Interview mit Postchef Frank Appel "Wir zahlen die besten Löhne der Branche"

BONN · Postchef Frank Appel über niedrige Tarife, das globale Geschäft und den Standort Bonn. Mit ihm sprachen Claudia Mahnke, Helge Matthiesen und Julian Stech.

 Verspricht "mindestens 10 000 neue Arbeitsplätze": Postchef Frank Appel.

Verspricht "mindestens 10 000 neue Arbeitsplätze": Postchef Frank Appel.

Foto: barbara frommann

Das Paketgeschäft brummt, auch dank steigender Onlinebestellungen. Bei der Bundesnetzagentur haben sich im vergangenen Jahr aber 60 Prozent mehr Kunden über die Paket- und Briefzustellung beschwert als im Vorjahr. Wie erklären Sie das?

Appel: Die Beschwerden bei der Bundesnetzagentur sind nur einer von vielen Parametern, um die Qualität zu messen. Jeder unzufriedene Kunde ist einer zu viel, aber wir liegen im Markt bei der Kundenzufriedenheit an der Spitze. Mit unserer Paketzustellung sind die Kunden sogar so zufrieden wie nie zuvor. Das zeigen auch Reaktionen im Internet. Nach einer Studie des Marktforschungsunternehmens Yougov war DHL im vergangenen Jahr in Deutschland die Marke, die von den Verbrauchern am positivsten kommentiert wurde.

Künftig sollen neu eingestellte Paketzusteller zu niedrigeren Löhnen arbeiten. Wie passen schlechtere Bezahlung und bessere Qualität zusammen?

Appel: Wieso ist das schlechte Bezahlung? Das sind die besten Löhne in unserer Industrie und deutlich besser als die unserer Wettbewerber. Die Frage ist doch, wie wir am Marktwachstum teilnehmen und zugleich weiter investieren können, damit unsere Arbeitsplätze auch langfristig sicher sind. Mit den Kostenstrukturen, die wir heute haben, werden wir aber keine Marktanteile gewinnen, sondern verlieren. Die Tarife gelten nur für neue Mitarbeiter und liegen im Schnitt bei rund 13 Euro die Stunde, an manchen Orten sogar deutlich darüber. Dass wir hier ein faires Angebot machen, sehen Sie daran, dass es bereits mehr als 3000 Frauen und Männer angenommen haben. Insgesamt erwarten wir bis 2020 mindestens 10 000 neue Arbeitsplätze - darin sind früher befristet Beschäftigte noch gar nicht eingeschlossen.

Verdi hat jetzt die Tarifregelung zur Arbeitszeit aufgekündigt. Was bedeutet das? Drohen Streiks?

Appel: Anstatt Tarifverträge zu kündigen, sollte sich Verdi ihrer Verantwortung stellen. Seit fast zwei Jahren reden wir mit Frau Kocsis über unsere Herausforderungen und wie wir gemeinsam Arbeitsplätze dauerhaft sichern. Auch über unser Vorhaben mit den neuen Gesellschaften ist Verdi seit Wochen informiert. Gegenteilige Behauptungen sind schlicht falsch. Was Verdi macht, hat mit der Sache überhaupt nichts zu tun. Verdi hat jetzt Tarifregelungen für Mitarbeiter gegekündigt, die von den Tarifen für Neueinsteiger gar nicht betroffen sind - nur um streikfähig zu werden.

Verdi wirft Ihnen Vertragsbruch vor. Was sagen Sie dazu?

Appel: Wir brechen keine Verträge! Wir halten uns an die mit Verdi geschlossenen Tarifverträge und getroffenen Vereinbarungen. Es geht darum, dass wir unsere Investitionen zurückverdienen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir wollen diese Sparte zukunftsfähig halten, das sind wir auch den Mitarbeitern schuldig.

Welche anderen Berufsgruppen bei der Post werden bei Neueinstellungen künftig schlechter bezahlt?

