"Teach First": Vermittlung von Hochschulabsolventen an Schulen Von der Uni in den sozialen Brennpunkt

BONN · Mit seinen 31 Jahren kann Ole Vollertsen bereits einen eindrucksvollen Lebenslauf vorweisen: Einser-Abitur, Physik-Diplom mit der Note 1,1, Dozent für Mathematik an der Universität Hamburg, Initiator einer Volksinitiative für das Grundrecht auf frühkindliche Bildung, ein Management-Job im Bonner Post-Tower.

 In Chile unterstützt die Organisation Schulen in Brennpunkten.

In Chile unterstützt die Organisation Schulen in Brennpunkten.

Foto: Privat

Vollertsen dürfte für die meisten Arbeitgeber ein Traum-Kandidat sein. Doch nach seinem Studium entschied er sich erst einmal dafür, zwei Jahre lang an einer Hamburger Gesamtschule bei Jugendlichen Interesse für Naturwissenschaften zu wecken. Eine Erfahrung, die seine Persönlichkeit verändert hat, wie er sagt.

Möglich gemacht hat seinen Einsatz an der Schule die Organisation Teach First Deutschland. Sie schickt seit 2009 persönlich und fachlich herausragende Hochschulabsolventen aller Fachrichtungen für jeweils zwei Jahre an Schulen in sozialen Brennpunkten. Das Ziel: Die Hilfslehrer sollen die schulischen Chancen von sozial benachteiligten Kindern verbessern und gleichzeitig ein Engagement für das Thema Bildungsgerechtigkeit entwickeln, das sie in ihrer späteren Laufbahn fortsetzen können.

Die Idee stammt aus den USA. Vor 26 Jahren stand Wendy Kopp vor ihrer Abschlussarbeit an der amerikanischen Eliteuniversität Princeton. "Vielen in meiner Generation ging es damals nur ums Geldverdienen, die Arbeitgeber von der Wallstreet standen bei uns Schlange", sagt sie bei einem Besuch in der Zentrale der Deutschen Post in Bonn, die einer der Hauptsponsoren der Organisation ist. "Ich wollte allerdings mehr bewegen", erinnert sich Kopp.

Das Thema ihrer Abschlussarbeit setzte sie daher kurzerhand in die Tat um: "Teach First", beziehungsweise damals "Teach for America" sollte die desolate Lage an US-Schulen in sozial schwachen Gegenden verbessern, erzählt Kopp. "Allerdings hätte ich nie geahnt, was für ein Erfolg die ganze Aktion einmal würde." Heute sind unabhängige Organisationen in 36 Ländern Teil des Netzwerks. Allein in den USA gingen auf die jährlich 5000 Stellen rund zehnmal so viele Bewerbungen ein, sagt Kopp. "Von dem Programm, das das Ziel hat, allen Kindern weltweit eine exzellente Bildung zukommen zu lassen, profitieren alle unsere Partner", sagt sie. "Die Kinder werden intensiver im Klassenzimmer betreut und hier bringen die neuen Ideen der Uni-Absolventen oft Schwung in den Alltag."

Gleichzeitig würden die jungen Akademiker zu lebenslangen Fürsprechern für Chancengleichheit. Wie viele andere Ehemalige hat auch den Neu-Bonner Ole Vollertsen das Thema Bildung nicht mehr losgelassen. Nach den zwei Jahren bot ihm die Schule eine feste Lehrerstelle an. Der Physiker entschied sich dagegen, weil er sich fachlich anders weiterentwickeln wollte. "Aber es ist gut möglich, dass ich mich eines Tages auch beruflich wieder mit dem Thema Bildung beschäftigen werde", sagt er. In den USA schlagen laut Kopp mehr als die Hälfte der Programmteilnehmer später eine Laufbahn im Bildungssektor ein, viele gründeten eigene Schulen oder gemeinnützige Organisationen. Vollertsen entschied sich für eine Karriere in der Wirtschaft.

Seine Erfahrungen aus der Schule im Brennpunkt kämen ihm auch hier zugute, sagt er. "Ich denke seitdem mehr über Kommunikation nach." Kaum jemand gebe auf die eigene Botschaft ein so direktes Feedback wie eine Schulklasse: "Jugendliche in der Pubertät interessieren sich nun einmal für alles andere mehr als Physik", musste er als Lehrer-Neuling feststellen und trotzdem Wege finden, die Kinder zu begeistern.

"Bildung muss möglichst früh ansetzen, um allen Kindern faire Chancen zu geben", findet Post-Vorstandschef Frank Appel. Daher engagiere sich der Konzern für das Bildungsprojekt. Neben einer nicht näher genannten Geldspende unterstützt die Post in Deutschland und anderen Ländern "Teach First" mit eigenen Mitarbeitern, die Schüler und Lehrer beraten. "In Deutschland beschäftigen wir uns viel zu viel mit den Strukturen des Bildungssystems und viel zu wenig mit der eigentlichen Qualität der Lehre", kritisiert Appel.

Ole Vollertsen sieht sein Ziel als Unterstützungslehrer erreicht. "Ich wollte bei mindestens zwei Schülern das Leben so beeinflussen, dass sie wider Erwarten den Schulabschluss schaffen und eine berufliche Perspektive haben", sagt er. "Das ist mir gelungen."

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