Karstadt Frau Sjöstedts unerwarteter Abgang

ESSEN/BONN · Sie hat den 17.000 Karstadt-Beschäftigten Hoffnung gegeben. Doch nun hat sie selbst den Mut verloren. Zweifel an Sanierung

Es ist nichts los im Essener Karstadt-Haus. Trotz vieler Sonderangebote verlieren sich die wenigen Kunden am Montagvormittag fast in dem Einkaufszentrum am Limbecker Platz. Doch in der wenige Kilometer entfernten Konzernzentrale schrillen zur gleichen Zeit die Alarmglocken.

Die Schwedin Eva-Lotta Sjöstedt hat weniger als fünf Monate nach dem Amtsantritt überraschend den Posten als Karstadt-Chefin hingeschmissen. Angetreten als Hoffnungsträgerin, die den 17.000 Karstadt-Beschäftigten eine Zukunftsperspektive verschaffen sollte, hat die Schwedin selbst den Mut verloren.

Doch ungewöhnlich ist nicht nur das schnelle Aus für die frühere Ikea-Managerin, sondern auch, wie offen die Schwedin darüber berichtet. Sie schiebt keine persönlichen Gründe für ihren Rückzug vor, keine gesundheitlichen Probleme.

Im Gegenteil: Sie habe die sehr schwierige Aufgabe auch deshalb übernommen, weil die Berggruen-Holdings des Karstadt-Eigentümers Nicolas Berggruen ihr "die volle Unterstützung" für ihre Strategie und ihre Investitionspläne für die 83 Warenhäuser zugesagt hätten, betont sie in einer vom Unternehmen veröffentlichten Erklärung. Doch nach den Erfahrungen der letzten Monate und in Kenntnis der wirtschaftlichen Rahmendaten müsse sie feststellen, "dass die Voraussetzungen für den von mir angestrebten Weg nicht mehr gegeben sind", schreibt sie ernüchtert.

Für den Handelsfachmann Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sind die Äußerungen der Managerin ein Alarmsignal: "Berggruen hat Sjöstedt offensichtlich viel versprochen, aber wenig gehalten. Das wirft die Frage auf, mit welcher Ernsthaftigkeit er als Investor noch hinter Karstadt steht."

Der Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein rechnet nicht damit, dass der Konzern die entstandene Lücke schnell wieder schließen kann. "Potenzielle Kandidaten können eigentlich nur noch einen großen Bogen um Karstadt machen, denn man kann nichts ausrichten". Heinemann vermutet, dass Berggruen schon seit längerer Zeit ein Ausstiegsszenario verfolge. Er investiere nicht in das Unternehmen. "Dabei benötigt Karstadt Investitionen in Milliardenhöhe. Denn bei den Warenhäusern ist inzwischen ein Investitionsstau von ein bis zwei Milliarden Euro entstanden", urteilt Heinemann.

Die Zukunft des Handelsriesen beurteilt der Branchenkenner düster. Er glaube nicht, dass nochmals jemand erscheine, um Karstadt zu retten, sagt Heinemann. "Denn eigentlich war der Knochen schon vor der Berggruen-Übernahme abgenagt."

Auch Gerd Hessert, der an der Universität Leipzig Handelsmanagement lehrt und früher selbst eine Zeit lang als Manager bei Karstadt arbeitete, ist pessimistisch. "Damit ist die Neukonzeption erst einmal auf Eis gelegt, und man muss sich um das nackte Überleben kümmern", glaubt er.

Von Karstadt-Eigentümer Nicolas Berggruen war trotz wiederholter Bemühungen zunächst keine Stellungnahme zu den Vorgängen zu erhalten. Bei den Mitarbeitern sorgte der Abgang der beliebten Chefin für Fassungslosigkeit.

"Das ist keine gute Nachricht für die Beschäftigten und das Unternehmen", sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Hellmut Patzelt - und seiner Stimme ist dabei anzuhören, wie sehr ihn Sjöstedts Schritt aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Es klingt ein wenig, als wolle er sich selbst Mut zusprechen, als er hinzufügt: "Ich muss nach vorne gucken. Wir müssen jetzt weitermachen, weitermachen, weitermachen."

Nüchtern gab sich am Montag der Betriebsratsvorsitzende von Karstadt Köln, Rolf Kothe, in seiner Reaktion auf Sjöstedts Rückzug: "Wir gehen davon aus, dass sich für die Mitarbeiter nichts ändert." Es werde dabei bleiben, dass die Filialen mehr Eigenverantwortung hätten und auch lokale Produkte anbieten könnten, um stärker auf die Bedürfnisse der Kunden einzugehen: "Davon bin ich felsenfest überzeugt." Der Betriebsrat in Bonn war am Montag nicht zu erreichen.

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