Appel: Wir reden heute über die Paketzustellung, weil das unser Wachstumsgeschäft ist und wir hier zukünftig wettbewerbsfähige Kostenstrukturen brauchen. Laut Verdi besteht bis heute kein Handlungsbedarf, solange wir Gewinne machen. Das ist nicht im Interesse unserer Beschäftigten. Wohin das führen kann, sieht man dort, wo aktuell gerade massiv Arbeitsplätze abgebaut werden. Wir dagegen schaffen Tausende neue Arbeitsplätze.

Wie sieht es denn zum Beispiel bei den Führungskräften aus? Stellen Sie da neue Leute auch zu niedrigeren Gehältern ein?

Appel: Auch bei den Führungskräften verdienen neue Manager bei uns nicht automatisch das gleiche wie ihre Vorgänger. Dennoch bieten wir attraktive Vergütungen. Und das gilt auch für die Regionalgesellschaften, in denen wir immer noch besser als die gesamte Konkurrenz zahlen.

Es werden aber künftig in der Brief- und Paketsparte Mitarbeiter für die gleiche Arbeit unterschiedlich bezahlt ...

Appel: Diese Situation haben wir doch schon lange. Übrigens wurde das vor vielen Jahren gemeinsam mit dem Sozialpartner so vereinbart. Wenn Sie irgendwo neu anfangen, können Sie Ihr Gehalt nicht mit jemandem vergleichen, der schon viele Jahre in dem Job arbeitet. Zudem bieten wir jedem Aufstiegschancen in Deutschland, aber auch international. Ein Kollege kann sich zum Beispiel auch für eine Aufgabe im Ausland bewerben, die Sprache lernen und dort Führungskraft werden. Wenn jemand einen guten Job macht, kontinuierlich dazulernt und sich weiterentwickelt, dann honorieren wir das natürlich.

Unter Ihrer Leitung baut die Post zahlreiche neue Geschäftsfelder auf: E-Postbrief, Zusteller als Seniorenhilfen, Paketboxen für Privathäuser, Fernbusse, Reiseveranstalter. Was läuft denn gut, was nicht so gut?

Appel: Die E-Post ist mit Abstand unser größtes Investment und läuft sehr gut. Wir haben im vergangenen Jahr rund 300 Millionen Euro Umsatz gemacht und werden in diesem Jahr die schwarze Null erreichen. Nicht alle unsere neuen Ideen werden aber erfolgreich sein, wir müssen dann auch den Mut haben, diese Geschäfte wieder einzustellen.

Worauf dürfen wir uns als nächstes freuen?

Appel: Wir haben zur Optimierung unserer Lagerhäuser bei Supply Chain eine Datenbrille eingeführt, aber das ist eher für die internen Arbeitsabläufe von Bedeutung. Mich interessieren bei neuen Projekten immer zwei Dinge: Erstens, was ist der Mehrwert für die Kunden? Und zweitens, was kostet uns der Ausstieg, wenn wir keinen Erfolg haben? Wenn der Mehrwert da ist und die Kosten fürs Scheitern überschaubar bleiben, starten wir.

Erste Fernbusunternehmen sind pleite, andere erhöhen die Preise. Wie sieht Ihre Strategie aus?

Appel: Wenn sehr viele Spieler im Markt sind, geht es erst einmal turbulent zu. Das Bedürfnis, mit Bussen zu reisen, wird dramatisch zunehmen, vor allem wegen der demografischen Entwicklung. Wir haben da einen langen Atem.

Deutsche Post DHL ist weltweit unterwegs. Welche Regionen machen Ihnen Freude, welche Sorgen?

Appel: Wir werden weltweit ein moderates Wirtschaftswachstum sehen, das wird sich wohl bis 2020 auch nicht wesentlich ändern. Die Bestimmungsfaktoren sind Bevölkerungswachstum und Produktivitätswachstum. Die Bevölkerung wächst global nicht mehr so stark und der Produktivitätszuwachs der Weltwirtschaft verlangsamt sich auch. Vor allem, weil die Kostenvorteile des Standorts China nicht mehr so groß sind wie früher. Beschleunigende Faktoren wären ein dauerhaft niedriger Ölpreis oder wenn Indien die bisherige Rolle Chinas als Fabrik der Welt übernehmen würde. Mit beidem rechne ich aber eigentlich nicht. Für Deutschland kann ich feststellen, dass es uns noch nie so gut ging wie heute. Das auch deshalb, weil wir stark globalisiert sind. Die Globalisierung ist der wesentliche Treiber für Wohlstand und Frieden. Deshalb verstehe ich auch die Kritik am geplanten Freihandelsabkommen mit den USA nicht.

