Gamescom in Köln Der Vollzeit-Youtuber

Bonn · Die weltweit größte Messe für Computerspiele Gamescom eröffnet in Köln. Die Branche wächst, junge Spieler werden unter Gleichaltrigen wie Rockstars gefeiert. Einer von ihnen ist der 21-jährige Marcel Althaus aus Düsseldorf.

Auf seinem Gewerbeschein steht "selbstständiger Medienproduzent". Mit seinen eigenen Worten gehört er zur "ersten Generation der Vollzeit-Youtuber". Für die jungen Leute von heute hat er den Status eines Rockstars: Marcel Althaus (21) aus Düsseldorf, unter seiner Fangemeinde besser bekannt als "Marcel Scorpion". Sein Markenzeichen auf Fotos: kritischer Blick, gerunzelte Stirn. Monatseinkommen: zwischen 7000 und 12 000 Euro brutto, abzüglich Steuern und Krankenversicherung. Geld ist für ihn kein Tabuthema: "Was ich verdiene, habe ich auch schon in einem Video erzählt. Genauso weiß ich auch, was meine Kollegen auf dem Konto haben." Die jungen Leute tauschen sich aus. Auch über die Agenturen, die sie managen, und Werbeverträge, die sie abschließen.

Marcel verdient seinen Lebensunterhalt damit, dass er Videos für die Internetplattform Youtube produziert. Das Berliner Medienunternehmen Divimove, bei dem er unter Vertrag steht, hat in seiner Kartei weitere 1700 professionelle Youtuber aus verschiedenen Ländern Europas. Marcel ist "Gamer" ("Spieler" auf deutsch), das heißt, die Mehrzahl seiner Videos dreht sich um ein bestimmtes Computerspiel.

Divimove hat aber auch andere Internetstars unter Vertrag: Die einen produzieren Videos über Trends aus dem Bereich Schönheit und Mode, andere unterhalten ihre Fans mit kurzen Webserien oder Musik. Nach eigenen Angaben ist das Medienunternehmen "Europas größtes Talent-Netzwerk" in der Branche. Divimove betreut die Youtuber, organisiert Events und kümmert sich um Werbeverträge.

Gamescom 2015
14 Bilder

Gamescom 2015

14 Bilder

So hat Marcel Zeit, sich hauptsächlich um die Produktion seiner Videos zu kümmern. Das heißt, während er spielt, zeichnet er die Sequenzen auf Video auf und schneidet sie zu einem kurzen Film. Anschließend vertont er die Ausschnitte mit eigenen Kommentaren. Dafür steht in seinem Arbeitszimmer neben einem Rechner, drei Monitoren und Spielkonsolen auch ein Mikro wie im Tonstudio.

Mehr als 500 000 sehen sich seine Lifestyle-Videos an

Dazu produziert er sogenannte "Lifestyle-Videos" über und aus seinem Leben - mal mit seiner Freundin Lena, mit der er vor Kurzem zusammengezogen ist, mal mit einem Youtube-Kollegen. Mehr als 500 000 Abonnenten verfolgen seinen Kanal mittlerweile. Täglich kommen mehr als 1000 dazu. "Gestern war kein guter Tag", erzählt Marcel. Da waren es weniger.

Unter jungen Leuten zwischen 14 und 17 Jahren löst der Internetstar Begeisterungsstürme aus. Zuletzt bei einem Treffen zwischen Youtubern und Fans in Berlin. Ein Video zeigt, wie sich 5000 Leute vor eine Bühne drängen und immer wieder Marcels Namen rufen. Es herrscht Stadionatmosphäre. Sogar Fans aus der Schweiz und Österreich seien angereist, so Divimove. "Danach haben wir mehrere Stunden Autogramme gegeben. Jeder sollte eins bekommen", erklärt Marcel.

Marcel weiß, dass viele Menschen nicht ernst nehmen, was er beruflich macht. Vorurteile, dass er ständig Urlaub habe oder doch nur spiele, kennt er nur zu gut. Urlaub hatte er tatsächlich in diesem Jahr bisher eine Woche: "Wenn ich wegfahre, muss ich die Videos vorproduzieren." Etwa zehn Videos pro Woche nimmt er auf, teilweise erscheinen sie auf seinem Kanal zu festen Zeiten. Immer dienstags, donnerstags und sonntags um 18 Uhr. Für ein Video braucht er zwischen drei und acht Stunden. Mal eine Zeit lang nichts zu veröffentlichen, ist in der Branche undenkbar: Wer nichts produziert, ist raus, sagte einer seiner Kollegen in einem Interview und spricht damit auch einen gewissen Druck an, unter dem die Internetstars arbeiten.

