Interview mit Holger Stanislawski "Gefühlt habe ich Millionen Freunde"

KÖLN · Formelle Begrüßungen sind nicht sein Ding. „Hallo, ich bin Stani”, sagt Holger Stanislawski ganz unkompliziert. Und so locker, wie er seinen Gesprächspartnern entgegentritt, ist er auch im Interview. Der Trainer des 1. FC Köln über Auf- oder Nichtaufstiegsszenarien, seinen Kultstatus und ein Leben nach dem Fußball.

Waren Sie nach der Niederlage in Kaiserslautern persönlich getroffen?
Holger Stanislawski: Ich sehe mich immer als Teil der Mannschaft. Insofern sitze ich genauso mit im Boot. Wir haben alle unseren Job nicht so gemacht, wie wir es vorher monatelang getan haben. Ich habe grundsätzlich kein Problem damit, Niederlagen zu akzeptieren und zu verarbeiten, wenn die Jungs mutig waren und alles probiert haben. Aber wir waren auf dem Betzenberg eigentlich gar nicht auf dem Platz. Damit habe ich meine Probleme.

Nach solchen Niederlagen ist der mediale Druck in Köln immer heftig. Wie gehen Sie damit um?
Stanislawski: In Köln gibt es eine Symbiose zwischen Verein und Stadt, wie ich sie nirgends vorher kennengelernt habe. Das ist selbst in der Medienstadt Hamburg weit weniger ausgeprägt. Bei St. Pauli war es völlig anders. Da waren die Medien sachlich, ruhig, gediegen. Da wurde auch über Dinge hinweggesehen. In dem knappen Jahr in Köln habe ich die ganze Bandbreite von sehr positiven bis zu sehr negativen Momenten erlebt. Dabei gab es auch völlig unsachliche Berichterstattung bis unter die Gürtellinie, die ich in der Form nicht kannte. Für mich hat Kritik immer auch etwas mit Respekt dem Menschen gegenüber zu tun.

Erwarten Sie eine Lawine, falls der Aufstieg nicht gelingt?
Stanislawski: Wir sind angetreten, um einen Umbruch zu vollziehen. Unter schwierigsten Bedingungen haben wir den ganzen Club auf den Kopf gestellt. Außenstehende können gar nicht nachvollziehen, was hier tagtäglich von allen Beteiligten geleistet wird. Und wir stecken immer noch in der Umbruchphase: Konsolidieren, neue Mannschaft aufbauen, junge Spieler integrieren und viele Transfers tätigen. Der Aufstieg steht nicht im Vordergrund, ihn zu verpassen wäre dennoch ärgerlich. Wir haben viele Punkte liegengelassen.

[kein Linktext vorhanden]Wäre die aktuelle Mannschaft überhaupt bundesligatauglich?
Stanislawski: Wir sind gut genug für die Relegationsspiele. Wir waren nicht gut genug für die Plätze eins und zwei. Da fehlte uns auf der einen oder anderen Position ein Stück weit Qualität oder das zusammengewachsene Gefüge, das Braunschweig besitzt. Mehr als Platz drei ist in dieser Saison nicht drin.

Auch dafür muss es Gründe geben.
Stanislawski: Damit werden wir uns bei unserer Saisonanalyse beschäftigen. Die Fragen stellen sich dann: Braucht man Spieler, die mental fitter sind, um mit solchen Situationen besser umgehen zu können? Benötigt man mehr spielerische Qualität? Was hätten wir im Trainerteam anders machen können?

Unabhängig davon, ob der Aufstieg noch gelingt, wird es einen personellen Umbruch geben.
Stanislawski: Richtig. Über die Zukunft von ausgeliehenen Spielern muss entschieden werden. Dann gibt es Spieler, deren Verträge auslaufen, und es gibt unklare Situationen aufgrund von Ausstiegsklauseln. Zudem haben wir noch keinen schlüssigen Etat.

