Interview zur Rheinbacher JVA Gespräch am Wochenende mit Ingo Steiner

Rheinbach · Jeder, der einmal hinter die hohen Mauern eines Gefängnisses geblickt hat, verlässt eine Justizvollzugsanstalt (JVA) mit zwiespältigen Gefühlen. Nicht anders ergeht es Ingo Steiner.

Ingo Steiner: In Rheinbach bin ich bereits seit sieben Jahren im Beirat, und wir haben von sechs Mitgliedern im Beirat drei neue. Durch meine langjährige Erfahrung im Siegburger JVA-Beirat war die Frage, wer die größte Erfahrung hat, um den Vorsitz übernehmen zu können, nicht schwer zu beantworten. So kam der Vorschlag der CDU-Mitglieder, dass ich es machen soll, der dann einvernehmlich befürwortet wurde.

Wie erleben Sie durch Ihre vielen Besuche in den Gefängnissen das Leben der Gefangenen?

Steiner: Am Anfang beschlich mich ein mulmiges Gefühl. Aber man gewöhnt sich an vieles. Ich nehme das Leben der Gefangenen als sehr entschleunigt wahr. Man kann dort nicht mal schnell kommunizieren, wie wir es gewohnt sind. Wenn ich mir vorstelle, dass ein Jugendlicher, der gewohnt ist, alle zwei Minuten auf sein iPhone zu gucken oder Nachrichten auszutauschen, dies in der JVA nicht machen kann. In der Anstalt heißt es, Briefe zu schreiben und nur in Ausnahmefällen mal telefonieren zu dürfen. Das erhöht natürlich den Leidensdruck – insbesondere, wenn die Beziehung in die Krise gerät oder mit den Angehörigen was ist und man keine schnelle Rückmeldung bekommt. Das ist für die Gefangenen in der JVA der größte Stressdruck.

Welche Probleme schildern Ihnen die Häftlinge darüber hinaus?

Steiner: In der Siegburger JVA sind wir alle zwei Wochen zur festen Sprechstunde in der Anstalt. In Rheinbach sind wir fast jede Woche vor Ort, um die Briefkästen zu leeren und mit den Gefangenen zu reden. Wenn man über die Flure geht, können wir uns ganz normal mit den Gefangenen unterhalten oder fragen, wie es geht. In Rheinbach haben wir eine sehr gute Arbeitsplatzsituation, da wir viele Gefangene haben, die bis zu vier Jahre oder mehr einsitzen. Da lohnt es sich, diese längerfristig in eine Tätigkeit einzuarbeiten. Aufgrund der sehr modernen Werkhallen gibt es sehr viele Unternehmerarbeitsplätze, wo Firmen innerhalb der JVA Dinge fertigen lassen. Ein Arbeitsplatz bedeutet für die Gefangenen, dass sie mehr Geld zur Verfügung haben, um mal was zu kaufen – Tabak oder ein anderes Duschgel. In Rheinbach kommen die Gefangenen eher mit Problemen, was das Verständnis von Abläufen angeht, oder weil Probleme von draußen auf sie einwirken. Oft hilft nur reden, um Dinge vernünftig zu erklären.

Für nicht wenige Insassen ist der geregelte Tagesablauf mit Aufstehen, Arbeiten und Feierabend eine Novität im Leben. Zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft sind diese Arbeitsmöglichkeiten existenziell wichtig. Wie sehen Sie da die Rheinbacher JVA aufgestellt?

Steiner: In Rheinbach gibt es etwa eine Schreinerei, die hochwertige Möbel für Landesbehörden herstellt – nicht zu vergleichen mit Designermöbeln, aber hochwertig in der Qualität. Diese Möbel können Sie theoretisch auch als normaler Bürger kaufen. Die Schlosserei baut alles vom Biertisch bis zum Geländer.

Oder einen durchdachten, stabilen Schwenkgrill...

