Christian Elger im Interview Der Hirnforscher erklärt, wieso wir Geld ausgeben

BONN · Wann und warum geben wir Geld aus? Diese Frage und andere untersucht der Hirnforscher Professor Christian Elger am Forschungsinstitut Life & Brain der Bonner Universitätsklinik. Das Institut gilt als Vorreiter auf dem Gebiet des sogenannten Neuromarketings, das Ergebnisse aus der Hirnforschung für die Werbung nutzbar machen will. Mit Elger sprach Delphine Sachsenröder.

Was entscheidet, wenn es um Geld geht: Gefühl oder Verstand?
Christian Elger: In der Regel werden die meisten Kaufentscheidungen aus dem Unterbewusstsein getroffen. Den von den Wirtschaftswissenschaften lange propagierten "Homo Oeconomicus", den rational entscheidenden Menschen, gibt es nach den Erkenntnissen der Hirnforschung nicht. Im Gegenteil: Experimente haben gezeigt, dass Menschen in vielen Situationen faires Verhalten wichtiger ist als die Maximierung des eigenen Nutzens.

Wann geben wir besonders schnell Geld aus?
Elger: Rabatte zum Beispiel wirken direkt auf das Belohnungszentrum des Hirns. Wenn das Belohnungszentrum aktiviert wird, erleben wir ein Wohlgefühl. Hat sich dieses Wohlgefühl eingestellt, werden die Menschen kritikloser. Das lässt sich bei Messungen im Gehirn nachweisen. Dieses Wohlgefühl entsteht durch Preisreduzierungen, aber auch beispielsweise durch Biolabel. Die Menschen fühlen sich beim Kauf der Produkte wohl und zahlen bedenkenlos den höheren Preis.

Wie nutzen Unternehmen dieses Prinzip aus?
Elger: Starke Marken verknüpfen ihre Produkte durch geschickte Werbung mit Botschaften an das Unterbewusstsein. Der Energy-Drink Red Bull vermittelt seinen Käufern etwa das Gefühl, sportlich und ein Sieger zu sein. Damit aktivieren sie das Belohnungssystem. Der Geschmack und die Inhaltsstoffe sind zweitrangig. Wir Verbraucher unterschätzen das sogenannte Priming: Dabei nehmen wir unbewusst Reize auf, die später in Entscheidungen umgesetzt werden.

Das hört sich gefährlich an.
Elger: Es ist im Grunde genommen eine Katastrophe. Es gibt eine Untersuchung, dass bei Richtern, die vor einem Urteil gewürfelt haben, das Urteil sich an der vorher gewürfelten Zahl orientiert.

Wenn sich die Kritikfähigkeit von Menschen so leicht ausschalten lässt, was bedeutet das für Politik und Militär?
Elger: Militärs setzen das, was die Hirnforschung heute nachweisen kann, seit Jahrtausenden intuitiv ein. Die Menschen werden vor einem Krieg so beeinflusst, dass sie freudig in den Kampf ziehen. Ein Beispiel dafür ist der Erste Weltkrieg und - trotz der Katastrophe - die Begeisterung, in den Zweiten Weltkrieg zu ziehen. Die Hirnforschung hilft uns, besser zu verstehen wie diese Vorgänge ablaufen. Wir begreifen langsam, warum Menschen irrational handeln.

Zurück zur Wirtschaft. Welche anderen Reize ziehen uns das Geld aus der Tasche?
Elger: Nach den Erkenntnissen der Hirnforschung bleibt Werbung mit perfekt schönen Models besonders gut im Gedächtnis. Die Werbung mit Menschen aus dem Alltag, wie etwa für die Kosmetikserie "Dove", halte ich für gescheitert. Das fiel kurzfristig als Neuigkeit auf, langfristig lässt sich die jahrtausendealte Programmierung des Menschen nicht ändern, bei der Schönheit auf genetische Gesundheit hinweist und dadurch attraktiv macht. Bei Befragungen gaben Testpersonen zwar an, die natürlichen Models sympathischer zu finden. Bei den Hirnscans aktivierten professionelle Models das Belohnungszentrum dagegen deutlich effektiver.

Was passiert im Gehirn, wenn jemand Geld verliert?
Elger: Dann werden Regionen aktiviert, die zu sehr unangenehmen Gefühlen führen. Deshalb macht es auch Sinn, größere Anschaffungen bar, statt mit Kreditkarte zu bezahlen. Wenn ich etwas nicht wirklich brauche, ist die Hemmschwelle, die Scheine hinzublättern, deutlich größer als bei der Abbuchung per Karte. Auch in der Finanzkrise hat dieses Phänomen eine Bedeutung: Die Banker haben ohne Weiteres Millionen verzockt, weil es nicht ihr eigenes Geld war.

