immer, gerade so, als schlürfe er auf irgendeinem sonnenüberfluteten Marktplatz, ganz der Dolce-Vita-Verfechter, seinen Espresso.

Erleichtert war er, keine Frage. Aber selbst Nachfragen nach seinem Empfinden oder gar nach Genugtuung nach der mitunter beißenden Kritik an seinem Führungsstil ließen Löw augenscheinlich kalt. „Zufrieden“ sei er, sagte er eher schmallippig, was den Fragesteller nicht zufriedenstellte. Löw wiederholte: „Ich war am Ende innerlich sehr zufrieden.“

Löw sah „schon auch“ das „Spielglück“ auf Seiten der Deutschen, die nach einer 2:0-Führung durch Leroy Sané (15.) und Serge Gnabry (34.) nach der Pause den Ausgleich hinnehmen mussten. Die Treffer von Matthijs de Ligt (48.) und Memphis Depay (63.) beflügelten die Holländer, doch die Löw-Elf erwies sich als widerspenstig und beharrlich; sie wurde vor allem von einem Glauben an die eigenen Fähigkeiten getragen, der die Verwaltungsmentalität der jüngeren Vergangenheit verdrängte. Das Spielglück entlud sich schließlich in ein Sekundenglück, als der Hoffenheimer Nico Schulz in seinem sechsten Länderspiel den Ball kurz vor Schluss ins holländische Tor lenkte. „Heute waren wir effizient und konzentriert im Abschluss“, meinte Löw, der sich mit dem Sieg, dem ersten einer deutschen Auswahl seit 23 Jahren in den Niederlanden, ein wenig Ruhe im brodelnden Umfeld verschafft hat.

Der Bundestrainer zeigte nach dem befreienden 3:2 am Spielfeldrand kaum eine Regung. Ohnehin neigt er in seinem Beruf als Trainer höchstens zu gelegentlichen Übersprungshandlungen, wenn seine Hände durch die immer noch sehr prächtigen dunklen Haare fahren oder sonst irgendwo sind, wo sie, folgt man dem „Knigge“, besser nicht wären. Aber sonst: die Aufgeräumtheit in Person.

Ganz anders als die Spieler, die nach dem Siegtreffer kaum wussten, wohin mit ihren Emotionen. Noch spät in der Nacht rief der junge Häuptling Joshua Kimmich dem Torschützen Schulz in der Mixed-Zone zu: „Da ist er, der Goldjunge.“ Der nimmermüde Matchwinner selbst, der den Ball mit seinem schwachen Fuß über die Linie drückte, wirkte zumindest euphorischer als sein Trainer. Er sagte: „Ich habe alles in meinen rechten Huf gelegt, und der Ball ist tatsächlich reingegangen.“ Es war auch ein Sieg für die geschundene deutsche Seele, die dem Neuaufbau nur nützlich sein kann. „Natürlich tut das der Moral gut“, befand DFB-Direktor Oliver Bierhoff.

Auch deshalb konnte Löw dann doch nicht ganz verbergen, dass der Erfolg gegen den Nachbarn auf der Bedeutungsskala weit oben anzusiedeln ist. Denn dieser Sieg war mehr wert als die drei Punkte für die Qualifikationstabelle, mehr als jedes Renommee. Es war zu erkennen, dass ein Prozess in Gang gesetzt worden ist, der die Aussichten auf die EM 2020 dann doch etwas hoffnungsvoller erscheinen lässt. Das fing in vorderster Linie an. Sané und Gnabry zogen ein von Lauffreude und Esprit bestimmtes Spiel in des Gegners Hälfte auf, das selbst einen 80-Millionen-Ablöse-Abwehrmann wie Virgil van Dijk mitunter ratlos zurückließ. Dass der Druck der Holländer nach der Pause ein Höchstmaß an Intensität erreichte, hatte einiges mit dem frühen 1:2 der Gastgeber (48.) zu tun. Es zeigte sich, dass die deutsche Mannschaft zwar den Weg in eine erfolgreiche Zukunft eingeschlagen hat, aber noch längst nicht angekommen ist.

Niklas Süle bot eine abgeklärte Vorstellung als Abwehrchef, das permanente Anrennen von „Oranje“ konnte aber auch er nicht verhindern. Im defensiven Mittelfeld mühte sich das Duo Toni Kroos/Joshua Kimmich nach Kräften. Fungierten die beiden in den ersten 45 Minuten noch als Schwungrad des deutschen Spiels, hatten sie nach dem Wechsel Mühe, die Mannschaft zusammenzuhalten. Eines einte jedoch alle deutschen Protagonisten: der Wille, nicht aufzustecken und der Glaube daran, selbst den Sieg erzwingen zu können.

Anführer Kimmich wusste die Dimension des Sieges richtig einzuordnen. Es höre sich vielleicht komisch an, sagte der Münchner, „aber im Nachhinein ist das 3:2 wichtiger, als wenn wir 3:0 gewonnen hätten“. Mit Widerständen umzugehen, diese Lektion hat die deutsche Mannschaft jedenfalls gelernt. In einem Spiel, das ebenso als Lötkolben herhalten könnte. „Ich glaube“, sagte Leon Goretzka, „so etwas schweißt zusammen. So etwas hilft bei der Entwicklung.“ Eine Entwicklung, die noch lange nicht abgeschlossen ist.

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