Inwieweit ist der vom Aufstieg abhängig?
Stanislawski: Nicht so stark. Selbst wenn wir aufsteigen, bleiben wir wohl mehr als zehn Millionen Euro unter dem letztjährigen Bundesligaetat von 34, 35 Millionen Euro. Schwieriger ist das Zweitliga-Szenario. Macht man es wie Hertha BSC? Sie haben alle teuren Leistungsträger gehalten, verbunden mit einem großen Risiko. Da muss man sich mit Augenmaß für den richtigen Weg entscheiden.

Welchen ziehen Sie vor?
Stanislawski: Ich bin aus der Zeit beim FC St. Pauli ein gebranntes Kind. Als ich dort im Präsidium saß, wussten wir oft nicht, wie wir am Monatsende die Spielergehälter bezahlen sollten. Ich habe etwas gegen die Denkweise „Nach mir die Sintflut“. Ich sehe mich auch als Trainer ein Stück weit in der Verpflichtung gegenüber den Fans, Mitgliedern und Vereinsangestellten. Auch nach meiner Zeit soll es beim 1. FC Köln weitergehen.

[kein Linktext vorhanden]Unter Umständen muss sich der FC-Fan also auf einen längeren Leidensweg in der Zweiten Liga gefasst machen?
Stanislawski: Es gibt verschiedene Szenarien. Eines davon ist, alles auf Null herunterfahren und über Jahre eine neue Mannschaft aufbauen. In dem Fall muss man damit rechnen, einige Jahre lang auch nur Zehnter oder Zwölfter in der 2. Liga zu sein. Wenn gleichzeitig der Verein entschuldet wird und irgendwann nicht mehr auf maroden Sockeln, sondern auf Beton steht, ist das in Ordnung. Natürlich gehört der FC in die Bundesliga. Aber man besitzt nicht als tolle Stadt, als großer Verein automatisch ein Bundesliga-Abo. Es ist ein mühsamer Weg, dorthin zu kommen. Der, den wir dafür wählen, muss wohldurchdacht sein.

Ihr Vertrag läuft bis zum Ende der nächsten Saison. Das Projekt des Umbaus dauert womöglich länger. Würden Sie über 2014 hinaus in Köln bleiben?
Stanislawski: Ich mache mir um meine Person grundsätzlich keine Gedanken. Ich bin in meinem Leben so gefestigt, dass ich keine Job-Ängste habe. Dem Verein würde es natürlich gut tun, wenn auf einigen Positionen eine gewisse Konstanz hinein käme. Da stünde das Traineramt nicht an erster Stelle.

Wie bleibt man als Trainer in diesem überdrehten Geschäft halbwegs normal?
Stanislawski: Gefühlt habe ich ja Millionen Freunde. Durch welches Dorf du tingelst, die Leute winken dir an der Ampel zu. Du stehst an der Baumarktkasse oder sitzt auf dem Dixi-Klo, egal ob du eine Mütze auf hast oder einen Schal an, jeder erkennt dich, jeder hat dir etwas mitzuteilen, jeder zerrt an dir. Das Entscheidende ist, dass dein engster Kreis, deine Frau, deine Familie, deine Handvoll Freunde, diejenigen, die dich genau kennen, dich mal einfangen und dir sagen: Pass' mal ein bisschen auf dich auf. Das sind Warnsignale, die man sich zu Herzen nehmen sollte.

Wie bauen Sie Stress ab: Laufen?
Stanislawski: Dagegen sperrt sich mein Körper. Ist wirklich so. Wenn meine Co-Trainer mich auffordern, mal eine Runde mitzulaufen, da sträubt sich innerlich alles, da hat sich eine tiefe Abneigung entwickelt. Ich bin eher der Kontaktsportler, Kampfsport wäre etwas für mich. Ja, ich muss lernen, mir die Zeit dafür zu nehmen.

Sind Sie als Trainer Allgemeingut?
Stanislawski: Man wird vereinnahmt. Ich war mal mit meiner Frau bei Ikea. Ich bin eigentlich nur wegen der Köttbullar mitgegangen. Ich lasse dann alles über mich ergehen, die 7000 Teelichter im Einkaufswagen und die 500 Servietten für 1,99 Euro, von denen man noch zigtausend im Keller gebunkert hat. Dann sitzt du endlich im Restaurant, und dann interessiert es viele Leute nicht, dass du gerade isst. Die stellen sich dazu und wollen Fotos machen: Es ist ja unser Trainer. Es gibt keine Privatsphäre. Man muss lernen, sich damit zu arrangieren.

