Tennis „Das Jahr 2016 war perfekt für mich“

Bonn · Angelique Kerber (28) ist die Nummer 1 der Tenniswelt. Sie gewann in einer Ausnahmesaison 2016 Preisgelder in Höhe von 8,66 Millionen Dollar. Mit der Ausnahmespielerin sprach in Singapur Jörg Allmeroth.

 Freudenschreie nach gelungenen Schlägen gab es viele bei Angelique Kerber im Jahr 2016.

Freudenschreie nach gelungenen Schlägen gab es viele bei Angelique Kerber im Jahr 2016.

Foto: picture alliance / dpa

Seit Sie die Nummer 1 der Welt sind, sind Sie von Interview zu Interview geeilt, haben Tausende Antworten gegeben. Welche Frage können Sie nicht mehr hören?

Angelique Kerber: Ich finde keine Frage schlimm. Ich beschwere mich ja auch nicht, dass ich jetzt Aufmerksamkeit finde. Auch dafür habe ich immer gekämpft: Anerkennung für meine Leistung zu kriegen.

Sie haben sich in diesem Jahr viele Ihrer größten Träume erfüllt. Wie hat Sie das als Mensch und Sportler verändert?

Kerber: Als Mensch habe ich mich gar nicht verändert. Als Spielerin bin ich viel selbstbewusster geworden. Ich weiß, was ich kann. Ich weiß, dass ich große Leistungen in großen Spielen zeigen kann. Das Gefühl, seine ganze Karriere gedreht zu haben, ist auch ein ziemlich gutes Gefühl.

Macht dieses Gefühl die Erfolge noch wertvoller?

Kerber: Mir ist nichts geschenkt worden. Ich bin durch einige tiefe Täler marschiert, bevor es dann aufwärts ging. Zwischendurch hatte ich selbst den Glauben verloren, dass es nach oben gehen kann für mich. Es ist schon eine verrückte, aber auch wunderbare Geschichte, diese letzten fünf Jahre vom Fast-Aufhören bis jetzt auf Platz eins.

Grand-Slam-Siege, olympische Silbermedaille, der Sprung auf Platz eins – das hat Sie sehr bekannt gemacht. Dabei hat man den Eindruck, Sie wollen eigentlich nicht gerne eine öffentliche Person sein.

Kerber: Ich war niemand, der sich früher in den Mittelpunkt drängte. Der diese Öffentlichkeit unbedingt brauchte. Aber ich genieße jetzt auch mal eine schöne Feier, einen tollen Event. Das ist für mich auch eine Belohnung für die harte Arbeit, die ich investiere.

Berühmte Vorgänger wie Steffi Graf oder Boris Becker klagten auf der Höhe ihres Ruhms über ein Leben im goldenen Käfig. Wie sind Ihre Erfahrungen bisher?

Kerber: Ich fühle mich nicht irgendwie gefangen, auf keinen Fall. So ist es nicht. Ich will mich da auch nicht mit Steffi oder Boris vergleichen. Natürlich war der Rummel gerade nach dem Australian-Open-Sieg unheimlich groß, da stürzte eine Welle über mich drüber, es war wirklich überwältigend. Aber du musst das als Teil des Jobs akzeptieren, wenn nicht, hast du ein Problem als Spitzenspielerin.

Sind Sie misstrauischer geworden im Umgang mit anderen Menschen?

Kerber: Ich hoffe nicht. Ich spüre umgekehrt auch keinen Neid mir gegenüber. Oder jemanden, der mir den Erfolg nicht gönnt.

Sie gelten ja auch als Perfektionistin, die sich selten mit dem Erreichten zufriedengibt? Wie blicken Sie da aufs Jahr 2016 zurück?

Kerber: Ich war immer äußerst ehrgeizig, hatte sehr hohe Ansprüche an mich selbst. Das war auch nötig, um es überhaupt ins Profitennis zu schaffen. Es ist wichtig, immer das Beste zu wollen, auch wenn man nicht immer das Beste schafft. Und man muss aufpassen, dass da kein lähmender Druck oder Verkrampfung entsteht. Ich brauchte meine Zeit, bis ich meine Ambitionen in die richtige Richtung lenken konnte. Das Jahr 2016? Es war perfekt für mich. Ein Traum. Einfach grandios.

Jahrelang litten Sie in wichtigen Spielen unter eigenem oder öffentlichem Erwartungsdruck. Wie sind Sie diese Last losgeworden, auch Versagensängste und Zweifel?

