Kommentar zu Weltmeister Manuel Charr Charr ist noch lange kein Schmeling

Meinung | Bonn · Manuel Charr ist der erste deutsche Box-Weltmeister seit Max Schmeling 1932. Ihn in einem Atemzug mit der Box-Legende zu nennen, fällt allerdings schwer. Sein unbändiges Löwenherz reicht dazu nicht, findet GA-Redakteur Simon Bartsch.

Deutschland hat also wieder einen Schwergewichtsweltmeister im Boxen. 85 Jahre nach Max Schmeling ist es ausgerechnet Manuel Charr, der die schwer angeschlagene deutsche Boxszene vor dem Knockout retten soll. Ohne Charr zu Nahe treten zu wollen, tut es fast schon weh, den Deutsch-Libanesen in einem Atemzug mit der Legende Schmeling zu nennen.

Charr geriet schon mehrfach mit der Justiz in Konflikt, war 2006 angeklagt wegen versuchten Totschlags, wurde freigesprochen, saß 2011 für einige Wochen in Untersuchungshaft. 2015 wurde er in einem Imbiss in Essen niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt. Seine selbst inszenierte Show rund um den Kampf gegen Kevin Johnson 2014 im Telekom Dome in Bonn war an Skurrilität kaum zu überbieten.

Auch das boxerische Können lässt einen Vergleich nicht zu. Charr fehlt es an technischer Klasse, an Spritzigkeit und Finesse. Das haben ihm Box-Größen wie Vitali Klitschko, Alexander Powetkin und Mairis Briedis, die ihn allesamt durch K.o. besiegten, eindrucksvoll bewiesen. Doch eines darf man dem selbsternannten Diamond Boy nicht abstreiten: ein unbändiges Löwenherz. Charr ist ein Stehaufmännchen, kämpfte schon mehrfach um sein Leben. Sein Vater kam im Bürgerkrieg um, seine Familie floh nach Deutschland. Nach schwerer Kindheit fand er seinen Trost im Sport. Vor sieben Monaten bekam er zwei künstliche Hüftgelenke eingesetzt - jetzt ist er Box-Weltmeister. Die Geschichte ist filmreif. Sein Credo "Glaubt an euch, ihr könnt alles schaffen" hat durch seine Leistung Gewicht.

Wudnern darf man sich über die Art und Weise der Titelkampf-Vergabe der WBA. So wird Charr auf der verbands-unabhängigen Weltrangliste "boxrec" auf Rang 47 und sein Gegner Alexander Ustinov auf 39 geführt. Dennoch, den Kampf gegen den Russen hat er verdient gewonnen, ihn sogar auf die Bretter geschickt. So gesehen ist er auch verdienter Weltmeister. Charr befindet sich als solcher im illustren Kreis mit Klitschko-Besieger Anthony Joshua und WBC-Weltmeister Deontay Wilder. Er sollte die Zeit auf dem Thron genießen - sie wird nicht lange dauern. Gegen die Topstars der Szene und im Vergleich mit Schmeling reicht sein unbändiges Löwenherz einfach nicht.

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