Wie geht Ihre Familie mit dem Kultstatus des Sohnes um?
Stanislawski: Meine Mutter kann das leider nicht mehr miterleben, mein Vater nimmt großen Anteil. Er ist fast 80, und es ist für mich extrem bewegend, wenn er mir auf die Mailbox spricht, um mir nach einer Niederlage Mut zuzusprechen. Ich habe immer das Gefühl, er schreibt sich vorher alles auf, um nur nichts zu vergessen. Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu meinem Vater. Ich bin ihm und meiner Mutter brutal dankbar für die Erziehung, die ich genossen habe. Vor allem haben Sie mir mitgegeben, jedem mit demselben Respekt zu begegnen.

Stani, der Kumpeltyp, immer nett, immer sympathisch. Können Sie sich mit diesen Eigenschaften identifizieren?
Stanislawski: Nett ist die kleine Schwester von scheiße. Im Ernst: Ich bin nicht auf der Suche nach neuen Freunden. Wenn du Spiele gewinnst, mögen sie dich alle noch ein Stück mehr. Wenn du zwei Spiele verlierst, wird dir deine sympathische Art als Schwäche ausgelegt. Dann heißt es: Der soll lieber mal dazwischenhauen statt Autogramme schreiben. Ich habe aufgehört, mir Gedanken zu machen, wie andere mich sehen.

Nutzt sich ein Trainer irgendwann ab?
Stanislawski: Wenn Spieler sechs, sieben, acht Jahre unter mir arbeiten, dann haben sie ganz viel von dem, was ich in meinem Repertoire habe, gehört, gesehen und gespürt. Es kommt zu einer gewissen Gleichgültigkeit. Dann ist es Zeit zu gehen.

Thomas Schaaf ist 14 Jahre bei Werder Bremen, im Moment wird heftig über ihn diskutiert. Haben Sie einen Rat für ihn?
Stanislawski: Mir steht es nicht zu, Thomas Schaaf, den ich sehr schätze, einen Ratschlag zu geben. Aber wenn man sich Woche für Woche rechtfertigen muss, warum man seinen Posten immer noch nicht geräumt hat, dann wäre für mich der Zeitpunkt gekommen, wo ich sagen würde: Jetzt sollte man vielleicht überlegen zu gehen. Ein solch unwürdiges Verhalten hat Thomas nicht verdient.

Hamburg ist Ihre Heimat. Der HSV ist in Turbulenzen. Gab's noch keinen Notruf an Sie?
Stanislawski: Nein. Damals, als sich mein Abschied vom FC St. Pauli ankündigte, war ich mal beim HSV im Gespräch. Das kam für mich aber nicht in Frage. Wir hatten gerade nach 34 Jahren wieder das Derby beim HSV gewonnen, und drei Monate später würde ich mit Truller und KP (Co-Trainer Andre Trulsen und Klaus-Peter Nemet; die Redaktion) auf dem Podium des Hamburger SV sitzen, hinter uns das Logo mit der HSV-Raute? Wir, Urgesteine von Sankt Pauli. Das kannst du nicht machen.

Sie haben einen 25-Mann-Kader. Wissen Sie als Trainer, wie Ihre Spieler wirklich ticken? Wie gut kennen Sie sie?
Stanislawski: Gleichzeitig gut und gar nicht. Ich versuche, soviel wie möglich über meine Spieler in Erfahrung zu bringen. Sie denken ja, ich weiß nichts über sie. Aber ich weiß einiges. Ich weiß zum Beispiel, wo sie abends schon mal durch die Kneipen oder Diskotheken hoppeln. Aber mir liegt es fern, jemanden zu kontrollieren. Jeder hat eine Eigenverantwortung zu tragen. Ich kann jedoch helfen, jemanden wieder in die Spur zu bringen, wenn er Probleme hat. Deshalb weiß ich gern viel. Ich bin nicht ihr Freund, ich bin ihr Vorgesetzter. Aber gleichzeitig will ich auch ihr Partner sein, zu dem man gerne kommt, weil man das Gefühl hat, dass man ihm vertrauen kann.

