Firmen in der Region Von der Quote befreit

BONN · Viele private Arbeitgeber in der Region zahlen lieber, statt die geforderten Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zur Verfügung zu stellen.

Rollstuhlfahrerin in der Telefonberatung: Aus Ausgleichszahlungen werden Fördermittel.

Rollstuhlfahrerin in der Telefonberatung: Aus Ausgleichszahlungen werden Fördermittel.

Foto: dpa

Wie viele das sind, zeigt die Statistik der Agentur für Arbeit Bonn/Rhein-Sieg: Eigentlich hätten über 1400 Firmen in der Region 2013 die gesetzlich vorgeschrieben Fünf-Prozent-Quote erfüllen müssen. Sie gilt für alle Unternehmen ab 20 Mitarbeitern. Insgesamt entschieden sich jedoch 855, lieber die Ausgleichsabgabe zu entrichten.

"Vielen Arbeitgebern ist es zu kompliziert, oder sie haben Angst", erklärt Patrizia Schiochet, Teamleiterin Reha der Agentur für Arbeit Bonn/Rhein-Sieg. Zu kompliziert, weil es häufig an Informationen fehle, Angst davor, weil viele Arbeitgeber fälschlicherweise denken, dass ein Mitarbeiter mit Behinderung nicht mehr gekündigt werden kann beziehungsweise ständig krank ist. "Aus meiner Erfahrung sind Menschen mit Behinderung jedoch eher selten krank", sagt Schiochet. Gerade wegen der Vorurteile seien sie besonders darauf bedacht, nicht so häufig zu fehlen.

Während die Quote bundesweit mit 4,7 Prozent 2013 nicht erfüllt wurde, steht Bonn auf den ersten Blick mit einer Quote von 8,2 Prozent sehr gut da. Allerdings ergebe sich diese Zahl daraus, dass in der Stadt eine wesentlich höhere Zahl öffentlicher Arbeitgeber angesiedelt sei, die Vorbildfunktion hätten und die Quote daher natürlich erfüllten. Betrachte man nur die privaten Arbeitgeber, so Schiochet, gleiche die Zahl der im Rhein-Sieg-Kreis. Dort liegt die Quote im Gegensatz zu Bonn nur bei 4,5 Prozent.

Dabei gehen die einzelnen Branchen anscheinend unterschiedlich mit dem Thema um. "Im gewerblich-technischen Bereich erfüllen die Unternehmen die Quote häufiger", fasst Schiochet zusammen. Positiv fallen auch der Hotel- und Gaststättenbereich auf, aber auch der Garten- und Landschafts- und der Einkaufsbereich. Am schlimmsten sei es in kaufmännischen Berufen. "Die Menschen gehen in der Masse der Bewerbungen unter", sagt Schiochet. Da der Andrang in diesem Bereich besonders groß sei, entschieden Unternehmen häufig wirtschaftlich.

Die gesetzliche Vorgabe nicht einzuhalten zu müssen, lassen sich die Unternehmen einiges kosten: 1,8 Millionen zahlten die Unternehmen im letzten Jahr insgesamt in Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis, teilte der Landschaftsverband Rheinland auf GA-Anfrage mit. Der Kommunalverband verwaltet die Gelder und ist Deutschlands größter Leistungsträger für Menschen mit Behinderung. Im Rheinland insgesamt zahlten die Firmen 74 Millionen Euro. "Gerade für große Unternehmen sind die Ausgleichszahlungen nicht so hoch", findet Schiochet. Diese liegen seit 2012 zwischen 115 Euro bis 290 Euro monatlich - je nachdem wie viele der geforderten Arbeitsplätze nicht besetzt werden.

Das Geld wird nach Angaben des LVR für die berufliche Wiedereingliederung von schwerbehinderten Menschen genutzt. Konkret erhalten unter anderem die Betroffenen selbst finanzielle Förderung, aber auch Arbeitgeber wie Integrationsbetriebe, die verstärkt mit behinderten Menschen zusammenarbeiten.

Die vorgeschriebene Quote gilt nur für Menschen mit schwerer Behinderung. Das heißt, ab einem Behinderungsgrad von 50 oder einem Grad von 30 mit Gleichstellung. "Bereits ein Mensch mit Diabetes hat einen Behinderungsgrad von 50, aber auch im Rollstuhl oder mit starker Sehbehinderung werde dieser Grad erreicht", erklärt Schiochet. Das heißt aber auch, dass die Quote nur einen Teil der Menschen mit Behinderung erfasst. Obwohl für weniger schwere Behinderungen die Integrationschancen ähnlich seien.

Ob die Unternehmen sich an die Vorgaben halten, überprüfen die Arbeitsagenturen. Der Arbeitgeber muss die Daten hierfür einmal jährlich melden, spätestens bis zum 31. März für das vorangegangene Kalenderjahr. Bis zu diesem Termin ist auch die gegebenenfalls zu zahlende Ausgleichsabgabe an das Integrationsamt zu überweisen. Übermitteln die Unternehmen unvollständige oder gar falsche Daten, droht ein Bußgeld in Höhe von bis zu 10.000 Euro.

Trotz Quote werden die Jobaussichten für Menschen mit Behinderung schlechter. Obwohl der Trend auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in die entgegengesetzt Richtung geht. In Deutschland blieben 2013 insgesamt 255.000 Arbeitsplätze unbesetzt, die nach Quote eigentlich für Menschen mit Behinderung vorgesehen waren.

Beratung für Unternehmen

Die Initiative "Bonnfairbindet" begleitet Arbeitgeber, vom Mittelständler bis zum Großunternehmen, bei Fragen der Inklusion. Das Netzwerk wurde 2013 ins Leben gerufen, wird von der Aktion Mensch gefördert und bietet Unternehmen kostenlose Informationsveranstaltungen zu unterschiedlichen Themen, wie zum Beispiel "Psychische Erkrankungen im betrieblichen Alltag" oder "Fördermittel und Unterstützungsangebote". "Menschen mit Behinderungen berufliche Chancen zu eröffnen ist nicht nur ein gesellschaftliches Ziel, sondern auch eine wirtschaftlich wichtige Perspektive", erklärt Projektleiter Jan-Philipp Buchheister.

Er wisse, dass sich Unternehmer im "Dschungel" von Sozialgesetzbüchern und Fördermitteln häufig verloren fühlen. An dieser Stelle wolle er ansetzen.

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