IOC-Entscheidung gegen Russland IOC schließt russisches Olympisches Komitee aus

BONN/LAUSANNE · Das IOC schließt das Nationale Olympische Komitee Russlands von den Winterspielen 2018 in Pyeongchang aus. Eine mutigere Konsequenz bleibt aus.

Hajo Seppelt standen am Dienstagabend in Lausanne tatsächlich und sprichwörtlich die Haare zu Berge. „Dass Russland mit einem blauen Auge davonkommt, zeigt, dass das IOC vor dem russischen Bären eingeknickt ist“, sagte der ARD-Journalist, dessen Dopingenthüllungen 2014 den Stein ins Rollen gebracht hatten, im Gespräch mit dieser Zeitung. Das Ergebnis, das IOC-Präsident Thomas Bach kurz vor 20 Uhr verkündet hatte: Kein Olympia-Ausschluss, aber Start unter neutraler Flagge. Russland kommt im größten Dopingskandal der letzten Jahrzehnte um die Höchststrafe herum, auch wenn die Sportgroßmacht an empfindlicher Stelle getroffen wird.

„Es war ein beispielloser Angriff auf die Integrität der Olympischen Bewegung und des Sports“, sagte Bach. Darum habe das IOC-Exekutivkomitee ausgewogene Sanktionen für die systematische Manipulation ausgesprochen. „Dies soll einen Strich unter die schädigende Episode ziehen und als Katalysator für einen effektiveren Anti-Doping-Kampf dienen“, sagte Bach weiter. IOC-Ermittler Samuel Schmid stellte klar: „Wir haben einen solchen Betrug noch niemals gesehen.“

Es tue ihm sehr leid für alle Athleten, die unter dieser Manipulation gelitten hätten, ergänzte Bach: „Wir werden nun mit der IOC-Athletenkommission nach Möglichkeiten suchen, um die Momente wieder aufleben zu lassen, die sie auf der Ziellinie oder auf dem Podium verpasst haben.“

Kollektivstrafen seien unangemessen

Der oberste Olympier, von Hause aus Jurist, rückte nicht von seiner Haltung ab, Kollektivstrafen als unangemessen einzustufen. Grundsätzlich mache „der Schutz einzelner Athleten, die nicht Teil des Systems sind“, durchaus Sinn, räumte Seppelt ein. Die Chance, endlich ein deutliches Signal im Sinne des Sports zu senden, sei indes verpasst worden: „Ein Komplettausschluss Russlands war der überfällige Schritt für die Rückkehr zur Glaubwürdigkeit.“

Dieser aber ist nun ausgeblieben – obwohl die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) die Ausführungen Grigori Rodtschenkow als glaubhaft eingestuft hatte. Gipfel der Manipulationen war dem ehemaligen Leiter des Moskauer Anti-Doping-Zentrums zufolge, dass während der Olympischen Spiele in Sotschi belastete Urinproben russischer Athleten gegen saubere ausgetauscht wurden. Lug und Trug hatten System im russischen Sport.

In den frühen Morgenstunden hatten die Beratungen des 14-köpfigen Exekutivkomitees begonnen. Zurückgezogen, abgeschirmt, die Mobiltelefone abgeschaltet. Um möglichst keinerlei Spekulationen über Beeinflussung von außen aufkommen zu lassen. Am Ende verzichteten die Herren der Ringe auf die härteste Strafe: Wie schon im Sommer 2016 in Rio de Janeiro werden auch bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang russische Sportler starten – wenn auch nicht unter russischer Flagge. „Das weitere Delegieren der Einzelfälle an die Sportfachverbände kann zu einem ähnlichen Chaos führen wie bei Olympia in Rio“, glaubt Seppelt.

Das IOC-Exekutivkomitee unter Leitung von Bach sah es als erwiesen an, dass Russland während der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 mittels eines staatlich gelenkten Dopingsystems betrogen hat. Eine Kommission unter der Leitung des ehemaligen Schweizer Bundesrates Schmid hatte in den vergangenen Monaten ermittelt, inwiefern russische Polizei und Geheimdienste beteiligt waren und ihre Ergebnisse der 14-köpfigen Exekutive präsentiert – abgeschirmt von den etwa 200 Journalisten aus aller Welt, die in der olympischen Hauptstadt auf die Entscheidung warteten.

Spannung, wie Russland reagiert

Man darf nun gespannt sein, wie Russland auf die Strafe reagiert. Für diesen Mittwoch hat Staatspräsident Wladimir Putin eine Stellungnahme angekündigt. Die russischen Verantwortlichen hatten in der Vergangenheit zwar Fehler im Anti-Doping-Kampf eingeräumt, ein staatlich unterstütztes Dopingsystem aber stets bestritten und die Vorwürfe von Wada-Sonderermitter Richard McLaren und dem Whistleblower Grigorij Rodtschenkow als westliche Propaganda abgetan.

Kreml-Sprecher Dimitri Peskow hatte am Montag erklärt, dass sein Land keinen Boykott erwäge, aber Putins Entscheidungsgewalt betont. Möglicherweise sind die Russen angesichts der Schwere der Vorwürfe bereit, die bittere Pille neutrale Flagge zu schlucken, auch wenn Putin dies im Vorfeld als „Erniedrigung des Landes“ bezeichnet hatte. Laut Exekutiv-Entscheid soll Russland bei den Winterspielen in Pyeongchang nicht vorkommen. Es wird keine russische Hymne gespielt, und es werden keine russischen Embleme zu sehen sein. Der ehemalige Sportminister und heutige Vize-Premier Witali Mutko wurde lebenslang von Olympischen Spielen ausgeschlossen. Zudem verhängte das IOC eine Geldbuße in Höhe von 15 Millionen Dollar, die in den Anti-Doping-Kampf fließt.

Der Ruf des Spitzensports leidet unter der Situation, und mit ihm der Gemütszustand der Protagonisten. Vor allem der sauberen. Das IOC-Urteil dürfte den Frust vergrößern, denn die positiven Werte des Sports geraten aus dem Blick. „Leidenschaft, Beharrlichkeit, Fairness – Attribute, die in der Gesellschaft Vorbilder kennzeichnen“, zählt Richard Schmidt auf. Der 30-Jährige ist Olympiasieger im Achter und der einzige Deutsche in der Athletenvertretung der Wada. Der Ruderer war für einen Kompletausschluss: „Wenn Doping mit System passiert, ist es eine ganz andere Qualität des Betrugs. der russische Verband muss merken, dass es so nicht geht.“

Auch wenn die in Bonn ansässige Nationale Anti-Doping-Agentur Deutschlands die IOC-Entscheidung am Abend als „ein klares Signal für den sauberen Sport“ (Nada-Chefin Andrea Gotzmann) begrüßte: Die Werte, die Thomas Bach als Fecht-Olympiasieger von 1976 glaubhaft verkörperte, wanken weiter. „In den Medien geht es bei Olympia nur noch um Doping oder Korruption“, klagt Ruderer Schmidt. Und beteuert: „Dabei ist Olympia doch soviel mehr.“

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version ist uns ein Fehler unterlaufen, die russische Fahne bildet die Symbole Hammer und Sichel nicht ab. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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