Kehrtwende zum Traumberuf Warum eine Informatikerin Stofftiere entwirft

BONN/TROISDORF · Früher hat Marina Bachran im Büro am Bildschirm nüchterne Datenreihen analysiert und Programmcodes entwickelt. Heute entwirft sie Schnittmuster für bunte Filztaschen, näht Modelle von Kissen in Krokodilform oder wählt die passenden Muster für den selbst geschneiderten Kinderrock aus.

 Vom Computer zur Nähmaschine: Marina Bachran (links) hat bei Unternehmerin Steffi Gerharz ihren Traumjob gefunden.

Vom Computer zur Nähmaschine: Marina Bachran (links) hat bei Unternehmerin Steffi Gerharz ihren Traumjob gefunden.

Foto: Kieras

Die 35-jährige Troisdorferin hat das umgesetzt, wovon viele Arbeitnehmer nur träumen: Sie hat ihr Hobby zum Beruf gemacht. Die Diplom-Informatikerin mit Einser-Abschluss arbeitet heute als Nähdesignerin bei der jungen Troisdorfer Firma Aprilkind.

Bachran gehört zu den 43 Prozent der Deutschen, die im vergangenen Jahr nach der Studie "Jobzufriedenheit 2013" über einen Arbeitsplatzwechsel nachgedacht haben. Jeder Zweite sei mit seinem Arbeitsplatz unzufrieden, so die Ergebnisse der Umfrage im Auftrag einer Zeitarbeitsfirma. Radikale Jobwechsel wie der vom Computer an die Nähmaschine sind jedoch laut Torsten Biemann, BWL-Professor und Karriere-Experte an der Universität Mannheim, eher selten. "Studien zeigen, dass meist der Vorgesetzte und nicht die Aufgabe Hauptgrund für Unzufriedenheit im Job sind". Dann mache der Sprung in eine ganz andere Tätigkeit wenig Sinn.

Neu ist die Näherei für Marina Bachran nicht. Seit ihrer Schulzeit werkelt sie mit Stoffen, Wolle und Nadeln. "Nach der Geburt meiner Tochter habe ich das Hobby wieder aufgenommen, weil ich für sie individuelle Kleidung haben wollte", sagt sie. Für den Jobeinstieg nach der Kinderpause vor zwei Jahren ging sie erst einmal auf Nummer sicher als Softwareentwicklerin: "Da konnte ich auf meine Berufserfahrungen zurückgreifen." Dazu kommt: "Für mich war es keine Option, selber ein Unternehmen zu gründen, das liegt mir einfach nicht."

Dass die Informatikerin nun in ihrer 20-Stunden-Stelle für ihr Hobby bezahlt wird - und das ohne nennenswerte Verluste im Vergleich zum vorherigen Job -, ist letztendlich dem Zufall zu verdanken. Ihre jetzige Chefin, Aprilkind-Gründerin Steffi Gerharz, kannte sie schon aus der Aufbauphase des Unternehmens. Seit 2011 bietet Aprilkind Nähkurse an und vertreibt Schnittmuster und Stoffpakete zum Selbernähen für die eigenen Entwürfe über das Internet.

Als das Geschäft erfolgreich anlief, wechselte Bachran aus der Rolle der Freundin, die ab und zu mit einem Nähtipp aushilft, in die Festanstellung. "Als das Angebot kam, habe ich noch am selben Tag im Internet gesucht, wie man eine Kündigung schreibt", erinnert sich Bachran. Sie sei als Informatikerin zwar nicht wirklich unzufrieden gewesen, aber begeistern kann sie sich für die Handarbeit.

Die Bonner Karriereberaterin Melanie Schumacher kennt Menschen wie Marina Bachran, die sich nach einigen Jahren im Berufsleben komplett umorientieren wollen. "Oft zeigt sich in der Lebensmitte eine allgemeine Unzufriedenheit", sagt sie. "Die Menschen fragen sich, welchen Sinn ihr Job ihrem Leben gibt und wollen die Weichen für die zweite Hälfte ihres Berufslebens stellen."

Ein kompletter Neustart sei allerdings nicht immer die passende Lösung, sagt die Expertin. "Wichtig ist, am Anfang, sich darüber klar zu werden, was genau einen an seinem Job stört und was auch die guten Seiten sind", rät Schumacher; erst dann könne man über mögliche Konsequenzen nachdenken. Wer den radikalen Berufswechsel wage, müsse sich meist auf "einen langen Weg mit weniger Geld, eventuell einer neuen Ausbildung und Kopfschütteln bei Freunden und Bekannten" einstellen. "Bloß nicht aus einem Impuls heraus die alte Stelle kündigen", warnt Schumacher.

Oft scheitere der erträumte Jobwechsel an den finanziellen Realitäten. "Vor allem Männer stehen oft als Hauptverdiener der Familien unter enormem Druck, den einmal erreichten Lebensstandard halten zu müssen", sagt die Bonner Beraterin. Laut BWL-Professor Torsten Biemann ist nicht nur die Jobzufriedenheit an das Einkommen gekoppelt. "Über einen bewussten Verzicht auf Karriere oder Einkommen nachzudenken, können sich nur sehr wenige leisten", sagt er.

Für den Wachtberger Alexander Fröhlich stand das Geld nicht im Mittelpunkt, als er sich mit 33 Jahren und abgeschlossenem Jurastudium für eine Ausbildung zum Schuhmacher für Maßschuhe entschied. "Reich werde ich sicher nie damit", sagt er. "Aber man kommt auch mit weniger aus." Fröhlich sitzt zwischen Leder und Werkzeugen am seinem Arbeitstisch im Bad Godesberger Antiquitätenladen Sternenburg, mit dem er zusammenarbeitet. Zu seiner Arbeitsschürze trägt er edle schwarze Lochmuster-Halbschuhe aus Rindsleder mit dunkelgrüner Paspel. Aus eigener Hände Arbeit, versteht sich.

Lange habe er nach dem passenden Beruf gesucht, sagt er. Und auch wenn die Suche nach zahlungskräftigen Kunden noch schwierig ist, sieht Fröhlich sich am richtigen Platz und freut sich auf und über seine Arbeit: "Ich kann als Selbstständiger unternehmerisch arbeiten, meine Kreativität einsetzen, habe mit Menschen zu tun", sagt er. Besonders wichtig für den Jobwechsler, der nach seinem Jurastudium unter anderem als Fotograf gearbeitet hat: "Mein Produkt entsteht von Anfang bis Ende aus eigener Arbeit." Rund eine Woche dauert es, bis Fröhlich ein Paar Schuhe angefertigt hat.

Mit rund 1200 Euro für ein Paar Schuhe mit eigens angefertigtem Leisten bleibt der Kundenkreis begrenzt. Maßschuhe leisteten sich stilbewusste Gutverdiener, Menschen mit besonders breiten oder schmalen Füßen oder Leute auf der Suche nach dem besonderen Geschenk. "Das ist der einzige Wermutstropfen bei meinem Beruf", sagt Fröhlich. "Ich würde gerne für alle Interessenten Schuhe machen können, unabhängig vom Geldbeutel."

Dass der Beruf Zukunft hat, davon ist Fröhlich seit seiner zweijährigen Lehrzeit bei einem Schuhmachermeister in Mettmann überzeugt. "Es ist eine Nische mit wenig Nachfrage, aber inzwischen auch wenig Konkurrenz", sagt er. Wenn er in seiner Werkstatt sitzt und ein Hörbuch bei der Arbeit hört, freut sich der Wachtberger, dass er "nicht in einem Büro acht Stunden am Tag unter Strom steht".

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