"Der letzte Mann" Profis liefern Live-Soundtrack zu Stummfilm in Rheinbach

Rheinbach · Friedrich-Wilhelm Murnaus Stummfilm „Der letzte Mann“ gilt als Meilenstein. Bei einer Aufführung in der Pfarrkirche Sankt Martin begleiteten zwei echte Profis den Film mit Livemusik.

 Wilfried Kaets (links) an der Orgel und Norbert Krämer (Schlagwerk, Midivibrafon und hier auch Trillerpfeife) sorgen für Livemusik zum Film. Für präzises Timing haben sie einen Monitor vor Augen.

Wilfried Kaets (links) an der Orgel und Norbert Krämer (Schlagwerk, Midivibrafon und hier auch Trillerpfeife) sorgen für Livemusik zum Film. Für präzises Timing haben sie einen Monitor vor Augen.

Foto: Matthias Kehrein

Geboren in Bielefeld/Westfalen, gestorben in Santa Monica/Kalifornien. Alles andere als gradlinig verliefen die Lebenswege des Friedrich Wilhelm Plumpe, der unter dem Namen Friedrich-Wilhelm Murnau nicht weniger als Filmgeschichte schrieb. „Entfesselte Kamera“ sollte später die Technik genannt werden, mit welcher der avantgardistische Filmregisseur der Kamera den fest installierten Platz wegnahm und sie im wahrsten Sinne des Wortes auf die Reise schickte – auf die Verfolgung eines Schauspielers oder auf einen Zug montiert.

Das Murnau-Meisterwerk „Der letzte Mann“ zeigte Christiane Gocke-Goos, Seelsorgebereichsmusikerin in Rheinbach, jetzt an einem Ort, der eher als Stätte der inneren Einkehr denn als Vorführraum bekannt ist: in die Rheinbacher Pfarrkirche Sankt Martin.

Der Film stammt aus dem Jahr 1924, einer Zeit, in der Filme noch in Metern gemessen wurden. Der Clou des 2315 Meter (circa 86 Minuten) langen Filmes ist aber, dass versierte Musiker die Stimmung der Leinwandbilder mit handgemachter, live eingespielter Musik unterstreichen. „Für den Stummfilm zu musizieren bedeutet, sich auf die speziellen Gegebenheiten von Bildsprache, Dramaturgie, Erscheinungsbild und Gesamtästhetik einzulassen“, berichtet Organist, Kirchenmusiker und Komponist Wilfried Kaets, der zusammen mit Norbert Krämer (Schlagzeug, Percussion, Vibrafon) nicht zum ersten Mal Stummfilmklassiker auf höchstem Niveau vertont.

„Die Musik muss eine adäquate Geräuschkulisse zur Verlebendigung einer stummen, visuellen Revolution schaffen“, weiß Kaets. Die Arbeit der beiden Profimusiker auf der Orgelempore sei geprägt von „experimentellen Versuchen von sekundengenauer Passung“, von „provokant gestalteter Kontrapunktik“ und vom Einfangen und Wiedergeben von Atmosphäre, Emotion und Stimmung.

Joachim Steinigeweg sorgt für technische Realisierung

Die beiden mehrfach prämierten Künstler verfolgen über kleine Monitore das Geschehen auf der Leinwand, um für den punktgenauen Einsatz gewappnet zu sein. Die Erfahrung und Ruhe im Umgang mit Stummfilmmusik ist den viel gereisten Musikern anzumerken.

Dritter im Bunde auf der Empore von Sankt Martin ist Joachim Steinigeweg. Er ist Stummfilmtechniker und seit über 25 Jahren Filmvorführer. „Er hat sich unter anderem auf historisch korrekte Stummfilmprojektion mit entsprechendem Cache, Bildformat und reduzierter Projektionsgeschwindigkeit spezialisiert“, berichtet Christiane Gocke-Goos. Seine langjährige Erfahrung und viele Kontakte ermöglichten es ihm, auch seltene historische Kopien aus Privatsammlungen oder Institutionen, Archiven und Museen vorführen zu können.

In dem Film selbst muss ein alternder Hotelportier, gespielt von Emil Jannings, zur Kenntnis nehmen, dass er nach einem Schwächeanfall zum alten Eisen gezählt und mit Verweis auf sein hohes Alter zur Herrentoilette versetzt wird. Das Geschehen auf der Leinwand nimmt erst dann eine positive Wendung, als ein auf der Toilette sterbender Hotelgast dem einstigen Portier überraschend sein gesamtes Vermögen vermacht. Der zuvor Gedemütigte kann plötzlich als souveräner, gut gelaunter und großzügiger Gast im eigenen Hotel einkehren und zu einem Festmahl einladen.

Rheinbacher Stummfilmreihe wird fortgesetzt

Die rund 70 Zuhörer in der Rheinbacher Pfarrkirche sind restlos begeistert ob des im viel gepriesenen digitalen Zeitalters selten gewordenen Filmgenusses mit reichlich analoger, allerdings damals revolutionärer Technik. Der Murnau-Film, der als einer der ersten fast gänzlich ohne Zwischentitel auskommt, gilt als Meilenstein der Filmgeschichte und Höhepunkt des deutschen Stummfilmkinos.

2017 zeigte Christiane Gocke-Goos den ersten Stummfilm in Sankt Martin. Langsam gewinnt die Rarität im Rheinbacher Veranstaltungskalender immer mehr Filmfreunde für sich. „Mein Bestreben als Kirchenmusikerin von Sankt Martin ist es, für alle Menschen in Rheinbach immer wieder außergewöhnliche musikalische Projekte anzubieten“, sagt die Seelsorgebereichsmusikerin im Gespräch mit dem General-Anzeiger.

Was die Cineasten im Kirchenschiff mit seiner herausragenden Akustik nicht zuletzt erfreut, ist der Umstand, dass der Eintritt ins Gotteshaus zum Film- und Musikgenuss kostenlos ist. „Pfarrer Bernhard Dobelke und der Kirchenvorstand von Sankt Martin unterstützen das sehr großzügig – dies ist eine große Freude“, sagt Gocke-Goos. Apropos Freude: Fürs nächste Jahr sucht die Musikerin schon nach einem neuen, beeindruckenden Leinwandepos.

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