Immobilienfinanzierung Zahlen bis zum 96. Lebensjahr

BERLIN · Das Ehepaar Miriam und Patrick J. aus einem Weinort an der Saar erwartete 2011 Nachwuchs und wollte ein Haus bauen. Sie war 32 Jahre alt und arbeitete als Lehrerin an einem Gymnasium, er war 37 Jahre alt und bezog nach einer Krebserkrankung eine private Berufsunfähigkeitsrente.

 Vor dem Bau oder Kauf einer Immobilie steht die solide Finanzierung.

Vor dem Bau oder Kauf einer Immobilie steht die solide Finanzierung.

Foto: DPA

Auf der Suche nach einer Finanzierung ihrer Eigenheimpläne landete das Paar bei einem Berater von Wüstenrot in Trier. Eigentlich, und das machten sie deutlich, wollten sie ein Darlehen, das nach 21 Jahren getilgt sein sollte. Denn dann wird die private Rente des Ehemanns auslaufen. Und da Patrick vor seiner Erkrankung nur wenige Jahre in die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt hatte, könne er im Alter vom Staat wenig erwarten.

Das Ehepaar holte andere Angebote ein, unterschrieb aber bei Wüstenrot. Ende 2011 war Baubeginn, seit 2012 wohnt die Familie in ihrem Einfamilienhaus. Es vergingen noch zwei Jahre, bis die beiden merkten, dass sie den Fehler ihres Lebens gemacht hatten. Miriam J. sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: "Als Beamtin verdiene ich recht gut und mein Mann hat eine ordentliche Rente. Dennoch hätte uns die Finanzierung in den Ruin getrieben."

In der Tat: Die beiden hätten 59 Jahre gebraucht, um ihre Schulden zu tilgen. Die Finanzierung, die sie mit ihren Unterschriften gekauft hatten, hätte dazu geführt, dass er bis zu seinem 96. Lebensjahr und sie bis zu ihrem 91. Lebensjahr gezahlt hätten.

Was war passiert? Die beiden waren an eine Finanzierung geraten, die der Vertrieb von Bausparkassen besonders gern verkauft: Es handelt sich um die so genannte Bausparsofort-Finanzierung. Das Modell, das Bausparkassen-Vertreter wegen der Provisionszahlungen attraktiv finden, funktioniert so: Der Immobilienkäufer zahlt jeden Monat einen "Sparbeitrag" in einen Bausparvertrag ein, bis dieser Vertrag zuteilungsreif ist. In der Regel ist dies der Fall, wenn 40 oder 50 Prozent der Bausparsumme angespart ist. So vergehen Jahre, bis das Bauspardarlehen genutzt werden kann. In dieser Zeit muss der Kunde neben dem Sparbeitrag noch die Zinsen für ein Darlehen aufbringen, das tilgungsfrei ist.

Auf den ersten Blick konnte sich die Finanzierung von Patrick und Miriam J. sehen lassen: 243 000 Euro hatten sie als Darlehen aufgenommen, die monatliche Belastung lag bei rund 1000 Euro. Bei näherem Studieren der Konditionen wurde die Kehrseite deutlich: Lediglich 202 Euro im Monat werden angespart, 800 Euro sind für Zinsen fällig. Es würde Jahrzehnte dauern, bis so die 121 500 Euro zusammen kämen, um das eigentliche Darlehen zu bekommen. Der Sparbeitrag wird zwar mit 0,5 Prozent verzinst, für das tilgungslose Darlehen in Höhe von 243 000 müssen die beiden aber 3,95 Prozent Zinsen zahlen. Da der Vertreter zwei Mal Provision kassiert, einmal für den Bausparvertrag und noch einmal für das tilgungslose Darlehen, ist es für ihn ein gutes Geschäft. Für Miriam und Patrick J. und viele andere Immobilienkäufer ist es ein sehr schlechtes Geschäft.

Achim Tiffe, Finanzexperte und Anwalt in Hamburg, kennt viele ähnlich gelagerte Fälle. "Die Finanzierung hat erhebliche Nachteile." Die massiven Nachteile seien durch die niedrige monatliche Belastung aber nicht so leicht zu erkennen: Die Verbraucher stellen der Bausparkasse in der Ansparphase faktisch ihr Geld für einen verschwindend geringen Zinssatz von 0,5 Prozent zur Verfügung, und leihen sich das gleiche Geld gegen die Zahlung von 3,95 Prozent Zinsen wieder aus. Weitere Nachteile: Es gibt zusätzliche Kosten wie Bearbeitungsentgelte und Kontoführungsgebühren. Tiffe: "Je höher das Darlehen ist und je länger die Sparphase dauert, desto größer wird der Schaden für die Verbraucher." Tiffe hat ausgerechnet, dass bei einem Darlehen von 200 000 Euro und gleichen Zinssätzen eine Bausparsofort-Finanzierung allein in den ersten zehn Jahren 22 643 Euro mehr kostet als ein Darlehen mit sofortiger Tilgung. Hinzu kommt das Risiko, nach zehn Jahren, wenn die Zinsbindung für das tilgungslose Darlehen ausläuft, in eine Hochzinsphase zu geraten.

Das Ehepaar hat einen Anwalt eingeschaltet, um aus der Finanzierung sofort auszusteigen. Wüstenrot pocht aber auf Einhaltung der Verträge, wonach dies erst nach zehn Jahren, also 2021, möglich ist. Die Schlichtungsstelle der privaten Bausparkassen wurde angerufen. Bislang alles vergeblich. Auch gegenüber unserer Zeitung will Wüstenrot von einer Fehlberatung nichts wissen. In der Stellungnahme des Unternehmens zu diesem Fall heißt es: "Insgesamt gesehen" sei das Produkt für die Familie eine "gute Wahl".

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