Interview mit Jörg Roßkopf Roßkopf: „Der Fußball frisst alles auf"

Ende Mai starten die Titelkämpfe in Düsseldorf. Vor dem Großereignis spricht Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf über seine Erwartungen an das Turnier, den Reformbedarf seiner Sportart und Zukunftshoffnungen.

 Jubeln in Rio über die Olympia–Bronzemedaille 2016: Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov, Trainer Jörg Roßkopf und Bastian Steger (von links).

Jubeln in Rio über die Olympia–Bronzemedaille 2016: Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov, Trainer Jörg Roßkopf und Bastian Steger (von links).

Foto: picture alliance / Felix Kästle/

Sein persönliches Fitnessprogramm absolviert der Tischtennis-Bundestrainer der Herren in der Mittagspause. Die Nationalmannschaft bereitet sich gerade im Deutschen Tischtennis-Zentrum in Düsseldorf auf die Heim-Weltmeisterschaft in der Stadt ab dem 29. Mai vor. Und während seine Spieler zwischen zwei Trainingseinheiten pausieren, dreht Jörg Roßkopf schnell eine gut halbstündige Joggingrunde im Stadtteil Grafenberg.

Das Ziel des Teams lautet trotz der seit Jahren schier übermächtigen Chinesen ganz klar: eine Medaille gewinnen. Der zweimalige Europameister Dimitrij Ovtcharov liegt zurzeit auf Platz fünf der Weltrangliste, Rekordeuropameister Timo Boll schob sich durch seinen Turniersieg bei den Korea Open in Seoul auf den achten Platz vor. Damit können die beiden deutschen Spitzenathleten frühestens im Viertelfinale auf einen Top-Chinesen treffen. Ausgelost wird am 28. Mai, einen Tag vor Beginn des Großereignisses. Über die WM sprach mit Jörg Roßkopf nach einer seiner Joggingrunden.

Mit welchen Erwartungen gehen Sie in die Titelkämpfe in Düsseldorf?

Jörg Roßkopf: Wir haben große Erwartungen an die Heim-WM. Der Verband will dadurch in die Öffentlichkeit rücken und das Publikum sowie die Medien wieder mehr auf die Sportart aufmerksam machen. Die große Kartennachfrage zeigt, dass die Menschen sich auf die WM freuen. Und wir wollen natürlich gut spielen. Es gibt ein paar Wettbewerbe, in denen wir Medaillenchancen haben.

Roßkopf: Ja, aber auch Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll im Einzel gehören dazu. Das Mixed-Doppel Petrissa Solja/Fang Bo ist außerdem ein heißer Kandidat. Wir haben durch die Zusagen der Chinesen für die Doppel zwei Chancen mehr bekommen.

Roßkopf: Die Chinesen wollen im Endeffekt dem Welttischtennis etwas unter die Arme greifen. Tischtennis im eigenen Land zu präsentieren, wenn im Halbfinale immer vier Chinesen stehen, ist auf die Dauer langweilig. Die Chinesen sehen außerdem, dass so etwas Medieninteresse bewirkt. Wir haben, wie viele andere Nationen auch, eine Anfrage gestellt, für Ovtcharov und Boll. Die Chinesen haben sich dann Timo ausgesucht, weil er dort populär ist und sich sehr viel Respekt erworben hat.

Roßkopf: Das ist sein gutes Recht. Aber ich denke, dass es für ihn besser ist, wenn er sich auf das Einzel konzentriert, das habe ich ihm auch erklärt. Er hat über Jahre hinweg kein Doppel gespielt. Doch man muss ein Doppel auch trainieren und Leidenschaft dafür entwickeln. Ich habe das jahrzehntelang selbst erlebt.

Roßkopf: Ich sehe die komplette WM noch wie einen Film vor meinen Augen. Damals mussten wir Schlag auf Schlag unsere Partie der letzten 16, dann Viertelfinale, Halbfinale und Finale spielen. Es bleibt sicher für alle das Bild von der Siegerehrung mit der Nationalhymne im Gedächtnis. Für mich persönlich war der Matchball wichtiger, der wie eine Erlösung gewesen ist. Die Anspannung war von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute größer geworden, bei den Zuschauern und Außenstehenden wohl noch mehr als bei uns. Unser Titelgewinn war dann für alle gigantisch. Heute gibt es das ja in keiner Sportart mehr, dass ein solcher Boom entsteht. Das ist heute unmöglich, weil sich die Medienlandschaft und das Verhältnis der Menschen zum Sport verändert haben.

Roßkopf: Weil der Fußball alles auffrisst. Fußball wird ständig übertragen. So kommt automatisch jede Sportart verschlafen daher. Es gäbe genügend Möglichkeiten, tolle Sportarten zu präsentieren. Wir haben jetzt die Eishockey-WM in Köln. Wieso kann man dann nicht im Sportfernsehen drei Stunden lang Russland gegen Schweden zeigen? Man muss das doch anbieten, wenn man eine solche Veranstaltung im eigenen Land hat. Da geht es um Sieg und Niederlage, aber auch darum, Kinder wieder zum Sport zu bewegen.Themen wie Gesundheit und Gemeinschaft spielen eine Rolle. Kinder kennen viele Sportler heute ja nur noch von der Playstation.

