Vortrag in Morenhoven Darmbakterien - Verwandlungskünstler am Werk

Morenhoven · Die Ärztin Anne Katharina Zschocke hält im Kreaforum Morenhoven einen Vortrag über Darmbakterien. Im Interview erklärt sie, was sie an den Lebewesen fasziniert.

 Die Ärztin Anne Katharina Zschocke aus Nettersheim spricht im Kreaforum in Morenhoven über die Bedeutung von Darmbakterien für die Gesundheit.

Die Ärztin Anne Katharina Zschocke aus Nettersheim spricht im Kreaforum in Morenhoven über die Bedeutung von Darmbakterien für die Gesundheit.

Foto: Alexandra Kaumanns

Sie waren schon Milliarden Jahre vor uns da, und sie kennen keine Grenzen – vom Boden in die Pflanze, ins Futter, zum Tier, in die Nahrung und in unseren Darm. Wie sie dort leben und was sie leisten, beschreibt Anne Katharina Zschocke in ihrem neuen Buch „Darmbakterien als Schlüssel zur Gesundheit“. Am 4. April ist sie zu Gast im Kreaforum in Morenhoven. Mit Zschocke sprach Ulrike Strauch.

Auf den ersten Blick erscheint ein Thema wie Darmbakterien doch ziemlich unappetitlich zu sein. Warum lohnt es sich dennoch, sich damit zu beschäftigen?
Anne Katharina Zschocke: Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die Menschen ein völlig unverkrampftes Verhältnis zu ihrer Verdauung. Erst als man die Bakterien darin für giftig hielt, wurde der Darm zusehends mit Ekel betrachtet. Bakterien wurden seitdem als Krankheitserreger angesehen, die es zu bekämpfen gelte. Doch die Idee „steril gleich gesund“ ist ein Irrtum.

Inwiefern? Und welche Konsequenzen hatte das?
Zschocke: Ohne Bakterien gibt es kein Leben. Als ich 1999 begann, praktisch mit ihnen zu arbeiten, und ihre Bedeutung für unsere Gesundheit in Seminaren zu vermitteln,wurde ich noch belächelt. Es war jahrelange Maulwurfarbeit, und viele hielten es für abwegig, dass Bakterien Allergien, Durchfälle, Hautausschläge und sogar Depressionen heilen konnten. Aber es war die Erfahrung. Unserer Konsumgesellschaft ist bloß das Bewusstsein abhanden gekommen, selbst Teil eines großen Kreislaufs zu sein, für den Bakterien essenziell und unverzichtbar sind. Wir nehmen sie mit unserem Essen auf, wir tragen sie in uns und geben sie wieder an unsere Umwelt ab. Daran ist nichts Ekliges, das ist Natur.

Gerade ist der Darm in Mode gekommen. Welchen Weg wählen Sie, um Ihre Leser und Zuhörer mit der Darmflora vertraut zu machen?
Zschocke: Mir geht es um Heilung und Frieden in der Beziehung mit sich selbst und den Bakterien: und das in der Verbindung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und jahrelanger Erfahrung. Ich habe auf mein letztes Buch sehr berührende Rückmeldungen bekommen – von vielen Menschen, die sich wie befreit fühlten, neue Hoffnung schöpften und plötzlich Wege zur Gesundheit entdeckten, von denen sie zuvor nichts geahnt hatten.

Wie viele und welche Arten von Bakterien leben in unserem Darm?
Zschocke: Das weiß niemand. Allein die Zahl der Bakterien im Dickdarm dürfte zwölf Nullen pro Gramm Inhalt besitzen. Entscheidend ist etwas anderes: nämlich das Miteinander. Der Mensch ist ein Gleichgewichtswesen. Darin fühlt er sich gut und ist gesund. Werden jedoch Vielzahl und Fülle der Bakterien im Körper vermindert, wie das in den Industrieländern der Fall ist, wird man anfällig für Unverträglichkeiten und für viele andere Krankheiten.

Was bewirken Bakterien?
Zschocke: Sie sind wahre Verwandlungskünstler. Im Darm spalten Sie die Nahrung in feinste Bestandteile auf und und versorgen uns mit Nährstoffen und Energie. Sie geben auch Impulse an unser Immun- und unser Nervensystem. Dabei kommunizieren sie über Botenstoffe und genetische Bausteine. Es handelt sich um ein komplexes Netzwerk, das in ständiger Verbindung mit unseren Körperzellen steht. Je vielfältiger es ist, um so besser für die Gesundheit. Bakterien sind weder „gut“ noch „böse“: Sie sind Lebewesen, die sich dem anpassen, was sie vorfinden. Und was das ist, liegt bei uns selbst.

Wie sieht demnach eine darmfreundliche Ernährung aus?
Zschocke: Vor allem abwechslungsreich. Je einseitiger unsere Ernährung ist und je weiter sie sich von den natürlichen Gegebenheiten entfernt, desto ärmer wird unser Mikrobiom im Darm. Zudem hat das mit chemischen Zusätzen versetzte Essen eine miserable Energiebilanz. Schließlich wollen auch Bakterien genährt werden – und dafür sind zum Beispiel die Ballaststoffe eines Apfels gut geeignet, aber nicht synthetische Stoffe.

Was bekommt unseren Darmbakterien gar nicht?
Zschocke: Einseitigkeit. Wir Menschen sind fachsprachlich „Allesfresser“. Und Monokulturen, gleich welcher Art, oder Diäten versorgen uns nicht mit dem, was wir zum Leben brauchen. Schädlich ist auch der verschwenderische und zum Teil gedankenlose Gebrauch von antibakteriellen Produkten. Bakterientötende Mittel bewirken im Darm einen Mikrobiomschock. Das zeigt sich in Symptomen wie Durchfall, Blähungen und Krämpfen. Es ist dann schwierig, Vielfalt und Miteinander im Darm wiederherzustellen.

Und wie kann man das Gleichgewicht der Darmflora unterstützen?
Zschocke: Mit gesunder Ernährung und Bakterienversorgung. Dafür nehme ich die „Effektiven Mikroorganismen“ (EM). Das ist eine mikrobielle Mischkultur, die ein Ungleichgewicht wieder in ein Gleichgewicht verwandeln kann. Praktisch einsetzen lassen sich EM von der Landwirtschaft bis zum Garten, bei Mensch und Tier. Nicht, weil sie ein universelles Wundermittel sind, sondern weil Bakterien die Grundlage in der Natur und überall im Kreislauf des Lebendigen sind.

Was kann Sie nach all den Jahren beim Thema „Darmbakterien“ noch faszinieren?
Zschocke: Das hat mit Respekt und Dankbarkeit zu tun. Und es macht Freude. Ich liebe Bakterien und lerne ständig von ihnen. Ich lebe gern im Einklang mit der Natur – man könnte auch sagen – „Arm in Arm mit meinem Darm“.

Dr. Anne Katharina Zschocke, „Darmbakterien als Schlüssel zur Gesundheit – Neueste Erkenntnisse aus der Mikrobiomforschung“, Knaur, 368 S. 19,99 Euro

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