Also konnten die gierigen Banker eigentlich nichts dafür?
Elger: Ich glaube nicht, dass die meisten Banker gieriger sind oder waren als wir alle. Sie sind unkritischer geworden, weil ihr Belohnungszentrum durch die immer höheren Summen ständig aktiviert wurde. Der Vorgang ist mit einem Krankheitsprozess, etwa bei einem Spielsüchtigen, zu vergleichen.

Wie erkennen Sie, was im Hirn der Menschen passiert?
Elger: Unser Hauptinstrument ist die funktionelle Kernspintomographie. Dort wird die Aktivität in bestimmten Hirnregionen gemessen. Wir stellen den Testpersonen, die im Tomographen liegen, Aufgaben. Da wir in der Regel wissen, welche Hirnregion für welche Funktion zuständig ist, können wir die Ergebnisse interpretieren.

Können die Testpersonen sich verstellen?
Elger: Sie wissen nicht, was das Ziel der Untersuchung ist. Dazu kommt: Die Maschine gibt über die Hirntätigkeit auch Auskunft über das Unterbewusstsein des Probanden. Die Auskünfte der Testpersonen über ihr mögliches Verhalten können davon erheblich abweichen. Wir haben von uns ein bestimmtes Bild, wie wir handeln würden wenn ... Die Realität zeigt dann doch etwas anderes.

Die Methode ist umstritten.
Elger: Man muss wissen, dass es sich immer um eine Deutung der Ergebnisse aus dem Kernspintomographen handelt. Das Wissen über Hirnfunktionen wächst im Augenblick mit großer Geschwindigkeit, so dass richtige Interpretationen immer wahrscheinlicher werden. Leider tummeln sich in dem Feld Pseudowissenschaftler, deren Versuchskonzepte nicht zu wirklichen Ergebnissen führen.

Was macht die Werbung falsch?
Elger: Wenn Sie sich Werbespots im Fernsehen anschauen, sind diese meistens völlig überladen mit Informationen und zu laut. Diese Reizüberflutung führt bei unserem Gehirn dazu, dass wir Mechanismen schaffen, den Reiz abzuschalten. Wer zehn Sekunden vor der Tagesschau ein schwarzes Bild senden würde, in dem einmal kurz der Markenname auftaucht, der könnte sein Produkt effektiv im Gehirn der Zuschauer verankern.

Welches Marketing würde ein Hirnforscher empfehlen?
Elger: Besonders effektiv ist der sogenannte Shock Novel Reiz, zu dem sich aber nur wenige Werbetreibende durchringen können. Völlig unerwartete Dinge - wie zum Beispiel Särge in einer Ladenauslage - brennen sich geradezu in das Gehirn der Kunden ein. Das werden sie nie in ihrem Leben vergessen. Einige Unternehmen werben schon sehr erfolgreich mit so genannten Key Visuals, visuellen Reizen, die sich über Emotionen im Gedächtnis festsetzen. Ein Beispiel dafür ist das grüne Segelschiff von Beck's Bier, das Freiheit und Abenteuer symbolisieren soll. Emotionen wirken besser als Informationen.

Verbraucherschützer fürchten, dass ihre Forschungsergebnisse den Weg zum gläsernen Konsumenten ebnen.
Elger: Wir sind auf die Aufträge der Unternehmen angewiesen. Das Institut Life & Brain an der Bonner Uniklinik, an dem die Versuche durchgeführt werden, soll sich langfristig selbst finanzieren. Aber keine Angst: Wir veröffentlichen alle Erkenntnisse, die wir aus Auftragsarbeiten gewinnen, so dass der Verbraucher daraus lernen kann. Übrigens, ohne Neuromarketing wird auch manipuliert.

Zur Person

Der Bonner Professor Christian Elger ist Leiter der Klinik für Epileptologie an der Universität Bonn und Mitbegründer sowie wissenschaftlicher Geschäftsführer des Forschungsinstituts Life & Brain. Der 63-jährige Mediziner wurde in Augsburg geboren und hat in Tübingen und Münster studiert. Elger wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt mit einer Ehrung der Internationalen Liga gegen Epilepsie.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Viel Potenzial bei Ungelernten
Kommentar zur Arbeitslosenquote Viel Potenzial bei Ungelernten
Zum Thema
Aus dem Ressort