Zuletzt gab es keine guten Nachrichten vom Wirtschaftsstandort Bonn, Haribo zieht in die Grafschaft, Zurich will nach Köln, die Bundesstadt verliert zwei Großunternehmen. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Appel: Bessere Verkehrsanbindungen wie etwa zur A3 sind sicher wünschenswert. Wir fühlen uns hier aber auch so rundum wohl. Die Bildungsinfrastruktur stimmt, das ist für unsere Mitarbeiter und ihre Familien ein ganz wichtiger Faktor.

Und Klagen, Bonn tue zu wenig für junge Menschen?

Appel: Ich habe keine Diskussion mit meinen Kindern über die Jugendfreundlichkeit der Stadt Bonn.

Wie stark träfe Sie die geplante Gewerbesteuererhöhung?

Appel: Das träfe den Mittelstand viel stärker als uns. Bonn ist für uns steuertechnisch nur einer von mehr als 200 Standorten weltweit.

Wie läuft es beim Festspielhaus? Klingt das Projekt im Moment für Sie eher nach Dur oder Moll?

Appel: Eine entscheidende Frage für uns ist, welche Rolle Bund und Land beim Festspielhaus spielen. Die Situation ist für mich noch unklar. Ohne eine konkrete Beteiligung auch in den Aufsichtsgremien der angedachten Betreiberstiftung wird es schwierig. Wir sind in Vorleistung gegangen, können aber nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag den Löwenanteil der Verantwortung weitgehend alleine tragen. Zumal die Pflege des Beethoven-Erbes nicht nur ein Bonner Thema ist, sondern nationale Bedeutung hat. Außerdem brauchen wir einen sichtbaren Schulterschluss in der Stadt. Wenn alle in Politik und Kultur an einem Strang ziehen, dann kriegen wir das auch hin.

Mehr Beschwerden über die Zustellung

Im Jahr 2014 gingen bei der Bundesnetzagentur 1950 schriftliche Beschwerden über die Paket- und Briefzustellung in Deutschland ein. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um fast 60 Prozent. Von den 2350 vorgetragenen Beschwerdegründen bezogen sich 53,7 Prozent auf die Briefbeförderung und 25,6 Prozent auf die Paketbeförderung.

Viele Beschwerden erreichten die Bundesnetzagentur aus Hamburg (356) und dem Hamburger Umland. Zahlreiche Beschwerden gab es auch in Nordrhein-Westfalen (247), gefolgt von Hessen (170), Baden-Württemberg (169) und Bayern (161). Die Bonner Behörde wertet die Statistik aber nicht bezogenen auf einzelne Unternehmen aus. "Wir sind sehr daran interessiert, ein klareres Bild über den Umfang der Mängel zu bekommen", sagt Fiete Wulff, Sprecher der Bundesnetzagentur. Dabei gehe die Bundesnetzagentur auch der Frage nach, ob systematische Ursachen für die Unregelmäßigkeiten festzustellen sind. "Betroffene Verbraucher können sich gern an die Bundesnetzagentur wenden", so Wulff.

Zur Person

Frank Appel, Jahrgang 1961, wurde in Hamburg geboren und erwarb an der Universität München ein Diplom in Chemie. In Zürich promovierte Appel in Neurobiologie. 1993 steig er bei der Unternehmensberatung McKinsey ein, wo Appel 1999 Mitglied der Geschäftsführung wurde. Ein Jahr später wechselte er als Zentralbereichsleiter Konzernentwicklung zur Deutschen Post, wo Appel 2002 Mitglied des Vorstands wurde und seit 2008 Vorstandsvorsitzender ist. Frank Appel ist verheiratet, hat zwei Kinder und wohnt in Königswinter.

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