Wachtberger Originale Spaß an der bewegten Installation

Pech · Der Kinetikkünstler Willi Reiche entwirft große Kunstmaschinen, monstöse Apparate mit scheinbar unnützer Funktion. Der Wachtberger ist mit ihnen europaweit unterwegs und stellt sie aus.

Das Vorurteil vom schwierigen Menschen, der genauso wenig greifbar ist wie seine Kunst, scheint sich bei Willi Reiche zu bewahrheiten. Denn während er zwar nett die Tür zu seinem Atelier in Pech öffnet, blockt er die ersten Fragen nach Werdegang und Ähnlichem direkt ab. Er hat seinen eigenen Fahrplan für dieses Gespräch, für den Versuch einer Annäherung an die Kinetikkunst, der sein Herz gehört.

Der Ofen bollert, und das Auge entdeckt zunächst „nur“ kleine Kunstwerke. Überdimensionale Setzkästen etwa, in denen Türklinken oder Schusters Leisten die Hauptrolle spielen. Das, so wird später klar, sind Stücke aus der Frühphase, als Reiche noch nicht auf die mechanische Bewegung großformatiger Arbeiten setzte. Dann geht es in die Werkstatt. „Ich bin froh, dass diese Tür mein Werk limitiert“, sagt der 62-Jährige und ein erstes Schmunzeln ist zu erkennen. Die Tür misst 1,40 mal zwei Meter und führt dazu, dass er seine Maschinen wieder in Einzelteile zerlegen muss, wenn sie gerade vollendet sind.

Arrangement aus 100 Lampen

Derzeit kreiert der gebürtige Oberfranke eine Installation aus mehr als 100 Lampen. Wobei keine der anderen gleicht. Die drei Meter Raumhöhe sind fast erreicht. Viel wichtiger aber: Auch diese Kunstmaschine entfaltet ihre Wirkung durch die Bewegung. Warum aber hat er das Statische 1998 abgelegt? „Ich führe ähnliche Elemente in spielerischen Arrangements zusammen und gebe ihnen in Bewegung eine neue Identität“, sagt der einstige Student der Kunstgeschichte und Altamerikanistik an der Uni Bonn.

Was abstrakt klingt, erhält seinen Sinn in der Vorführung. Wie bei „Magic Mushroom“ (2013), dem 3,70 mal 2,45 mal 2,45 Meter großen magischen Pilz. Auf Knopfdruck legt die scheinbar zufällige Anordnung von Waschmaschinentrommeln, Sektkühlern, Nachtpfannen, Töpfen, Schüsseln und vielem mehr los und entfaltet eine Aura. „Als Basis habe ich ein Fotostativ verwendet“, erklärt der nun schon weniger exzentrisch wirkende Künstler, der seit 1977 in Pech lebt.

Bei den bislang 41 Kunstmaschinen ist er stets gleich vorgegangen: Aus einem Grundkorpus entwickelt Reiche die Figur. Wiederkehrendes Moment sind Wortspiele, mit denen er seine Werke betitelt. „San Dotta“, also der Heilige Dotter, hat als i-Tüpfelchen eine alte Feuerwehrautolampe, an Nebenästen aber auch Teppichbürsten – alles beweglich, versteht sich. Er selbst hat ebenfalls Markenzeichen: Baskenmütze, Weste und Hände, die nach Arbeit aussehen.

Kunst aus Polierbürsten

„Ich will mit meinen Unsinnsmaschinen trotzdem eine Ernsthaftigkeit“, erklärt er. Es macht ihn glücklich, das lässt er durchblicken, wenn der Betrachter von Jung bis Alt vor seinen Werken steht und ein Lächeln auf dem Gesicht hat. „Was dann folgt, ist meist ein ausgestreckter Zeigefinger, da die Leute in meiner Kunst etwas erkennen.“ Frei nach dem Motto: Das hatten wir zu Hause auch. Denn in Reiches Beständen gibt es nichts, was es nicht gibt. Polierbürsten, Dampfgarer, Spekulatiusrollen Parkuhren und OP-Lampen – alles kann bei dem passionierten Sammler irgendwann einmal zu Kinetikkunst werden.

Ein Großteil lagert in und um sein gemütliches Fachwerkhaus herum. Hier wohnt der freischaffende Künstler mit seiner Partnerin Tania Beilfuß. Sie ist kreative Ratgeberin, kümmert sich aber auch um Dokumentation und Organisation. Kennengelernt haben sie sich in Reiches anderem Leben als Geschäftsführer der Grafischen Werkstatt in Wachtberg, die er von 1982 bis 1990 betrieb.

Ab Mai werden viele Utensilien umsiedeln. Oberhalb von Remagen „Auf Plattborn“ hat Reiche, der sich vom Schleifen bis zum Schweißen und der Elektrik alles selbst beibringt, eine 230 Quadratmeter große Lagerhalle angemietet. Endlich hat er Platz, um einige seiner Kunstmaschinen dauerhaft zu zeigen. Komplett zu sehen ist zum Beispiel schon „Gerak Gerik“ (6,10 mal 1,40 mal 1,20 Meter), eine Art indonesisches Flugobjekt, das Teile eines Faltbootes ebenfalls beherbergt wie rotierende Bürsten. Und dessen Schattenspiel einen längeren Blick wert ist.

„Dann muss ich meine Werke nicht immer quer durch Europa fahren“, sagt er erleichtert. Sieben Ausstellungen hat er 2016 bestückt, seine großformatigen Werke dafür jedes Mal auf den Lkw geladen und dann bis zu drei Tage lang aufgebaut. Highlight war sicherlich die Einladung im November 2016 nach Montreux zur Erinnerung an Jean Tinguely, den Vater der Kinetikkunst. Gab es Rivalität unter den 150 Künstlern gleicher Neigung? „Nein, wir sind eher ein verspielter Menschenschlag, sehr hilfsbereit und äußerst kommunikativ.“ Womit das Vorurteil vom Anfang widerlegt wäre.

Weitere Infos:www.willi-reiche.de

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