Travis Tygart bei der Nada Modell Deutschland am Pranger

BONN · Der Mann hat das Äußere eines Asketen. Seine Haare sind dünn geworden, aber nicht grau. Die Adern treten an den Schläfen hervor, seine braunen Augen sind klar, strahlen Selbstsicherheit aus.

 Dopingbekämpfung als gemeinsames Anliegen: Travis Tygart, ...

Dopingbekämpfung als gemeinsames Anliegen: Travis Tygart, ...

Foto: Horst Müller

Er wirkt kraftstrotzend und überzeugend, wie ein guter Finanzberater. Doch der hier spricht, verkauft weder Aktienpakete noch Hypothekendarlehen, sondern die erfolgreiche Philosophie der US-amerikanischen Dopingjäger.

Travis Tygart einzuladen, zeugt vom Mut der Verantwortlichen der Nationalen Anti Doping Agentur Deutschland (Nada), denn irgendwie hatten sie ahnen müssen, was da kommen würde. Gestern diskutierte der aus Jacksonville in Florida stammende Rechtsanwalt, der seit 2007 die amerikanische Agentur Usada in Colorado Springs leitet und sich große Verdienste um die Entlarvung des einstigen Radsport-Helden Lance Armstrong und seines Umfeldes erworben hat, mit Journalisten im Bonner Wissenschaftszentrum. Seine Statements gerieten zu einem Plädoyer für hundertprozentige Unabhängigkeit der Dopingjäger von Politik und Sport - und führten den Zuhörern unweigerlich die Unzulänglichkeiten des deutschen Systems vor Augen.

Tygart sprach Klartext. "Unabhängigkeit ist ein Muss, um im Kampf gegen Doping erfolgreich zu sein", erklärte der Usada-Chef: "Die Sportorganisationen arbeiten für immer größere Veranstaltungen und bessere Fernsehverträge - und für mehr Geld für die Athleten". Dann auch noch gleichzeitig effektiv gegen den Einsatz verbotener Substanzen und Methoden im Spitzensport zu wirken, hält Tygart für unmöglich. Es reiche auch nicht, andere Organisationen zu beauftragen, wenn dort die selben, befangenen Personen die Verantwortung tragen würden.

"Der Interessenkonflikt ist immanent", sagte er: "Das gilt für den Sport selbst wie auch für die Politik." Jede Nation habe Interesse daran, möglichst viele Medaillen zu gewinnen. Dagegen gehe es für ihn und seine Mitarbeiter nur um eines: "Es ist unsere einzige Aufgabe, darauf zu achten, dass die Regeln eingehalten werden. Es geht für uns nicht darum, den Sport weiterzuentwickeln und zu promoten." Deshalb, so Tygart: "Es muss ein von der Regierung total unabhängiges System sein - frei von Politik, frei vom Sport." Das sei bei der Usada-Gründung 2001 der Startpunkt gewesen, die Grundlage, um vor dem Coup Armstrong auch schon den Skandal um das kalifornische Doping-Labor Balco und die Leichtathletik-Stars Marion Jones und Tim Montgomery aufzuklären.

In Deutschland vertritt Dagmar Freitag als Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag die Politik im Aufsichtsrat, dem auch Michael Vesper als Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes angehört. In den USA hingegen sucht sich die als sogenannter Federal Grant ähnlich einer Art Stiftung organisierte Usada ihre Aufsichtsratsmitglieder aus. Die Besetzung des Nada-Aufsichtsrates ist an Funktionen in Politik oder Sportorganisation geknüpft, auch das Bundesinnenministerium hat einen Sitz.

Andrea Gotzmann, früher Analytikerin im Kölner Anti-Doping-Labor und seit 2011 Nada-Vorstandsvorsitzende, darf darauf verweisen, dass der Nada-Vorstand, dem neben ihr Lars Mortsiefer als Chefjustiziar angehört, satzungsgemäß unabhängig agiert. Gotzmann verneinte entschieden etwaige Einflussnahmen im deutschen System. "Wenn der Fuchs in den Hühnerstall eindringt, bin ich der erste, der sich meldet, dass dies mit mir nicht zu machen ist", sagte die frühere Basketball-Nationalspielerin.

Dennoch, Tygart wiederholte seine Einschätzung mehrfach: "Ich bedaure, dass Deutschland keine wirklich unabhängige Agentur hat." Seine Kritik an der Struktur löste er ausdrücklich von der guten persönlichen Zusammenarbeit. Tygart lobte den nach seinem Besuch im Bundestags-Sportausschuss im Februar 2013 intensivierten Dialog mit der Nada. "Seitdem arbeiten wir sehr eng zusammen, tauschen etwa Musterfälle aus", sagte der Usada-Chef.

Auch die deutsche Vergangenheitsbewältigung interessiert ihn sehr, "weil wir sicherstellen müssen, dass nie wieder passieren darf, was früher passiert ist". Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, war auch das Ziel seines Treffens mit der Nada-Führung und Dopingopfer Ines Geipel am Vorabend. Geipel, die für ihre Aufarbeitung des DDR-Zwangsdoping-Systems das Bundesverdienstkreuz erhalten hat, sagte: "Unsere 20 Jahre Diskussion über DDR-Staatsdoping hat Tygart in fünf Minuten gut verstanden." Die 54-Jährige warnte: "Wir dürfen uns nicht darauf einrichten, dass alles Vergangenheit ist. Experten sagen, dass 40 bis 60 Prozent der deutschen Wintersportler mit Problemen nach Sotschi gefahren sind." Nada-Chefin Gotzmann konterte: "Wir verwehren uns gegen den Pauschalverdacht."

Nach Geipels Ansicht lässt sich die Differenz zu der verschwindend geringen Quote von weniger als einem Prozent positiver Kontrollen mit diesem Argument jedoch "nicht wegmoderieren". Am Ende stand, was für Tygart der Beginn von Effektivität ist: "Ihr müsst mit der Unabhängigkeit anfangen", sagte er vor laufenden Kameras auffordernd.

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