Die Sonntagskicker Abseits: Erlebnis statt Ergebnis

Bonn · Der Fußball-Verband Mittelrhein setzt sich für die Abschaffung von Tabellen und Ergebnissen bei den F-Junioren ein. Die Handhabe hat Vor- und Nachteile.

 Bambinis

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Foto: Müller

Lange Unterhosen lugen unter den kurzen Fußballshorts hervor. Longsleeves wärmen unter den Trikots. Der eine trägt eine Wollmütze, ein anderer Fäustlinge. Es ist kalt und dunkel, als die kleinen Kicker über den Platz tollen. Nahezu im gesamten Verbreitungsgebiet haben die F-Jugendlichen das Training längst wieder aufgenommen. Kein Wunder.

Denn schon bald startet für viele von ihnen die Rückrunde. In die Meisterschaft? Mitnichten. Wenn es nach den Verantwortlichen des Fußball-Verbandes Mittelrhein (FVM) geht, kann von Meisterschaftsbetrieb keine Rede sein. „In unserer Philosophie spielen die Ergebnisse in diesem Bereich keine Rolle“, sagt FVM-Präsident Alfred Vianden. „Wir wollen die Kinder durch Spaß an den Fußball heranführen. Das Erlebnis steht im Vordergrund."

Auch Holländer und Schweden verzichten auf Tabellen

Seit Jahren wünscht sich der Verband, die Ergebnisse und Tabellen nicht mehr widerzuspiegeln. Selbst auf dem größten Online-Fußballportal „fussball.de“, das beim DFB beheimatet ist, sucht man die Ergebnisse vergebens. „Nicht nur der FVM, sondern der ganze DFB und neuerdings auch die Holländer und Schweden verzichten auf die Veröffentlichung der Ergebnisse und Tabellen im Kinderfußball“, so Babett Lobinger, Dozentin am Psychologischen Institut der Sporthochschule Köln. „Das kann ich aus sport- und entwicklungspsychologischer Sicht nur unterstützen.“

Die Philosophie des FVM stößt allerdings nicht nur auf Gegenliebe. „Diese Handhabung hat Vor- und Nachteile“, sagt Martin Jedrusiak-Jung, ebenfalls Sportwissenschaftler. „Ich kann die Idee zwar nachvollziehen, die Jungs realisieren aber doch ganz genau, wie sie gespielt haben.“ Der Jugendleiter des FC Hennef steht der Philosophie des FVM daher gespalten gegenüber. „Grundsätzlich sollen die Spieler auch Normen und Werte vermittelt bekommen. Wir arbeiten an der Sozialisation. Dazu gehören leider auch Niederlagen.“

Das sieht man beim Bonner SC ähnlich. Auch hier ist man von dem Konzept des FVM nicht vollends überzeugt. „Es ist eine knifflige Angelegenheit. Wir definieren uns in Bonn als Leistungsverein und wollen ganz vorne mit dabei sein“, sagt Nicolas Lautenschlager, Jugendleiter des BSC. „Natürlich ist der Spaß die Grundlage. Aber es gehören auch Werte dazu.“

In Hennef und beim BSC zählt schon bei den Kleinen der Leistungsgedanke. Dabei geht es ausdrücklich nicht um Ergebnisse, sondern in erster Linie um eine positive Entwicklung der Spieler. Dennoch, in diesen Vereinen gehen die kleinen Hoffnungsträger nicht selten als Sieger vom Platz. In anderen Vereinen sieht es mitunter ganz anders aus. Wieder eine Niederlage, wieder zahlreiche Gegentore – der Spaß am Spiel bleibt auf der Strecke. „Bei zu deutlichen Ergebnissen ist der Frust bei den Kindern einfach zu groß“, so Vianden.

Eine Liga ohne Sieger, das Ergebnis vollkommen uninteressant? Lautenschlager sieht darin noch eine andere Problematik. „Die Frage ist doch, wie sich diese Handhabung auf Trainer auswirkt“, sagt der BSC-Jugendleiter. „Auch die Übungsleiter wollen gewinnen. Nicht zuletzt, um sich zu definieren. Ich bin mal gespannt, ob sich das positiv entwickelt.“

Bei den Kindern ist die Diskussion oft kein Thema. Zumindest nicht auf dem Platz. Oft gibt es erst auf dem Heimweg oder zu Hause Gesprächsbedarf. Denn: „Ich glaube nicht, dass ein F-Jugendlicher in der Zeitung oder im Internet selbstständig nach der Tabelle sucht“, so Lobinger. „Viel prägender sind ein enttäuschter Trainer, Vater oder Mutter.“ Das Ausblenden der Tabellen ist also nicht nur eine Maßnahme, die die jungen Kicker etwas angeht. „Man kann den Kindern so sicherlich ein wenig Druck nehmen“, glaubt Jedrusiak-Jung.

Das Problem ist oft der falsche Ehrgeiz der Eltern. Erst am Wochenende kam es bei den Junioren-Hallenmeisterschaften in der Hardtberghalle zu unschönen Szenen. Ein Betreuer war mit der Entscheidung des Schiedsrichters nicht einverstanden. Nach dem Spiel folgte der Mann dem Unparteiischen in einen abgesperrten Bereich. In dem folgenden Handgemenge schlug der Betreuer den Hallensprecher. Der 19-Jährige wurde ins Krankenhaus gebracht und erstattete Anzeige. Sportrechtliche Folgen sind wahrscheinlich.

„Das ist so schade, was man da manchmal erlebt“, sagt Vianden. „Es ist erschreckend, wie unsere Schiedsrichter angegangen werden. Wir kämpfen um jeden Unparteiischen – und dann so etwas.“ Falscher Ehrgeiz, falsche Begeisterung. „Das Problem sind oft die Eltern“, erklärt Jedrusiak-Jung. „Ein F-Jugendspieler hat sicherlich nicht die Intention, einen anderen Spieler zu verletzen. Das sind motorische Mängel. Die Aggression kommt meist von draußen rein.“

Der FVM hat auf solche Ereignisse reagiert. Schon vor Jahren wurde die FairPlay Liga für die F-Junioren ins Leben gerufen. Schiedsrichter gibt es nicht. „Die Kinder sollen Verantwortung übernehmen und selbst entscheiden“, so Vianden. Die Betreuer sollen nur eingreifen, wenn die Kinder sich nicht einigen können.

Die Eltern stehen 15 Meter entfernt. Sie sollen keinen Einfluss auf das Spiel nehmen. „Wir waren mit dieser Liga Vorreiter im DFB“, erklärt Vianden. Mittlerweile ist die Liga in allen 21 Verbänden eingeführt. Und das ganz im Sinne der Kinder. Denn wenn sie in der Kälte über den Platz rennen, geht es für sie in erster Linie nicht um die Tabelle. Es geht einzig um das Spielen.

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