Steiner: Genau. Unter www.knastladen.de bringen alle JVAs in NRW ihre Produkte ein. Ein Bürotisch oder ein Schreibtisch aus dem Rheinbacher Gefängnis lohnt sich vom Preis-Leistungs-Verhältnis sehr. Die Rheinbacher JVA ist, was Arbeitsplätze angeht, gut aufgestellt. Allerdings ist die Hemmschwelle, in der JVA produzieren zu lassen, für Unternehmer immer ein bisschen höher. Dadurch lässt sich aber unternehmerisch Geld sparen. Es wäre ein Appell an die Unternehmer, auch gesellschaftliche Verantwortung für die Abgehängten in der Gesellschaft zu übernehmen. Mit dem Justizvollzug lässt sich aber für die Unternehmen schlecht werben.

Was sehen Sie als die drängendste Baustelle in der Rheinbacher Anstalt an?

Steiner: Die drängendste Baustelle wird bereits angegangen: Das ist der Bau einer neuen Küche – im Verbund mit weiteren Werkhallen und einer Wäscherei. Derzeit in der Diskussion befindet sich die Frage, ob die Gefangenen in der Zelle mit Telefon ausgestattet werden. Jetzt heißt das aber nicht, dass die frei in der Welt telefonieren dürfen. Die bekommen vielmehr eine Liste von zugelassenen Rufnummern, und ich muss sicherstellen, dass der Richtige am anderen Ende der Leitung ist. Ein anderes Problem: Fernsehen wird immer mehr zum Internetfernsehen. Mit einer gewöhnlichen Zimmerantenne oder einem DVB-T-Empfänger lassen sich immer weniger Programme empfangen. Da müssen Lösungen für den Justizvollzug her. Aber ein Gefangener, der freien Zugang zum Internet hat, ist nach dem Strafvollzugsgesetz nicht sinnvoll. Weil das nicht mehr kontrollierbar ist.

Unternimmt der Strafvollzug genug, um Gefangene für das Leben nach der Haft vorzubereiten?

Steiner: Ich glaube, im Rahmen der personellen Möglichkeiten wird das Beste gemacht. Es könnte aber sicherlich mehr sein, weil man immer abwägen muss, wie das Angebot angenommen wird. Viele Gefangene trifft man in den 17 Jahren immer wieder. Nicht, weil sie 17 Jahre in Haft sind, sondern nicht zurechtkommen und immer wieder straffällig werden. Die personelle Decke ist aber dünn, wenn sich ein Sozialarbeiter um 60 bis 70 Gefangene kümmern muss. Wo viel gemacht wird, ist die Schulausbildung. Da wird viel unternommen, gerade bei jüngeren Gefangenen, ihnen eine Perspektive zu schaffen. Gerade aus Siegburg kenne ich gute Beispiele, wo junge Gefangene eine Arbeit gelernt haben und hinterher nicht mehr straffällig geworden sind.

Wie sieht aus Ihrer Sicht als Grüner ein grüner Strafvollzug aus?

Steiner: Es ist eher eine Frage von menschlich-sozialer Einstellung. Man möchte den Gefangenen und der Anstalt helfen. Ich helfe dem Gefangenen auch, wenn ich dafür Sorge trage, dass das Personal vernünftige Arbeitsbedingungen hat. Wir als Beirat sehen uns zuständig für die Gefangenen und Bediensteten. Wenn es an Investitionen mangelt, versucht man politisch Druck über die Landtagsfraktionen auszuüben. Das haben wir in all den Jahren immer überparteilich gemacht. Grüne Aspekte des Strafvollzugs sind vor allem der Opferschutz.

Können Sie dazu ein Beispiel nennen?

Steiner: Meine Erfahrung zeigt, dass die Bewährungssysteme und die Rücksichtnahme nicht immer der richtige Weg sind. Vielleicht ist es gut, gerade Jüngere früher die Konsequenzen eines Strafvollzugs spüren zu lassen. Wenn man zwei Monate im Gefängnis sitzt, ist das Handeln sehr eingeschränkt und man kann nicht mal gerade rausgehen oder telefonieren, wie man möchte. Das ist eine Wahrnehmung, nicht mehr frei zu sein – für viele eine grenzwertige Erfahrung.

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