20 Jahre Hochschule Bonn-Rhein Sieg "Hier muss sich auch das Denken ändern"

Feierstimmung an der Grantham-Allee und der von-Liebig-Straße: Vor 20 Jahren wurde die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) gegründet. Seit November 2008 ist Professor Hartmut Ihne ihr Präsident.

 "Wir werden, wenn alles gutgeht, zum Jahresende mit dem Bau beginnen": Der geplante Sankt Augustiner Erweiterungsbau der Hochschule als Entwurfszeichnung.

"Wir werden, wenn alles gutgeht, zum Jahresende mit dem Bau beginnen": Der geplante Sankt Augustiner Erweiterungsbau der Hochschule als Entwurfszeichnung.

Foto: Hochschule Bonn-Rhein Sieg

Über die Geschichte der Hochschule und die Herausforderungen der Zukunft befragte ihn GA-Redakteur Wolfgang Pichler.

Ein Umzugsbeauftragter der Bundesregierung hat Ihre Hochschule "Flaggschiff des Strukturwandels" genannt. Zu welchen neuen Ufern ist dieses Schiff weitergesegelt?

Professor Hartmut Ihne: Ist das Schiff größer geworden? Ist es schneller geworden? Hat es neue Landschaften erschlossen? Ich glaube: Von allem etwas. Wir segeln schneller, weil der Wandel um uns herum schneller geworden ist. Wir nehmen diese Veränderungen auf, diskutieren sie und bilden sie in neuen Formaten ab. Und was die neuen Häfen angeht: Wir haben viele neue Passagiere aufgenommen, neue Themen aufgegriffen, in der Forschung viel getan, viele neue Studiengänge aufgebaut. Wir sind sehr zufrieden - sowohl über unseren Kurs als auch über unsere Ziele.

Gab es Stürme in dieser Zeit?

Ihne: Ein großer Sturm war die neue Hochschulgesetzgebung. Ein anderer war die Unsicherheit um den doppelten Abiturjahrgang im Zuge von G8. Das ist glimpflich ausgegangen. Sehr schön ist aber auch, dass wir in der Region so viel Unterstützung erhalten. Überall freundliche Gesichter! Um beim Bild zu bleiben: Man segelt nicht einfach nur so dahin, sondern legt auch irgendwo an und wird freundlich aufgenommen.

Wenn Sie zurückblicken - bekommen Sie dann Respekt vor der Gründergeneration?

Ihne: Auf jeden Fall! Es war zum Beispiel sehr mutig, den Bereich der angewandten Naturwissenschaften mit hineinzunehmen - das ist eigentlich ein klassisches Universitätsthema.

Was haben Sie in den fünf Jahren Ihrer Amtszeit noch vor?

Ihne: Wir bauen die Hochschule unter anderem zu einer regionalen Plattform der Zusammenarbeit mit Unternehmen aus. Seit Jahren besuche ich Unternehmen; wir wollen wissen, was da passiert - das ist spannender als manche Theorie. Wir müssen unsere Studiengänge permanent fit halten und sind dabei, unser Portfolio im Hinblick auf die Entwicklung bei den neuen Medien neu zu durchdenken. Wir wollen in die Weiterbildung hineingehen und in neue Formate für berufsbegleitende Studiengänge. Wir werden auch die Internationalisierung ausbauen. Wir haben derzeit 14 Prozent an Studierenden aus dem Ausland. Ich strebe an, dass es 30 werden.

Sie sehen kein Problem, wenn die Hochschule weiter wächst?

Ihne: Nein. Das setzt aber natürlich die passenden Mittel voraus. Die Landesregierung hat ihre Absicht geäußert, die Studierendenzahlen hin zu den Fachhochschulen zu verschieben. Daneben gibt es die Inklusionsdebatte - an den Schulen sieht man, wie kompliziert das sein kann. Kein Dozent wird damit ohne entsprechende Ausbildung umgehen können. Auch die Infrastruktur wäre völlig überfordert. Wenn wir diese offene Hochschule wollen, brauchen wir die Mittel dafür. Darüber müssen wir mit der Politik reden.

Wie liegen die beschlossenen Erweiterungsbauten im Plan?

Ihne: Wir werden, wenn alles gutgeht, zum Jahresende mit dem Bau beginnen. Wir hoffen, dass wir Anfang 2017 fertig sind. Da alle ins Boot zu holen - das war einer der Stürme! Wenn's um Geld geht, wird es immer stürmisch. Aber es ist uns gut gelungen.

Denken Sie auch an den Aufbau weiterer Standorte?

Ihne: Wir sind ja schon eine im Kranz um Bonn herum verteilte Hochschule. Ich denke nicht, dass wir weitere Orte aufbauen sollten. Entfernung führt leicht zu Verinselungen, und dann wird weniger kommuniziert, als man eigentlich müsste. Der politische Gedanke einer Dezentralisierung der Hochschullandschaft ist verständlich und wirtschaftspolitisch interessant. Aber hochschulpolitisch ist es schon eine Herausforderung, weit auseinanderliegende Campi zu einem Ganzen zu machen.