Für fünf Millionen Aufrufe gibt es 2200 Dollar

"Das Internet vergisst schnell", sagt Marcel. "Selbst wenn ich ins Krankenhaus müsste, wäre auf jeden Fall die Kamera mit dabei." Seit zwei Jahren ist der 21-Jährige professioneller Youtuber. Davor hat er Abitur gemacht und ein duales Studium begonnen. In das Studium war eine Ausbildung bei einer Bank integriert. "Ich wusste eigentlich direkt, dass das nichts für mich ist", erinnert sich Marcel. Dann habe er ein Praktikum beim Radio gemacht, nebenher immer gespielt. "Als mir klar wurde, dass mein Youtube-Kanal mehr Abonnenten hat als der Radiosender Zuhörer, wusste ich, was ich in Zukunft mache."

Jetzt ist er selbstständig. Auf der einen Seite lebt er seinen Traum, auf der anderen Seite muss er sich einen Steuerberater suchen und täglich E-Mail-Anfragen für Werbeaufträge durchsehen. Divimove unterstützt ihn zwar, aber Marcel beschäftigt sich auch selbst mit dem Thema Vermarktung: "Es gibt viele Youtuber, die werben für alles, Hauptsache es bringt Geld. Damit ist man irgendwann nicht mehr glaubwürdig. Warum sollte ich Werbung für Waschmittel machen?" Solche externen Werbeverträge sind für Marcel allerdings nicht Haupteinnahmequelle.

Mit Werbung, die vor seinen Videos läuft, generiert Marcel den Großteil seines Einkommens. Je öfter sein Video geklickt wird, desto mehr zahlen die Firmen. "Für fünf Millionen Aufrufe gibt es etwa 2200 Dollar", erklärt Marcel. Darüber hinaus gibt es Kappen und T-Shirts mit seinem Logo zu kaufen. Die zweite große Einnahmequelle. Eine der schwarzen Kappen trägt er selbst.

Richtig berühmt fühlt es sich nicht

Während der Fotograf ihn an seinem Schreibtisch ablichtet, spielt Marcel eine Sequenz des Spiels, das ihn so bekannt gemacht hat - ein sogenannter Ego-Shooter, bei dem der Spieler in die Rolle eines Soldaten schlüpft und kämpft. "Oh nein. Das war jetzt echt knapp. Was ist denn mit der Waffe los?" Dann hat er einen guten Lauf: "Das war perfekt. Bei einem meiner nächsten Videos werde ich die Szene verwenden. Und dann erzähle ich, dass ich dabei interviewt wurde." Auch wenn ihn Leute auf der Straße ansprechen und Autogramme von ihm wollen - richtig berühmt fühlt er sich trotzdem noch nicht.

Seine Erfahrungen bisher mit klassischen Medien sind überschaubar: Ein Interview bei der "Bravo", eins bei "Bild". "Über eine Einladung von Stefan Raab würde ich mich freuen", verrät er. Doch in den nächsten Tagen ist der Terminkalender wohl erst mal gut gefüllt: Die weltgrößte Computerspielemesse in Köln beginnt. Ein Geschäftstermin für alle "Vollzeit-Youtuber".

Divimove entdeckt Talente

Das Berliner Medienunternehmen Divimove ist darauf spezialisiert, Internettalente zu entdecken und sie zu unterstützen. Etwa 65 Mitarbeiter sind in Berlin beschäftigt. Dazu gehört eine eingegliederte Werbeagentur und ein eigenes Künstlermanagement. Das Unternehmen betreut etwa 1700 Internettalente aus Europa. Mit monatlich 1,3 Millionen Videoabrufen ist Divimoves Netzwerk nach eigenen Angaben das größte Europas. Umsätze und Gewinne möchte das Unternehmen nicht kommunizieren. Eigene Talent-Manager suchen den Nachwuchs aus, einige bewerben sich auch. Entscheidend sei neben der Zahl der Abonnenten, die ein Kanal hat, die Qualität der Inhalte und die Persönlichkeit des Talents.

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