Unterwegs im Begleitfahrzeug Eine Fahrt im Materialwagen auf der Deutschland-Tour nach Bonn

Bonn · Stürze, Pannen und Überholmanöver - GA-Reporterin Nathalie Dreschke erlebt den Auftakt der Deutschland-Tour in einem Begleitfahrzeug des offiziellen Reifenherstellers.

Zur Linken eine steile Steinwand, zur Rechten ein Abhang. Die enge Landstraße ist voll von Autos, Motorrädern und Radprofis. Via Funk ertönt auf Italienisch eine Anweisung, zumindest vermute ich das, denn ich spreche kein Italienisch, aber der Fahrer des Wagens, Giovanni Fidanza, drückt unverzüglich auf das Gaspedal.

Meine Hand krallt sich am Griff der Autotür fest und ich kneife meine Augen zusammen. Meinem Augenmaß zu urteilen, passt der Materialwagen des Reifenherstellers Vittoria nicht mehr an der Steinwand und dem rechts fahrenden Auto vorbei. Der Tacho zeigt inzwischen über 100 km/h an, während Fidanza auf eine Kurve zufährt und Casiraghi Stefano auf dem Rücksitz sich in Position begibt. In seiner linken Hand hält er einen Ersatzreifen, die rechte Hand ruht am Türgriff.

Ein weiterer Funkspruch tönt durch das im Auto montierte Gerät: „Abbruch“, heißt es. So schnell wie Giovanni Fidanza das Fahrzeug beschleunigt, reguliert er die Geschwindigkeit und reiht sich hinter den anderen Fahrzeugen ein. Der 53-jährige Giovanni Fidanza und sein 25-jähriger Kollege Stefano Casiraghi sind Mitarbeiter der Firma Vittoria, des offiziellen Reifenlieferanten der Deutschland-Tour 2018 und Fahrer eines der neutralen Materialwagen der Deutschlandtour. Ich habe an diesem Tag die Gelegenheit, die beiden Italiener zu begleiten.

Mit Fahrrädern auf dem Dach und Ersatzreifen auf der Rückbank fahren drei Materialwagen die offizielle Strecke ab und versorgen die Radprofis im Notfall mit Material. Jedes der sechs Teams schickt eigene Materialwagen mit auf die Strecke.

Der neutrale Materialwagen kommt nur dann zum Einsatz, wenn das Teamfahrzeug weiter von dem hilfesuchenden Fahrer entfernt ist als das Vittoria-Fahrzeug. Daher auch der abrupte Abbruch nach der ersten Funk-Anweisung. Dass Fidanza bereits seit neun Jahren für verschiedene Unternehmen Materialwagen fährt, ist ihm sichtlich anzumerken. Er sitzt entspannt hinter dem Steuer, die rechte Hand locker am Lenkrad und die linke hängt entweder zum Fenster heraus oder gestikuliert, während er sich mit vorbeifahrenden Kollegen unterhält. Als bei Kilometer 30 der 157 Kilometer langen Strecke plötzlich eine Wespe in das Auto fliegt, scheucht er diese mit den Händen heraus, ohne auch nur einen Zentimeter von der Spur abzukommen, selbstverständlich bei Tempo 80.

Die Nervosität lässt nach

Meine anfängliche Nervosität lässt nach, und ich fange an, Fidanzas italienischem Fahrstil Vertrauen zu schenken. Meinen Respekt für seine Fahrweise hat er bereits, ein anderes Können von ihm beeindruckt mich allerdings noch mehr: das Verstehen der Funksprüche. Dass ich kein Italienisch spreche ist bereits bekannt, aber auch die deutschen oder englischen Funksprüche sind für mich nahezu unverständlich. Während auf Deutsch, Englisch und Französisch regelmäßig die aktuellen Zwischenstände durchgegeben werden, kommunizieren die Fahrer untereinander. Das Ergebnis ist ein für mich heilloses Durcheinander von Stimmen. Giovanni Fidanza scheint das nicht vor Probleme zu stellen. Und wenn doch mal ein Funkspruch nicht verstanden wird, drückt er schnell auf das Gaspedal, zieht vor zum entsprechenden Wagen, lässt das Fenster runter und bespricht sich mit seinen Kollegen oder auch mit den Profis. Bei Kilometer 40 fährt ein Profi neben das Vittoria-Auto, hält sich mit der linken Hand am Wagen fest und gibt mit der rechten – über mich Hinweg – Fidanza die Hand. Vermutlich werden ein paar Grußworte ausgetauscht und dann zieht der Profi wieder davon.

In jedem Ort, den wir auf der ersten Etappe der Deutschlandtour durchfahren, stehen Zuschauer an den Seiten. Jeden, der freundlich winkt, eine Flagge hält oder kostümiert ist, hupt Fidanza an. Der Großteil der Strecke ist geschafft, bis auf die eine „Fehlalarmierung“ verläuft die Fahrt ohne Probleme und Unterbrechungen. In Bonn-Limperich kommt es kurz zu einer brenzligen Situation. Die Radprofis befinden sich bereits im Schlussspurt, als sich zwei Fahrer aus den Teams Quickstep und Sauerland in die Quere kommen und stürzen, ganz knapp vor Fidanzas Wagen. Geistesgegenwärtig bremst Giovanni Fidanza ab, lenkt nach rechts und entschärf die Situation.

Die letzten zwei Kilometer fahren wir dicht hinter den Profis, bis wir kurz vor der Ziellinie von den Streckenposten abgeleitet werden. So abrupt und rasant wie Fidanzas Fahrweise, endet auch meine Fahrt im Vitorria-Wagen.

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