Mordfall Trudel Ulmen Jahrelang führte er Familie und Polizei in die Irre

Bonn · Der 56-jährige Tatverdächtige streute Gerüchte und legte falsche Spuren. Kriminaldirektor gibt zu: "Aus heutiger Sicht wären damals weitere Ermittlungsschritte möglich gewesen".

Seit dem Ende der Hauptstadt-Ära haben Pressekonferenzen im Bonner Polizeipräsidium selten ein solch massives Interesse ausgelöst wie jene gestern Nachmittag, zu der überraschend kurzfristig erst am frühen Morgen eingeladen worden war. Kamerateams der großen deutschen Fernsehsender bauen Stative und Scheinwerfer auf, Radioreporter bringen ihre Mikrofone in Stellung, Fotografen lassen die Motoren ihrer Zoomobjektive schnurren, Vertreter der bundesweiten Printmedien, darunter auch jene mit den ganz großen Buchstaben, schreiben eifrig in ihre Notizblöcke, was die Herren auf dem Podium des Großen Besprechungssaals im Erdgeschoss mitzuteilen haben: Der Vermisstenfall Trudel Ulmen, der fast 16 Jahre lang kein Fall mehr war, ist nun aufgeklärt.

So kühl und emotionslos bekommt das wohl nur ein Oberstaatsanwalt hin: "Der Tatverdächtige hat gestanden, seiner Frau ein Kissen mehrere Minuten lang auf das Gesicht gedrückt zu haben, bis sie sich nicht mehr regte", doziert Robin Fassbender, der unmittelbar vor der Pressekonferenz Haftbefehlsantrag wegen Totschlags gegen Trudel Ulmens damaligen Ehemann beim Ermittlungsrichter des Bonner Amtsgerichts gestellt hatte. Der Richter erließ gegen den 56-Jährigen einen Haftbefehl.

Kriminaldirektor Hans-Willi Kernenbach hingegen ist die emotionale Anspannung deutlich ins Gesicht geschrieben. "Aus heutiger Sicht wären damals weitere Ermittlungsschritte möglich gewesen." Kernenbach war bereits am Vortag in Trudel Ulmens Heimatstadt Mayen in der Eifel gereist, um die Familie des Opfers persönlich zu informieren und seinem "tiefen Bedauern" Ausdruck zu verleihen, dass "erst nach so vielen Jahren Klarheit über das Schicksal" der geliebten Tochter, Schwester und Schwägerin herrscht.

Die Kripo hatte DNA-Proben von Trudel Ulmens Bruder, Schwester und Mutter genommen. Später konnten die Ermittler allerdings noch eine DNA-Probe der Verschollenen beschaffen, die Trudel Ulmen vor ihrem Verschwinden bei einer Untersuchung als Patientin in einem Bonner Krankenhaus hinterlassen hatte.

Ein Abgleich mit der bundesweiten Datei unbekannter Toter brachte die Gewissheit: Der genetische Fingerabdruck ist zweifelsfrei identisch mit jenem einer bislang unbekannten weiblichen Leiche, die ein Radfahrer am 18. Juli 1996 in einem Waldstück an der L 247 zwischen den Bad Honnefer Ortschaften Rottbitze und Stockhausen entdeckt hatte - nur vier Monate nach Trudel Ulmens Verschwinden.

Bestattung im Familiengrab

Schon damals stellte die Bonner Rechtsmedizin fest, dass die tote Frau einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sein musste. Nachdem die Tote nicht identifiziert werden konnte, wurde sie 1999 in Bad Honnef in einem sogenannten Kammergrab auf dem neuen Friedhof beigesetzt. Nun möchten die Angehörigen Trudels sterbliche Überreste nach Mayen überführen und dort im Familiengrab bestatten lassen.

Wie erst jetzt bekannt wurde, hatte sich nach dem Auffinden der "unbekannten Toten" im Wald zwischen Aegidienberg-Rottbitze und Stockhausen nahe der Autobahn 3 nur vier Monate nach dem spurlosen Verschwinden Trudel Ulmens im März 1996 ein ehemaliger Arbeitskollege bei der Bonner Polizei gemeldet und auf einen möglichen Zusammenhang hingewiesen. Man habe daraufhin im Sommer 1996 den Ehemann aufgesucht und befragt, sagt der Kriminaldirektor.

Doch der Ehemann habe damals glaubhaft versichert, dass sowohl die Kleidung der "unbekannten Toten" als auch die Konfektionsgröße und das Zahnbild auf keinen Fall zu seiner Frau passten. Kernenbach: "Er hat uns belogen und in die Irre geführt." Nicht nur die Polizei. Auch die Familie in Mayen sowie Freunde und Nachbarn in Rheinbach. Gezielt wurden Gerüchte gestreut, Trudel Ulmen sei mit einem reichen portugiesischen Geschäftsmann ins Ausland durchgebrannt.

