Endspiel in London Endet die Schach-WM mit einer Armageddon-Partie?

London · Zwölfmal haben sie sich in den vergangenen zwei Wochen am Schachbrett stundenlang gegenüber gesessen, zwölfmal gab es ein Remis. Das WM-Duell zwischen Carlsen und Caruana ist eins auf Augenhöhe. Doch nun wird eine Entscheidung erzwungen.

 Schachweltmeister Magnus Carlsen (r) und sein Herausforderer Fabio Caruana müssen nach zwölf Mal Remis im Endspiel die Entscheidung suchen.

Schachweltmeister Magnus Carlsen (r) und sein Herausforderer Fabio Caruana müssen nach zwölf Mal Remis im Endspiel die Entscheidung suchen.

Foto:  Matt Durham/AP

Wer ist der beste Schachspieler der Welt? Die Antwort darauf liefert das letzte Kapitel der Schach-WM in London zwischen dem amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen und seinem Herausforderer Fabiano Caruana.

Nachdem die zwölf regulären Partien mit klassischer Bedenkzeit alle remis endeten, entscheidet an diesem Mittwoch der Tiebreak darüber, wer den Titel tragen darf.

Rückblende auf die zwölfte Partie am Montag. Carlsen ist mit Schwarz von Beginn an am Drücker und hat Caruanas Armee auf dem Brett zurückgedrängt. Außerdem hat er einen großen Vorsprung bei der verbleibenden Bedenkzeit, die auf der Schachuhr gemessen wird. Während der 27-jährige Norweger noch fast 40 Minuten bis zur Zeitkontrolle im 40. Zug übrig hat, muss der ein Jahr jüngere Amerikaner mit italienischen Wurzeln in heikler Stellung mit 16 Minuten auskommen. Alle Zuschauer im Saal und Hunderttausende Fans, die weltweit die Live-Ticker verfolgen, rechnen mit einer dramatischen Schlussphase. Dann aber die große Überraschung: Mit seinem 31. Zug bietet Carlsen remis an. Caruana denkt kurz nach, kann aber unmöglich ablehnen. Das bedeutet: Tiebreak.

Diese Verlängerung bei der WM, die eine Entscheidung erzwingen soll, besteht aus mehreren Schritten. Zuerst werden vier Schnellschach-Partien gespielt. Dabei hat jeder Spieler eine Bedenkzeit von 25 Minuten, plus 10 Sekunden Zeitgutschrift pro Zug. Falls danach immer noch kein Sieger feststeht, folgen fünf Blitz-Mini-Matches à zwei Partien, mit fünf Minuten Bedenkzeit pro Spieler und drei Sekunden Zeitgutschrift pro Zug. Falls nach keinem der Mini-Matches ein Sieger feststeht - was recht unwahrscheinlich ist -, folgt dann eine finale sogenannte Armageddon-Partie. Hier hat Weiß fünf Minuten Bedenkzeit und Schwarz nur vier Minuten plus jeweils drei Sekunden Zeitgutschrift ab dem Zug 61. Weiß muss die Partie gewinnen, Schwarz reicht dann ein Remis. Kurzum: Es kann ein langer Nervenkrieg werden.

Natürlich kam nach der zwölften Partie die Frage auf, warum Carlsen nicht sofort die Entscheidung gesucht hat. Seine selbstbewusste Antwort: "Ich denke, dass ich sehr gute Chancen habe, den Tiebreak zu gewinnen. Vor der heutigen Partie dachte ich, dass es gut ist, den Tiebreak zu erreichen. Ich bin immer noch froh darüber." Aber es war doch so eine gute Stellung, entgegnete ihm der WM-Pressechef, Daniel King. "Jeder konnte sehen, dass ich nicht wirklich auf das Maximum aus war in einer Stellung, die sehr sicher für mich war", verteidigte sich Carlsen.

Die Aussagen sprechen Bände. Der Weltmeister sieht sich im Schnell- und Blitzschach einfach als klaren Favoriten, daher sucht er die Entscheidung in der Verlängerung. Für seine Siegesgewissheit spricht auch Einiges. Schon 2016 verteidigte er seinen Titel gegen den Russen Sergej Karjakin im Tiebreak erfolgreich mit 3:1. Damals gab er sogar die zwölfte Partie mit Weiß ohne Kampf remis, um in die Verlängerung zu gehen.

Carlsen dominiert auch im Schnell- und Blitzschach. Die Schnellschach-Weltrangliste führt er als klare Nr. 1 an, mit einer Elo-Zahl von 2880 - diese Punktzahl gibt die Spielstärke wieder. Caruana ist dagegen mit fast 100 Punkten Rückstand nur die Nr. 8 der Welt. Im Blitzen ist die Sache sogar noch deutlicher. Carlsen ist mit einer Wahnsinnszahl von 2939 die Nr. 1, Caruana mit 2767 die Nr. 16. Außerdem war Carlsen schon drei Mal Blitzschach- und zwei Mal Schnellschach-Weltmeister.

Caruana scheint das aber alles nicht zu beeindrucken. Vor einigen Tagen äußerte sich der in Brooklyn aufgewachsene Großmeister schon, dass er sich nicht als Außenseiter sieht im Tiebreak. Und der Ausgang der zwölften Partie gab ihm Auftrieb: "Ich bin erleichtert, da ich dachte, dass es sehr eng ist. Wenn du glaubst, dass du am Rand des Verlusts stehst, dann ist der Tiebreak eine gute Option." Sollte Caruana gewinnen, könnte er den amerikanischen Schachtraum wiederbeleben - 46 Jahre, nachdem Robert James "Bobby" Fischer 1972 in dem als Kampf der Systeme apostrophierten WM-Match gegen Boris Spasski gewann.

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