Die Sonntagskicker „Menschliche Fehler gehören dazu“

Swisttal · Fares Al Tal vom SSV Heimerzheim brennt für seine Leidenschaft: Der 38-Jährige ist Schiedsrichter. Ein Porträt über einen Unparteiischen, der sich nicht für unfehlbar hält.

 Klare Ansage: Schiedsrichter Fares Al Tal während eines Spiels der B-Jugend-Sonderstaffel mit einem Akteur des SSV Walberberg.

Klare Ansage: Schiedsrichter Fares Al Tal während eines Spiels der B-Jugend-Sonderstaffel mit einem Akteur des SSV Walberberg.

Foto: Wolfgang Henry

Das Gelände des SSV Heimerzheim 1925 ist zurzeit ein verlassener Ort. Hinter verschlossenen Toren wächst behutsam ein neuer Hybridrasenplatz, der den Verein neu beleben soll. Denn aktuell stellt der SSV neben einer Herrenmannschaft in der untersten Kreisklasse nur ein D-Jugendteam – und einen unglaublich passionierten Schiedsrichter.

Erst vor einem Monat erlebte Fares Al Tal beim B-Jugend-Kreispokal in Walberberg ein Highlight seiner inzwischen 13 Jahre währenden Ära als Unparteiischer: Verlängerung und Elfmeterschießen, für ihn zum ersten Mal überhaupt. „Das war gegen den Bonner SC“, erinnert sich der 38-Jährige. „Die waren ziemlich sauer!“

Al Tal kam Ende 2001 der Liebe wegen nach Deutschland. Mit seiner Frau lebt der gebürtige Jordanier seitdem in Swisttal. Eine Nachbarin vermittelte den Kontakt zu SSV-Vorstandsmitglied Helmut Kleebank. Der kümmerte sich darum, dass der damals 23-Jährige die Ausbildung zum Schiedsrichter angehen konnte. Al Tal sei früh bewusst gewesen, dass er auch selbst Brücken errichten muss. Er sagt: „Ich vergleiche Integration immer gerne mit einem Ehepaar. Es gelingt nur, wenn beide das wollen. Die Sprache ist der Schlüssel.“

Al Tal spricht Deutsch, Englisch, Französisch und Arabisch. Das kann auf dem Platz Fluch und Segen zugleich sein. „Da sind zum Teil richtig gute Fußballer, etwa Flüchtlinge, die kaum Deutsch sprechen und auch die Regeln nicht verstehen“, erzählt Al Tal. Und ergänzt: „Die schießen aus Frust den Ball weg und wundern sich dann, wenn ich die Gelbe Karte zeige. Dann erkläre ich es halt auf Französisch oder Arabisch.“ Die Kehrseite der Medaille? Man versteht auch Beleidigungen in vier Sprachen. Auf dem Platz belässt es Al Tal dann meistens bei Ermahnungen.

Al Tal hat in Jordanien eine katholische Privatschule besucht, mit Muslimen und Katholiken die Schulbank gedrückt. Auch das hat ihn auf die spätere Karriere vorbereitet. Wie auch die Erziehung seines Vaters, der als Olympia-Schiedsrichter aktiv war und im jordanischen Sportministerium gearbeitet hat. „Er hat mir Toleranz beigebracht – das war immer sehr wichtig“, erinnert sich Al Tal. Sein charismatischer, durchdringender Blick verrät dabei auch etwas über seine natürliche Autorität als Schiedsrichter.

Der Jordanier lebt seine Philosophie. „Ich versuche immer, eine relaxte Atmosphäre auf das Spielfeld zu bringen, Aggressionen abzubauen“, sagt er. „Ich gehe nicht auf den Platz, um mir Feinde zu suchen.“ Durch seinen Vater, so der Wahl-Heimerzheimer, habe er außerdem gelernt, dass auch berühmte Sportler nur mit Wasser kochen. „Ich bin in meiner alten Heimat mit Persönlichkeiten in Berührung gekommen, die ich zuvor nur aus dem Fernsehen kannte“, erzählt Al Tal, der inzwischen selbst Vater eines siebenjährigen Sohnes ist. „Mein Vater zeigte mir, wie es hinter den Kulissen in Wirklichkeit aussieht. Das hat mir die Angst genommen.“

Leitet der 38-Jährige heute eine Partie, sind für ihn zunächst alle Beteiligten von Grund auf gleich. „Ich pfeife, was ich sehe“, lautet sein Selbstverständnis. „Ich gucke vor einer Partie auch nicht auf die Tabelle.“

Zu einer Zeit, in der Fehlentscheidungen auf höchstem Niveau die erfolgreichsten Fußball-Clubs der Welt um Millionen bringen können und teure Technologien eingesetzt werden, die genau das verhindern sollen, wächst auch der Erwartungsdruck auf die Schiedsrichter im Amateurbereich. Bloß haben die kein Headset, kein Freistoßspray, keinen Videobeweis, keine Torlinientechnologie, keine Funkfahnen. Unfehlbarkeit wird trotzdem fast schon wie selbstverständlich auch in unteren Ligen und bei Jugendspielen erwartet. „Da ist die Hölle los. Weil sie vielleicht ein schlechtes Wochenende zu Hause hatten, schimpfen die Eltern auf Zehnjährige“, erzählt Al Tal. In der Jugend werden deshalb selten ganz junge Schiedsrichter eingesetzt. „Die spielen da zwei mal 30 Minuten auf halbem Platz und brauchen einen erfahrenen Schiri. Da musst du dir mal überlegen, was das eigentlich bedeutet.“

Auch Al Tal hat seine Leidenschaft oft infrage gestellt. Jeder Amateur-Schiedsrichter landet irgendwann in seiner Karriere an diesem Punkt, an dem die gewaltige Kluft zwischen Spitzen- und Breitensport plötzlich bedrohlich wirkt. Der Familienvater wünscht sich an der Basis mehr Unterstützung durch die Verbände. Aufgeben kam aber nie infrage. „Menschliche Fehler gehören zum Fußball eben dazu“, weiß er inzwischen. „Das ist vielleicht auch das einzig Vernünftige, das Joseph Blatter jemals gesagt hat.“

Al Tal hat sich entschieden, die Flucht nach vorne zu ergreifen. Er will „höher pfeifen“. In der Bezirksliga, später vielleicht in der Landesliga. „Weil die Konflikte dort nicht so groß sind“, umschreibt der Jordanier seinen „eigenen, kleinen Traum“. Der Kreisliga will er trotzdem nicht den Rücken kehren. Al Tal leitet um die 80 Spiele pro Saison, er möchte „so viel wie möglich auf dem Platz stehen“.

Seine Leidenschaft blitzt bei jeder Anekdote erneut auf. Aktuell büffelt er für die theoretische Bezirksliga-Prüfung, und demnächst darf er sogar erstmals in der Landesliga assistieren. Ob sein Sohn einmal sein Erbe antreten wird? „Er hat sich für Kickboxen entschieden“, sagt Fares Al Tal.

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