Der streng katholischen Mutter des Opfers, die sich schon um ihren schwer krebskranken Mann zu kümmern hatte, wurde suggeriert, dass ein intensiveres Nachhaken bei der Polizei nur dazu führe, dass der gute Name Lenerz in den Schmutz gezogen werde, wenn dadurch zwangsläufig all die sexuellen Eskapaden ihrer Tochter bekannt würden. Dabei gab es nicht wenige Menschen in Rheinbach, die vielmehr dem Ehemann eine ausgesprochene Neigung zu außerehelichen Beziehungen nachsagten. Die heute 84-jährige Liesel Lenerz erinnert sich auch noch gut an Sätze des Mannes, der einst die Jugendliebe ihrer Tochter gewesen war: "Du hast zwar deine Tochter verloren - aber mich, deinen guten Schwiegersohn, wirst du nie verlieren."

Als ihr guter Schwiegersohn, der mutmaßlich ihre geliebte Tochter getötet hatte, später regelmäßig seine kleine Tochter aus zweiter Ehe mit zu Besuch nach Mayen brachte, wurde das der alten Frau irgendwann zu viel, weil es sie ständig daran erinnerte, dass ihre eigene, kinderlose Tochter unmittelbar vor ihrem spurlosen Verschwinden noch eine Fehlgeburt erlitten hatte. Als Liesel Lenerz ihn deshalb bat, künftig lieber alleine zu kommen statt mit dem Kind, drehte sich der gute Schwiegersohn jedoch erbost auf dem Absatz um und rief: "Jetzt siehst du mich nie wieder!" Dennoch erschien er später zur Beerdigung des an Krebs gestorbenen Mannes - wieder mit dem kleinen Mädchen an der Hand.

Einige Ungereimtheiten im Lauf des Jahres 1996

Schon die am Montag überbrachte Nachricht vom Tod ihrer geliebten Trudel war für die Familie Lenerz ein Schock. Doch die Nachricht, dass der einstige Traum-Schwiegersohn, dem man doch all die Zeit blind vertraut hatte, seine damals 41-jährige Ehefrau getötet haben soll, ist für sie kaum zu verarbeiten. Dabei gab es im Lauf des Jahres 1996 einige Ungereimtheiten, die hätten misstrauisch stimmen müssen. So hieß es im März, Trudel Ulmen habe lediglich ihre Handtasche mitgenommen, als sie spurlos verschwand. Später teilte der Schwiegersohn der Familie jedoch mit, sie habe Koffer voller Pelzmäntel und wertvollem Schmuck aus dem gemeinsamen Haus geschleppt.

Vergangene Woche meldete sich bei der Redaktion des General-Anzeigers ein Zeuge jener Tage. Bei einem Treffen im Erftkreis erzählte der Ukrainer Alexander M. (Name von der Redaktion geändert), er habe im März 1996 als Mieter ein möbliertes Zimmer im Haus der Eltern des Ehemanns in Mayen bewohnt.

Am Samstag, 23. März, sei der Ehemann erschienen. "Haben Sie Ihre Frau diesmal nicht mitgebracht?", fragte Alexander M. bei der Begegnung im Treppenhaus. "Die ist weg", habe der Ehemann geantwortet - "ohne Trauer, ohne Verzweiflung, aber auch ohne Wut", erinnert sich Alexander M. jetzt gegenüber dem General-Anzeiger. "Er war bestens gelaunt."

Bereits am darauffolgenden Wochenende habe er die Eltern des Ehemanns auf deren Bitten nach Rheinbach begleitet, um dabei zu helfen, das Haus in Rheinbach auszumisten. Man habe "säckeweise" Trudel Ulmens Hab und Gut aus dem Haus getragen und anschließend nach Mayen transportiert - "darunter auch ihre Pelzmäntel". Auf Anraten des General-Anzeigers will Alexander M. seine Beobachtungen jetzt auch der Bonner Polizei schildern.

Ungewiss ist das Schicksal der inzwischen 14-jährigen Tochter aus zweiter Ehe, die bei dem nun in Untersuchungshaft sitzenden Tatverdächtigen wohnte, weil ihre Mutter krank ist. Denn nach Informationen des General-Anzeigers hat die 24 Jahre jüngere dritte Ehefrau ihren Mann und das Haus am Rheinbacher KAB-Ring schon vor einiger Zeit mit dem gemeinsamen fünfjährigen Sohn verlassen. Der Tochter steht nun möglicherweise eine Unterbringung in einer Pflegefamilie oder in einem Heim bevor. So fordert das Gewaltverbrechen auch nach 16 Jahren noch unschuldige Opfer.

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