Roßkopf: Eine Woche nach unserem WM-Titel habe ich mit Borussia Düsseldorf im europäischen Finale gestanden, heute wäre das die Champions League. Das war drei Stunden live im Fernsehen zu sehen. Ich weiß gar nicht, ob vom Finale dieses Jahr zwischen Düsseldorf und dem russischen Orenburg überhaupt etwas übertragen worden ist. Dabei standen mit Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov, dem Japaner Jun Mizutani und dem Weißrussen Vladimir Samsonov absolute Topspieler an der Platte. Das ist einfach schade.

Roßkopf: Wir haben heute eine sehr junge Nationalmannschaft im Handball. Das hat damit zu tun, dass unser Team 2007 im eigenen Land Weltmeister geworden ist und die Kinder danach wieder in die Vereine gegangen sind. Vielleicht haben sich so auch die finanziellen Möglichkeiten für die Sportart verbessert. Timo hat mit Sicherheit auch mit Tischtennis angefangen, weil er gewusst hat, das ist eine tolle Sportart, und wir zu dem Zeitpunkt Weltmeister waren.

Roßkopf: Damals war die Sportart selbst das große Ereignis. Heutzutage muss einfach alles einen Eventcharakter haben. Aber am Ende ist entscheidend, was in der Halle passiert. Die Fußball-WM 2006 im eigenen Land war toll, aber wenn die Nationalmannschaft früh ausgeschieden wäre, wäre sie weit weniger toll gewesen.

Roßkopf: Ich glaube, das ist der richtige Weg. Es ist sehr schwierig, Tischtennis zu präsentieren, wenn man nicht weiß, ob ein Champions-League-Finale anderthalb oder vier Stunden dauert. Da ist es für das Fernsehen natürlich schwer, live zu übertragen. Wir haben die Möglichkeit, so etwas bei Turnieren einfach einmal auszuprobieren. Es gibt bei Ligaspielen in China, Russland oder Polen auch Versuche, wie beim Tennis mehrere Bälle einzusetzen, um die Pausen zwischen den Ballwechseln zu verkürzen. Ein Tischtennisspiel dauert einfach viel zu lange. Wir müssen uns Gedanken über den Zeitraum machen.

Wo sehen Sie das deutsche Tischtennis im internationalen Vergleich?

Roßkopf: Momentan steht China an eins, Japan an zwei, wir an drei. Das ist das Olympia-Ergebnis von 2016. Ich sage immer: Wir sind 2b, Japan ist 2a. Die Japaner haben im Damen- wie im Herrenbereich unglaublich aufgeholt. Da sieht man, was Olympische Spiele im eigenen Land wie Tokio 2020 ausmachen. Ich hoffe natürlich, dass wir wieder an die Zwei oder auch an die Eins herankommen, das ist unser Ziel. Wir haben zurzeit eine sehr starke Generation hochmotivierter Athleten, die auch noch länger spielen werden. Aber die Asiaten haben finanzielle Möglichkeiten, von denen wir nur träumen.

Roßkopf: Ja, aber sie haben es auch verdient. Die Kinder dort fangen mit fünf Jahren an, Tischtennis zu spielen, in Deutschland selten unter zehn. Auf einem guten Niveau sind sie dann vielleicht mit zwölf, 13, 14. Zu dem Zeitpunkt haben sie in China schon fünf bis acht Jahre mit den Besten trainiert und eine nahezu perfekte Technik. Bei uns gehen alle zum Fußball. Deshalb ist unsere Fußballer-Generation so stark, wir haben Talente ohne Ende. So ist es in China beim Tischtennis, sie können auswählen und Druck aufbauen.

Roßkopf: Wenn es eine normale WM wird, dann stehen im Halbfinale vier Chinesen. Ihr fünfter Mann ist ein junger Spieler, der zum ersten Mal bei einer WM antritt. Der ist zwar stark, aber nicht so stark. Dann haben sie mit Zhang Jike einen Star, der vielleicht schon über seinen Zenit hinaus ist. Das ist letztlich die Chance für alle anderen. Es wäre schön, wenn ein Spieler wie Boll, Ovtcharov, Mizutani, oder Samsonov dann bei dieser WM mal einen Chinesen schlägt.

Boll und Bastian Steger sind 36 Jahre alt, Ovtcharov ist 28. Was muss in der Nachwuchsförderung passieren, damit auch künftig Deutsche in der Weltspitze mitmischen?

Roßkopf: Die Trainer müssen noch besser ausgebildet und die Mädchen und Jungen motiviert werden, Tischtennis zu spielen. Unsere Aufgabe ist es, Kinder früher zu sichten, früher in die Landesverbände zu bringen und dort so auszubilden, dass sie auch früh in die Nationalmannschaft kommen. Dann trainieren sie vielleicht nicht mit 14 semi-professionell, sondern mit zwölf. Der DTTB macht da gute Arbeit, aber es ist natürlich sehr schwierig, Kinder, die bis drei, vier, fünf Uhr in der Schule sind, noch für eine Sportart zu motivieren.

Roßkopf: Dafür ist so eine WM perfekt. Wenn 8000 Leute in der Halle sind und die Wettkämpfe im Fernsehen auch gezeigt werden. Wenn die Kinder einen Boll oder Ovtcharov oder jemand anderen spielen sehen und dann raus an die Steinplatte gehen und selber zum Schläger greifen. Dann sagen sie, die Sportart ist toll, und dann treten sie mit ihren Freunden in einen Verein ein. Genau da muss man die Kinder abholen. Die Kinder müssen merken, da ist ein Trainer, der macht das toll, der ist engagiert.

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