Wachtberger Originale Eine Freundin der Asymmetrie

Villiprott · Anna-Maria Leisten ist seit 55 Jahren Friseurin - und die meiste Zeit davon als Selbstständige. Die 68-jährige Villiprotterin bedient ihre Kundschaft bei sich im Hinterhaus. Experimentierfreudige Kunden sind eher die Seltenheit.

Dass eine Friseurmeisterin auf dem Kopf nicht gerade langweilig daherkommt, ist an sich noch nicht ungewöhnlich. Bei Anna-Maria Leisten wandert der Blick des Betrachters jedoch schnell von der schwarzen Frontsträhne im grauen Haar zur Brille. An einem Rand prangen Schere und Kamm, am anderen ein Loch. „Nein, das ist kein Loch, das ist ein Scherenschnitt mit dem Konterfei meines ältesten Enkels“, sagt die 68-Jährige mit einem Schmunzeln.

Die Brille ist nur ein Indiz für den Hang der Villiprotterin zur Asymmetrie. „Mir kämen auch nie vier gleiche Stühle ins Haus.“ Wobei der Gast die These direkt als korrekt überprüfen kann im Wohnzimmer, das zugleich als kleines Büro herhält. Am 1. April blickt sie auf 55 Berufsjahre zurück. „Die meisten davon war ich Gott sei Dank selbstständig“, betont sie. Und nicht nur das: Fast immer befand sich der Salon in ihrem Haus. Aber dazu später mehr.

Vater, Mutter, Schwestern und Bruder – alle haben das Friseurhandwerk erlernt. „Wie sind eine Friseurdynastie, und ich bin auf dem Schoß der Kunden großgeworden“, meint Leisten, die erst vor Kurzem wieder ihren Mädchennamen angenommen hat. Die Wachtberger könnten sie auch unter „Wrobel“ und „Wisselmann“ kennen, den Namen ihrer früheren Männer.

In der Abendschule zum Meister

Sie selbst hätte sich auch vorstellen können, Schneiderin zu werden. „Aber auf der anderen Seite war auch klar, dass ich eine Ausbildung im Salon meiner Eltern mache.“ Der Liebe wegen zog sie aus Geilenkirchen nach Bonn, machte an der Abendschule ihren Meister. Noch ohne BAföG. „Das waren harte Zeiten, ich habe manchmal gehungert und bin mit Löchern in den Schuhen rumgelaufen“, erzählt die resolute Frau, die ihr Ding immer durchgezogen hat.

100 Mark waren 1971 für die 22-Jährige das Startkapital in die Selbstständigkeit. Der eigene Laden war ihr wichtig. „Aber nie zu Lasten meiner zwei Kinder“, betont sie. Um mehr Zeit für sie zu haben, eröffnete sie 1981 ein Geschäft im Wohnhaus in Oberbachem. „Eine Kundin, die damals sechs war, kommt heute immer noch“, sagt sie stolz. Kein großer Kostenapparat, keine Angestellten, bestimmen wann und wie viel man arbeitet – das war und ist ihr wichtig. Sie ist geradeheraus, was die neuen Kunden während eines längeren liebesbedingten Aufenthaltes in Gelsenkirchen nicht so schätzten. „Ich sach' eben auch schon mal: Die Frisur ist gut geworden, aber für Ihr Gesicht kann ich nichts“, gibt sie unumwunden zu.

2000 tauschte sie das Ruhrgebiet wieder gegen das Rheinland ein und bezog ihr kleines Häuschen an der Waldstraße in Villiprott. Joggen, Radfahren, all das geht hier prima. Und selbst die Sauna, die sich im Hinterhaus eng an den Salon schmiegt, ist vorhanden. Für die Ayurveda Kur bevorzugt sie allerdings alle paar Jahre Sri Lanka.

Wer den Salon im Hinterhaus von Leisten betritt, kann auf zwei Friseurstühlen Platz nehmen. Die obligatorische Lektüre ist vorhanden, Wärmhaube und Waschbecken ebenfalls; Bollerofen, alte Registrierkasse und große Holzwiege sind als Blumenstandort vielleicht nicht ganz alltäglich. So wie auch die Terminvergabe. „Samstags nie und sonst ziemlich flexibel“, lautet ihr Motto.

Bei den Jungs sei gerade der Undercut sehr gefragt, der Bob halte sich bei Frauen weiterhin, die Dauerwelle habe zum Glück ausgedient. „In unseren Breitengeraden sind Locken einfach schwierig“, glaubt sie. Was sie als derzeit überzeugte Kurzhaarschnittträgerin besonders gerne macht, sind klassische Aufsteckfrisuren. Wobei ihr eigentlich experimentierfreudige Kunden am allerliebsten, aber leider selten sind: „Meist heißt es: “Ich möchte gerne ne Veränderung, aber alles soll bleiben, wie es ist„.“ In solchen Momenten muss Anna-Maria Leisten dann doch ihre asymmetrische Brille gerade rücken.

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