Kerber: Ich denke, durch meine bessere Fitness, durch ein besseres Körpergefühl habe ich einfach eine ganz andere Statur gekriegt. Tennis ist heute physisch so anspruchsvoll geworden, da brauchst du diese Gewissheit, jedes noch so harte Duell durchstehen zu können, ganz elementar. Es war ein langer, mühsamer Prozess, auch den Druck abschütteln zu können, mehr Lockerheit und Gelassenheit zu finden.

Denken Sie manchmal: Wäre ja ganz schön gewesen, schon Anfang 20 weiter gewesen zu sein?

Kerber: Nein. Ich finde es genau richtig, wie es gekommen ist. Dieses Jahr 2016 war der Zielpunkt meines langen Marsches. Und was auf diesem Marsch passiert ist, will ich auch gar nicht missen. Es ist heute ganz normal im Tennis, dass die großen Erfolge erst später kommen, manchmal sogar jenseits der Dreißig.

Andere spielten vor Ihnen die Hauptrolle in der Öffentlichkeit, Ihre Freundin Andrea Petkovic, dann auch Sabine Lisicki. Gab es da auch mal Neidgefühle?

Kerber: Gar nicht. Ich habe mich über die Siege gefreut. Aber für mich gedacht: Mensch, das kannst du doch auch schaffen. Es war immer ein gesunder Konkurrenzkampf zwischen uns, eine positive Rivalität.

Sie umgeben sich im Team Kerber nur mit vertrauten Gesichtern, die Sie, wie Trainer Beltz, schon seit Jugendtagen kennen. Was steckt dahinter?

Kerber: Wenn man so viel Zeit zusammen verbringt in einem langen, langen Tennisjahr, dann muss man sich sportlich und menschlich verstehen. Sonst hat man schnell ein Problem. Der Erfolg hat auch mit dem absoluten Vertrauen zu tun, das man im Team untereinander hat.

Tennisjahre sind Hundejahre. Sie reisen fast das ganze Jahr durch die Welt, kreuz und quer durch Zeitzonen und über Kontinente hinweg. Wird man dieses Nomadendaseins nicht auch mal überdrüssig?

Kerber: Also, die Tage, an denen ich wieder mal meine Koffer packen muss, werde ich sicher nicht vermissen. Es ist ja oft so, dass man morgens aufwacht und gerade nicht mehr weiß, wo man überhaupt ist. Aber unser Arbeitsplatz ist die Welt, deshalb reisen wir 35, 40 Wochen umher. Und was nicht zu verändern ist, muss man akzeptieren.

Noch einmal zurück zu den Erfolgen in diesem Jahr 2016: Was war der größte Moment? Einer der beiden Grand-Slam-Siege oder der Sprung auf Platz eins?

Kerber: Der Doppelschlag in New York die US Open und Platz eins, der war schon herausragend. Aber die Olympischen Spiele waren eine besondere emotionale Erfahrung, einfach weil es ein Kindheitstraum war, einmal eine Medaille zu gewinnen. Sportlich war auch sehr wichtig, den Porsche Grand Prix in Stuttgart gewonnen zu haben. Das war der Moment, wo die schweren Monate nach dem Australian-Open-Sieg vergessen waren. Wo ich wusste: Ich kann das alles schaffen. Ich werde oben bleiben.

Wie schwer ist es, sich am Ende dieser langen, mörderischen Saison noch für die WM hier in Singapur zu motivieren?

Kerber: Es war das schönste, aber auch härteste Jahr meiner Karriere. Aber alle Spielerinnen spüren diese Saison in den Knochen. Jetzt gilt es, noch einmal alle Kraft hier in Singapur zu mobilisieren. Ich will hier gewinnen und mich als Nummer eins bestätigen.

Danach können Sie endlich mal länger in Urlaub gehen? Können Sie in den Ferien total abschalten – oder denken Sie da auch schon wieder an all das, was im nächsten Jahr kommt, die Verteidigung des Tennisthrons und der Toptitel?

Kerber: Abschalten, das geht nicht auf Knopfdruck. Es braucht immer seine Zeit, bis man von diesem massiven Stress runterkommt – zwei, drei Tage auf jeden Fall. Und dann merkst du aber, da sitzt jetzt eben keiner mehr hinter dir, der sagt: Essen! Kraftraum! Training! Plötzlich wird alles entspannter, man schläft viel besser, man denkt auch nicht mehr andauernd an Tennis.

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