Interview: BDP-Geschäftsführer Schäfer und DVT-Chef Baaken "Wir müssen auch selbstkritisch sein"

Mit den Perspektiven der Welternährung beschäftigen sich der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) und der Deutsche Verband Tiernahrung (DVT). Unser GA-Redakteur sprach mit BDP-Geschäftsführer Carl-Stephan Schäfer und DVT-Chef Hermann-Josef Baaken.

 Getreide leistet einen Beitrag zur Welternährung.

Getreide leistet einen Beitrag zur Welternährung.

Foto: DPA

Kann die Erde alle Menschen ernähren?

Carl-Stephan Schäfer: Theoretisch ja, auch bei weiterem Bevölkerungswachstum. In den nächsten 50 Jahren müssen wir dazu allerdings so viele Lebensmittel erzeugen wie zusammengerechnet in der gesamten Menschheitsgeschichte.

Und das funktioniert?

Schäfer: Das hängt von vielen Faktoren ab. Die nachhaltige Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion ist ein zentraler Baustein. Um 1900 ernährte ein Landwirt im Schnitt vier Menschen, heute sind es 132. Pro Kopf benötigen Sie heute für die Ernährung nur noch ein Drittel der Ackerfläche verglichen mit 1950.

In Deutschland und Europa vielleicht, aber nicht überall ...

Hermann-Josef Baaken: Das Problem mancher Länder sind ineffiziente und korrupte Strukturen vor Ort, etwa bei der Verteilung. Dadurch kann es zu hohen Nachernteverlusten kommen. Andererseits sind die klimatischen Voraussetzungen nicht überall gleich gut. Europa ist ein wichtiger Rohstofflieferant.

Theoretisch genug Nahrung für alle, aber viele Menschen hungern?

Schäfer: Ja, leider. Etwa 840 Millionen Menschen sind weltweit unterernährt. Schätzungsweise 165 Millionen Kinder haben Wachstumsprobleme wegen Mangelernährung.

Baaken: Wir sprechen bei Nährstoffmangel von "Stillem Hunger". Rund zwei Milliarden Menschen leiden darunter, etwa weil Jod in der Nahrung fehlt.

Schäfer: Absolut gesehen ist der Hunger in der Welt kaum weniger geworden. Relativ gesehen aber schon erheblich. Heute hungern zwölf Prozent der Weltbevölkerung, vor 20 Jahren waren es noch 19 Prozent.

Wie könnte die Lage verbessert werden?

Baaken: Freier Welthandel ist wichtig. Wie bei anderen Waren auch, profitieren alle. Die eine Pflanze wächst hier in Deutschland besser, die andere vielleicht in Südeuropa oder in Afrika. Es kann also sinnvoll sein, wenn etwa der Sudan Weizen zur Versorgung der Menschen importiert.

Kritiker halten dem entgegen, dass arme Länder dann Rohstoffe für Lebensmittel exportieren, die im eigenen Land dringend gebraucht würden. Die Märkte müssten auch geschützt werden.

Baaken: Ja, es gibt diese Debatte, vor allem bei Soja. Wir kaufen beispielsweise Rohstoffe für Futtermittel in Brasilien ein. Aber wir rauben diese Länder nicht aus und sind nur ein kleiner Abnehmer. Lateinamerika liefert in großem Umfang nach Asien. Die meisten Länder erzeugen den größten Teil ihrer benötigten Nahrungsmittel selbst. Von den 80 Millionen Tonnen Futter, die Schweine, Rinder und andere Nutztiere hier jährlich fressen, stammen 87 Prozent aus Deutschland oder EU-Ländern. Bei den Rindern zählt dazu ganz einfach auch das Grünland, aber auch der heimische Weizen und Rapsschrot.

Sind die kleinbäuerlichen Strukturen in Entwicklungsländern zu ineffizient?

