Düsseldorf dreht am großen Rad Die Tour de France startet wieder in NRW

Zum ersten Mal seit 30 Jahren startet der Klassiker wieder in Deutschland. Nordrhein-Westfalens Landeshauptstadt erwartet am Wochenende rund eine Million Radsportfans. Oberbürgermeister Geisel steht als treibende Kraft hinter diesem Riesenevent.

 Start zur 104. Auflage: Die Tour mit ihren Triumphen, Tragödien und Skandalen zieht immer noch Millionen in ihren Bann.

Start zur 104. Auflage: Die Tour mit ihren Triumphen, Tragödien und Skandalen zieht immer noch Millionen in ihren Bann.

Foto: picture alliance / dpa

Die „Schicke Mütze” liegt etwas versteckt in einem Hinterhof in der Düsseldorfer Talstraße, unweit der Königsallee. Es ist der Szenetreff für alle, die das Fahrrad lieben, egal ob Hollandrad, Klapprad oder die 5000-Euro-Rennmaschine. Hier werden Touren organisiert, hier wird geschraubt, restauriert, gefachsimpelt und der Energiespeicher aufgefüllt. Die „Schicke Mütze” ist Fahrradgeschäft, Werkstatt und Café unter einem Dach. Ein Konzept, das ungewöhnlich ist, das aber offenbar ankommt, wie die gut besetzten Tische unter dem schrägen Vordach beweisen, dessen schirmmützenartige Form dem kultigen Treffpunkt seinen Namen gab. Wer hier hinein einbiegt, teilt eine Leidenschaft – die fürs Rad.

Am Mittwoch schaut die Tour de France schon mal an der Talstraße vorbei – oder wenigstens ein kleiner Teil von ihr. Drei Tage vor dem Event am 1. Juli, dem Einzelzeitfahren, macht die Équipe der „Schicken Mütze” gemeinsam mit dem Cannondale-Team aus den USA einen Ausflug per Rad ins Umland. Amateure treffen Profis.

Carsten Wien, einer der Mützen-Geschäftsführer, freut sich auf den Trip, mehr aber noch auf das Mega-Ereignis in seiner Stadt. „Ich hätte nie erwartet, dass ich das erleben würde“, sagt er, um dann hinzuzufügen: „Ich hätte aber auch gedacht, dass die Euphorie in der Öffentlichkeit noch größer wäre. Das ist doch das größte Event, das Düsseldorf je gesehen hat. Wären wir eine Radsport-Nation wie Holland, Italien oder Frankreich, wäre hier eine Stimmung wie beim Endspiel der Fußball-WM. Aber in der Stadt nimmt’s der normale Bürger noch nicht so recht wahr. Vielleicht kommt‘s ja noch. Wenn es etwas zu feiern gibt, ist der Rheinländer ja schnell auf den Beinen.”

Wien, der Fahrrad-Enthusiast, hat aber auch klare Vorstellungen, was die Visite der berühmtesten Rundfahrt der Welt über den Tag hinaus für Düsseldorf bedeuten sollte. „Das darf kein Tischfeuerwerk sein. Die Tour muss Spuren hinterlassen, es muss eine breitere Akzeptanz für das Radfahren her. Seit Jahrzehnten gibt’s in der Stadtverwaltung nur die Direktive: Auto, Auto, Auto.” Er verweist auf das Ranking des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs, in dem die Landeshauptstadt in punkto Fahrradfreundlichkeit auf Rang 28 liegt – unter 39 Städten. „Das muss sich ändern”, fordert Wien.

Und das ist ganz im Sinne des Stadtoberhauptes. Oberbürgermeister Thomas Geisel, seit 2014 im Amt und selbst begeisterter Radsportler, will das Fahrrad als Verkehrsmittel fördern. Die Tour soll dabei als Vehikel dienen. Vor allem aber soll sie natürlich den Charme der Stadt am Rhein, die sich gerne als „Klein-Paris” rühmt, in die Welt transportieren. Der SPD-Mann hat den Deal mit der Tourorganisation A.S.O. eingefädelt.

Zum ersten Mal seit 30 Jahren beginnt der Radklassiker wieder in Deutschland. Idee und Anstoß kamen vom ehemaligen Tour-Profi Sven Teutenberg, einem gebürtigen Düsseldorfer, der als Organisationschef das Großereignis managt. „Das ist eine beispiellose Geschichte für Düsseldorf. Wir haben die Chance, diese schöne Stadt, die untervermarktet ist, einem Millionen-Publikum als lebensfrohe, sympathische, weltoffene und sportliche Metropole zu präsentieren“, sagte Geisel dieser Zeitung. Und so wird sich am 1. Juli der Tour-Tross mit der riesigen Werbekarawane als Vorhut um 13.45 Uhr an der Messe in Bewegung setzen, um 15.15 Uhr beginnt das Einzelzeitfahren über 14 Kilometer. Die zweite Etappe am Sonntag führt von Düsseldorf über Neuss, Mönchengladbach, Düren und Aachen nach Lüttich. Insgesamt sind 16 NRW-Städte Teil des Tour-Pakets.

Es gibt aber nicht nur Befürworter des Radsport-Events. Genervte Anwohner beklagen stundenlange Sperrungen ihrer Straßen, anderen verursachen die Kosten von 13 Millionen Euro Magengrummeln. Die FDP in Düsseldorf hält den Grand Départ gar für überflüssig und für eine Verschwendung von Steuergeldern. Der Oberbürgermeister macht eine andere Rechnung auf. Geisel verweist auf bereits feststehende Einnahmen, zum Beispiel durch Sponsoring, von acht Millionen Euro und führt den Media-Wert an, der bei rund 30 Millionen Euro liege. Geld, das man sonst für Imagekampagnen hätte ausgeben müssen.

Neben dem millionenschweren Antrittsgeld an die Tour-Organisation A.S.O. dürften die Kosten für die Sicherheit der rund eine Million Radsport-Fans der zweite große Posten im Etat sein. „Wir werden alles tun, was menschenmöglich ist”, verspricht Geisel mit Blick auf die latente Terrorgefahr und ergänzt: „Wir haben Erfahrung mit Großereignissen.” Karneval, Rheinkirmes, Japan-Tag – wenn Rheinländer feiern, tun sie das gerne in sechs- oder siebenstelliger Zahl. Entsprechend umfangreich ist das Sicherheitskonzept, das natürlich unter strengster Geheimhaltung steht. Ob es den Einsatz der Eliteeinheit GSG 9 vorsieht, wird ebenso wenig verraten wie die Zahl der Sicherheitskräfte.

Klar ist, dass es zu erheblichen Beeinträchtigungen kommen wird, die einigen Langmut erfordern. An neuralgischen Punkten in der City dürften als Konsequenz aus den Attentaten in Berlin, Nizza und London zudem massive Sperren aufgestellt werden, die Lastwagen als Waffe stoppen sollen. „Es ist eine gigantische logistische Herausforderung”, weiß Thomas Geisel. Für ihn stand bei der Entscheidung für die Tour aber auch die grundsätzliche Frage zur Beantwortung an: „Sind wir Metropole oder Provinz?“ Für ihn gehört es zum Selbstverständnis einer pulsierenden City, sportliche Events von Weltrang auszutragen. Und so soll von Düsseldorf auch ein Signal an andere Großstädte ausgehen: Habt Mut, macht’s nach!

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