Sie sind als Profi nicht gerade durch Ihre filigrane Spielweise auffällig geworden. Wie sehen Sie sich im Vergleich zur heutigen Generation?
Stanislawski: Ich war ein Charaktertyp, ein Mentalitätsspieler, ich konnte über Grenzen gehen und gegen Widerstände ankämpfen. Das fehlt mir in der heutigen Generation. Sie lebt in einer Wohlfühloase. Du wirst im Nachwuchsleistungszentrum von vorne bis hinten betüdelt, da werden Schuhe geputzt, Hemden gebügelt, für Nachhilfe gesorgt, du wirst mit dem Bus zum Training gefahren, wieder abgeholt und, und und. Manche sind früher acht Kilometer mit dem Rad zum Training gefahren. Natürlich hatte ich nicht die Qualität wie die heutigen Fußballer, die viel besser ausgebildet sind. Aber der Nachteil ist: Du hast heute nicht mehr die Typen, die richtig dazwischenhauen, und die man sich als Trainer manchmal auf dem Platz wünscht.

Könnten Sie sich auch ein erfülltes Leben ohne Fußball vorstellen?
Stanislawski: Ja. Manche können von der Bühne nicht verschwinden, die turnen dann auf irgendwelchen roten Teppichen herum. Ich kann das. Ich bin vernarrt in Tiere. Vielleicht mache ich in dem Bereich mal irgendwas. Wenn ich einen Hund sehe, muss ich sofort hin, um den zu knuddeln. Die hauen ja schon ab vor mir (lacht).

Also kein Trainerleben bis 65?
Stanislawski: Definitiv nein.

Jupp Heynckes ist schon 67.
Stanislawski: Jupp ist einmalig. Mit ihm habe ich das schönste Erlebnis unter Trainerkollegen gehabt. Ich habe ihn damals auf St. Pauli sehr förmlich mit 'Guten Tag, Herr Heynckes' begrüßt und ihm die Hand geschüttelt. Er hat mich zur Seite genommen, weg von allen Leuten und gesagt: 'Wir sind Kollegen, ich bin der Jupp'. Das fand ich eine großartige Geste. Mir stand es nicht zu, diesen großen Trainer einfach zu duzen. Ich habe Respekt vor dem Alter, vor Erfahrungswerten, vor den Situationen, die Jupp Heynckes durchgemacht hat. Das ist Teil der Erziehung, die ich genossen habe.

Wie gesundheitsgefährdend ist der Job?
Stanislawski: Ich habe erkannt, dass ich irgendwann eine Auszeit nehmen muss. Ich habe nach meiner Spielerkarriere nie die Möglichkeit gehabt, Dinge wirklich sacken zu lassen. Es ging alles rasend schnell: A-Jugend-Trainer, nebenbei Sportmanagement studiert, bei St. Pauli Manager geworden, auf einmal saß ich auf der Trainerbank. Trainerlehrgang in Köln absolviert, in die Bundesliga aufgestiegen und seitdem ohne Pause im Trainerjob. Dazu kamen schwere persönliche Schicksalsschläge in den letzten beiden Jahren: Meine Mutter ist nach langer Leidenszeit gestorben, dann mein Schwiegervater, und meinen Hund, der so etwas wie ein Baby für mich war, habe ich einschläfern lassen müssen. Das alles war hochbelastend. Es wird der Augenblick kommen, wo ich mir sage: Fahr nicht immer auf der Überholspur, bieg' mal auf den Rastplatz ab. Aber noch haben wir hier einen Aufgabe zu erfüllen für dieses einmalige Publikum. Also muss die Auszeit noch warten.

Zur Person:
Holger Stanislawski (43) ist seit Saisonbeginn Trainer des 1. FC Köln. Der gelernte Masseur war als Spieler, Manager, Trainer und Vorstandsmitglied 18 Jahre für den FC St. Pauli aktiv und ist dort eine Ikone. Sein Wechsel nach Hoffenheim im Juli 2011 war von vielen Emotionen begleitet. In Hoffenheim blieb er nur sechs Monate im Amt.

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