Schäfer: Es hilft nicht, diesen Ländern unser System überzustülpen. Die Strategie muss sein, zu effizienter, ressourcenschonender Landwirtschaft zu kommen, aber das kann nur langsam wachsen. Wir beraten etwa zu Saatgut in Äthiopien, und das ist ein mühsames Geschäft. Wie gesagt, die Probleme liegen meist anderswo. In Indien sind Kastenwesen und Korruption problematisch. Brunnenbohrung ist dort eigentlich nur unter staatlicher Aufsicht genehmigt, wegen der Korruption gräbt aber jeder seinen eigenen Brunnen. Die Folge: Der Grundwasserspiegel sinkt dramatisch ab.

In Deutschland gibt es nach wie vor eine heftige Debatte um großflächige Landwirtschaft und Massentierhaltung ...

Baaken: Es ist keine Frage der Größe, ob Tiere artgerecht gehalten werden. Ein Bauer kann heute auf hohem technischen Niveau Tausende Schweine unter Einhaltung aller tierschutzrechtlichen Bestimmungen halten. Ein Grundproblem ist doch, dass viele Bürger kaum noch etwas über Landwirtschaft und die Produktionsbedingungen wissen und wir deshalb Aufklärung betreiben müssen.

Schäfer: Die landwirtschaftliche Branche muss sich schon auch einer gewissen Selbstkritik stellen, so zum Beispiel wenn jetzt auch Investoren angezogen werden, die nicht aus der Landwirtschaft kommen und einfach nur Rendite machen wollen. Herzstück der deutschen Landwirtschaft sind Landwirte, die ihre Betriebe nachhaltig führen, also an ihre Kinder weitergeben.

Aber die Initiative Tierwohl kommt doch nicht von ungefähr. Hier in der Region waren Projekte wie eine Putenfarm für mehr als 38.000 Tiere Aufreger.

Schäfer: Der Verbraucher stellt heute auch das Tier und seine Lebensbedingungen in den Mittelpunkt. Sachlich gesehen mag das Ei von der Käfighenne das beste Produkt sein. Die liefert hygienisch perfekte Eier, aber die Verbraucher wollen sie nicht haben, weil sie stört, dass die Henne im Käfig sitzt. Seit 2009 ist die Käfighaltung verboten. Dieser Spagat zwischen fachlichen und gesellschaftlichen Anforderungen ist manchmal nicht ganz einfach und auch nicht von heute auf morgen auf die Schnelle zu ändern.

Baaken: Eins muss klar sein: Wer Kalbsschnitzel isst, muss auch bereit sein, das Schlachten von Tieren zu akzeptieren. Mit passender Fütterung leisten wir einen guten Beitrag zur Gesunderhaltung der Tiere - wir sind aber nicht die Reparaturwerkstatt für Fehler, die andere machen. Wenn das Management im Stall nicht stimmt, können wir das nicht mit Futtermitteln geradebiegen.

Warum müssen überhaupt immer neue Pflanzen entwickelt werden?

Schäfer: Es kommen neue Pflanzenkrankheiten, Klimaänderungen, und darauf muss die Branche reagieren, sonst sinken die Erträge. Auch die Verbraucheransprüche haben sich geändert. Ich erinnere nur an die holländische Wassertomate. Da wollten die Verbraucher ein Gemüse, das besser schmeckt. Und schauen Sie sich an, wie viele Tomatensorten Sie heute im Supermarkt bekommen. Im Übrigen dauert die Entwicklung einer neuen Pflanzensorte zehn bis 25 Jahre. Und die Zulassung bekommt sie nur, wenn ein Zusatznutzen nachgewiesen wird. Die Lebensmittelindustrie muss das nicht nachweisen, wenn sie neue Produkte auf den Markt wirft. Unsere Branche ist stark reglementiert.

Und wie gehen ihre Mitgliedsfirmen mit der umstrittenen Gentechnik um?

Schäfer: Wir haben verstanden, dass der deutsche Verbraucher keine Gentechnik im Anbau haben will. Anderswo wird das gemacht. Es gibt Mitglieder, die Teile ihres Geschäfts ins Ausland verlagern, um dort gentechnisch zu arbeiten. Sie fürchten, sonst Absatzmärkte zu verlieren.

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