Als die Hochschule gegründet wurde, dachte so mancher: Jetzt wird Sankt Augustin eine Studentenstadt! Kneipen und Kleinkunstbühnen! Ist leider eher nicht so gekommen. Kann die Hochschule solche "Lebensart-Impulse" setzen?

Ihne: Das ist schwierig. Die Hochschul-Campi sind wochenends und abends eher verwaist. Das liegt auch am Umfeld; die urbane Mitte entwickelt sich ja gerade erst. Aber ich bin sicher: Mit den Jahren wird sich hier noch vieles ergeben. Wir sind mit dem AStA im Gespräch, um noch mehr studentisches Leben zu etablieren. So etwas kann eine Hochschule aber nicht alleine stemmen. Da brauchen Sie auch die Kommunen, damit die auch ihrerseits attraktive Anreize setzen. Aber andererseits: Denken Sie mal an Berlin! 65 Kilometer zum Quadrat, und trotzdem eins! Hier muss sich auch das Denken ändern. Sankt Augustin und Rheinbach sind keine Randlagen von Bonn, sondern Teil eines gemeinsamen, gesellschaftlichen und politischen Ortes, an dem man wunderbar leben kann.

Sankt Augustin als das "Spandau von Bonn" sozusagen?

Ihne: Genau so! Es ist einfach eine Einstellungssache. Wissenschaft und Wirtschaft können mit diesen ganzen kleinen Grenzen ohnehin nicht arbeiten. Ich sehe aber, dass sich das hier auch entwickelt. In 20 Jahren - dann bin ich 78 und werde hoffentlich immer noch Präsident sein, und Sie werden mich als Hologramm neuronal fotografieren (lacht) - dann wird das, glaube ich, anders sein.

Wo sehen Sie die Hochschule denn im Jahr 2035?

Ihne: Wir werden auch in 20 Jahren eine sehr moderne Hochschule sein, die bereit ist, mit der Gesellschaft den Wandel zu gestalten, statt stehen zu bleiben und sozusagen in der Zeit des Automobils noch Kutschologie zu lehren. Die Hochschule geht mit der Gesellschaft - dieses Philosophem ist bei uns fest verankert. Vielleicht ist das auch ein Wesensmerkmal von Wissenschaft, immer ganz vorne an Entwicklungen zu arbeiten. Wenn die Wissenschaft sich von der Gesellschaft abkapselt, bekommt sie vieles nicht mehr mit und rennt leicht in die falsche Richtung.

Sie sind als Geisteswissenschaftler Präsident einer sehr technisch ausgerichteten Hochschule geworden. Kann oder soll auch die Hochschule als Ganze in Zukunft geisteswissenschaftlicher werden?

Ihne: Sie muss es sogar! Geisteswissenschaft ist eine hoch systematische Form von Reflexionskompetenz. Man muss darüber nachdenken, was man eigentlich ist, wenn man denkt. Geisteswissenschaft ist die Selbstvergewisserung des Ichs, wie es bei Fichte heißt. Darüber zu reflektieren, was man tut - das gehört zur Führung und ist an einer Hochschule geradezu zwingend. Dass man ethische Haltung entwickelt und sieht: Ich habe Kompetenz und kann mit ihr etwas in Gang setzen. Studierende mit den Folgen ihrer Handlungen zu konfrontieren, mit Fragen der Verantwortbarkeit und der Wünschbarkeit, ist essenziell. Wenn wir das nicht tun - wer denn sonst?

Sie sind jetzt 20 Jahre erfolgreich gesegelt. Jetzt gehen alle erst mal an Land und feiern. Worauf freuen Sie sich besonders?

Ihne: Auf das große Jubiläumsfest am 19. Juni auf dem Campus. Da können wir die Freude zum Ausdruck bringen, dass aus uns etwas geworden ist. Wir können mit Stolz dem Steuerzahler sagen: Schau dir an, was du hier finanziert hast! Das geben wir dir alles zurück! Dass wir das sagen können - das freut mich am meisten.

Zur Person

Professor Hartmut Ihne wurde 1956 in Bielstein im Bergischen Land geboren und war zunächst Elektriker an der dortigen Brauerei. Später studierte er Elektrotechnik/Informationsverarbeitung, Philosophie, Politologie, Germanistik, Pädagogik, Wirtschaftswissenschaft und Jura in Bielefeld, Siegen, Bonn, Bern und Neuchâtel und promovierte 1990 über Ethik. Er war unter anderem Referent im Bundestag und Geschäftsführer des Internationalen Wissenschaftsforums Bonn, ist Lehrbeauftragter an der Uni Bonn und der FH Eberswalde und engagiert sich ehrenamtlich zum Beispiel in der evangelischen Kreissynode Bonn, in der Kindernothilfe Duisburg und im "Forum Eine Welt". Seit 1. November 2008 ist Hartmut Ihne Präsident der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

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