Bonner drehen Dokumentation Spender ermöglichen Film über jüdische Zeitzeugin

BONN · Für ein Filmprojekt war Crowdfunding (Schwarmfinanzierung) die einzige Möglichkeit, zügig notwendige Reisen nach Belgien zu finanzieren. Denn die Protagonistin Faye Cukier feierte kürzlich ihren 91. Geburtstag. Die Jüdin ist eine der letzten lebenden Zeitzeugen, die ihre Flucht aus Deutschland im Zweiten Weltkrieg selbst schildern kann. Dazu hatte ein Film-Team die Idee, die Fluchtroute von Cukier nachzufahren und dabei ihre Erinnerungen zu prägnanten Orten ihrer Flucht zu filmen.

"Hätten wir zuerst Mittel bei den Filmstiftungen beantragt, hätte das in Anbetracht von Fayes Alter einfach zu lange gedauert", begründet Marcel Schleibaum, Produzent des Films und Toningenieur, die Initiative. "Außerdem wäre dann auch immer noch nicht sicher gewesen, dass wir auch entsprechende Fördergelder bekommen hätten."

Schwarmfinanzierung ist eine Möglichkeit, Geld zu erhalten: Auf Plattformen können Kreative ihre Projekte, zum Beispiel aus den Bereichen Mode, Musik, Kunst, Film, vorstellen, und dabei aufrufen, Geld zu spenden.

Wer möchte, überweist dann einen Betrag. Vorab setzen die Initiatoren einen Mindestbetrag, den sie für ihr Projekt benötigen, und eine Laufzeit, wie lange sie Spenden sammeln, fest. Nur wenn in der Zeit die Summe erreicht wird, wird das Geld vom Konto des Spenders abgebucht.

Viele Crowdfunder bedanken sich mit einer Nennung im Filmabspann oder CD-Beiheft - je nach der Art des Projektes und der Höhe des Geldbetrags.

Nur etwa einen Monat hatten Schleibaum und sein Mitproduzent und Cutter Steffen Wimmers Zeit, um das Geld zusammenzubekommen. Im Spätsommer 2012 konnten sie dann nach Belgien reisen, um wichtige Szene für die Dokumentation "Vertreibung ins Ungewisse - Die Überlebensgeschichte der Faye Cukier" zu drehen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Produzenten-Duo bereits knapp ein Jahr lang mit Cukiers Lebensgeschichte befasst.

Die Idee zum Projekt lieferte Schleibaum eine Kundin seines Tonstudios, als sie Cukiers Geschichte erzählte. Er besprach mit Wimmers die Idee, über die gebürtige Polin, die im Frühjahr und Herbst in Köln lebt - sonst in den USA und auf Malta - eine Dokumentation zu drehen.

Denn trotz ihres damaligen Schicksals sei Cukier bis heute absolut lebensfroh und lebensbejahend. "Sie steht oft erst um ein Uhr mittags auf, tingelt dafür aber auch bis zwei Uhr nachts durch die Bars in Köln", berichtet das Produzenten-Duo. "Sie hatte in vielen Momenten Glück, dass sie nicht in einen jener Züge einstieg, die etwa nach Auschwitz fuhren", sagt Wimmers.

Da der Film umfassender wurde als ursprünglich gedacht, fragten Wimmers und Schleibaum noch den Bonner Journalist Joachim Heinz, ob er ins Projekt einsteigen wollte. Fortan kümmerte er sich um die Interviews mit Cukier. "Das war nicht immer leicht", erinnert er sich. "Manchmal fuhren wir mit Faye an Orte, an die sie sich zuerst nicht erinnern konnte. Unsere Recherchen hatten aber ergeben, dass sie dort gewesen sein musste und vieles dort erlebt hatte."

Auch über manche Verhaltensweise stutzte das Trio schon mal. Etwa als das Team mit Cukier ans Meer fuhr. "Faye verbindet Meer mit Freiheit", erklärt Heinz. "Wir gingen dann die Dünen entlang, und sie blieb auf einmal stehen und bewegte nur ihren linken Arm komisch." Nach und nach folgte auch der Rest ihres Körpers den schlangenartigen Bewegungen.

Wimmers fragte nach, was sie da mache. Cukier antwortete nur knapp: "Ich tanze." Aus dieser Szene sind letztendlich einige Minuten Filmmaterial geworden, die eine freie ältere Frau zeigt, die mit sich, trotz ihres Schicksal, absolut zufrieden und im Reinen ist - es ist eben ihre eigene Art, mit dem Erlebten umzugehen.

Unterm Strich ist das Trio mit den rund 16 Stunden Bildmaterial aus Belgien durchaus zufrieden. Ob sie so etwas jedoch ein weiteres Mal über Crowdfunding finanzieren würden, bezweifeln sie. Denn im Nachhinein betrachten sie diese Aktion eher als mühselig.

"Zuerst mussten wir auf der Internetseite mindestens 50 Fans der Aktion finden", beschreibt Wimmers das Verfahren. "Erst dann durfte gespendet werden." Da sich die Fans nicht so wirklich von selbst meldeten, schrieben die Produzenten zahlreiche E-Mails an Verwandte, Freunde und Bekannte, um auf das Projekt aufmerksam zu machen.

"Unser Projekt heißt weder Stromberg noch haben wir einen Namen in der Dokumentations-Szene", sagt Wimmers. 3800 Euro veranschlagte das Duo für drei mehrtätige Fahrten ins Nachbarland. Damit sind jedoch längst nicht die Kosten der Dokumentation gedeckt. Ganz zu schweigen von all den Arbeitsstunden, die das achtköpfige Team in den Film steckt.

Wenn alles nach Plan läuft, feiert die Dokumentation am 11. September Premiere. Dann jährt sich auch Cukiers Flucht zum 75. Mal.

Einen Ausschnitt aus dem Film ist auf der Internetseite www.sektor53.de zu sehen.

Die Zusammenarbeit geht weiter

Aufgrund der guten Zusammenarbeitwährend der Dokumentation gründeten Marcel Schleibaum und SteffenWimmers die sektor53 medienproduktion. Sie möchten frei undunabhängig eigene Dokumentarfilme wie "Vertreibung ins Ungewisse -Die Geschichte der Kölner Jüdin Faye Cukier", sowie andere Projekteund Medienformen realisieren.

Einen Schwerpunkt für Projekte legtdas Duo auf Themen aus der Region. Entspannter arbeiten als imüberlaufenen Medienstandort Köln lasse es sich in Bonn sowieso,sagen die beiden. Ein weiteres Ziel ist es, in Bonn und Umgebungein Netzwerk von Experten aus der Film- und Medienbranche zuetablieren, die flexibel und innovativ eigene Projekte und Aufträgerealisieren können.

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