Rhein-Hexen-Slam in Rheinbach Ein Abend voller Fabulierlust

RHEINBACH · Poetry-Slams, moderne Wettstreite junger Dichter, haben sich seit Jahren in der Kulturszene etabliert. Längst wird über Kommerzialisierung und Professionalisierung geklagt. Auch beim vierten Rheinbacher Wettbewerb dieser Art, dem "Rhein-Hexen-Slam" traten am Freitag acht junge Literaten auf, die über Websites und öffentliche Auftritte bekannt sind.

 "Ich bin nicht mehr Rock'n'Roll, bin Tanztee": Jan Coenen beim Rhein-Hexen-Slam in Rheinbach.

"Ich bin nicht mehr Rock'n'Roll, bin Tanztee": Jan Coenen beim Rhein-Hexen-Slam in Rheinbach.

Foto: Wolfgang Henry

Dennoch flammte hier der ursprüngliche Reiz solcher Konkurrenzen auf. Es war ein Abend voller Fabulierlust zwischen authentisch-persönlicher Poesie und lässig-larmoyanter Selbstdarstellung. Die Dichter aus der gesamten Republik bewarben sich bei einer spontan aus dem Publikum bestimmten Jury mit selbst verfassten Texten um den silbernen Hexenturm, ein winziges Schmuckstück zum Umhängen, gestiftet vom Sponsor CF-Atelier. In drei K.o.-Runden kamen von den acht Teilnehmern vier ins Halbfinale und zwei in die Endrunde.

Jan Coenen, Johannes Floehr, Stefan Dörsing, Julia Engelmann, Anke Fuchs, René Deutschmann, Paul Fejfar und Michel Kühn lieferten Einblicke in das Lebensgefühl der Generation um die 20. Und sie taten dies allesamt auf hohem poetischen Niveau und meist in freiem Vortrag ohne Manuskript.

Moderator Lasse Samström übergoss den literarischen Gewürzkuchen mit einer hintergründig-ironischen Soße, die häufig mit Anzüglichkeiten auf das benachbarte Meckenheim ("Meckenheim-Vorpommern") gesalzen war. Fachkundig betreut wurde die Unterhaltungsshow von Steffi Scherer von "Rheinbach liest".

Die häufig aufblitzende dichterische Reife war dazu angetan, allen Klagen über Gleichgültigkeit oder Konsumismus dieser Jugend den Boden zu entziehen. Zuspruch und Begeisterung des Publikums in der gut gefüllten Aula der Schule am Dederichsgraben belegten dies.

"Mir ist diese Welt zu undeutlich geworden", klagte der spätere Finalist Stefan Dörsing bei seinem ersten Auftritt und fügte hinzu: "Nebelschleier von Alltags-Abgasen hängen mir im Gesicht." Auch Jan Coenen deutete existenziellen Überdruss an, als er beschrieb, wie er sich binnen kurzer Zeit alt fühlte. "Ich bin nicht mehr Rock'n'Roll, bin Tanztee", lakonisierte er.

Politischer ging es bei Johannes Floehr aus Paderborn zu, der in seinem "Tucholski-Experiment" einen fiktiven Besuch bei der rechtsextremen NPD schilderte, wo sein Unterwanderungsversuch so lange gut ging, bis er erzählte, dass er sich einen Döner schmecken ließ. Floehr schied allerdings nach der Vorrunde aus.

Die Anderen bewegten sich zumeist zwischen Kritik an einer medial überversorgten und vereinzelnden Konsumgesellschaft und persönlichen Orientierungsversuchen. Stets aber trugen sie Stücke von einiger literarischer Leuchtkraft vor, so dass die Zuhörer sicher sein konnten, dass dem Land der Dichter und Denker der Nachwuchs nicht ausgeht. Dabei variierten die Vortragsstile zwischen den rappenden Lautmalereien eines Stefan Dörsing und dem sinnlichen Singsang einer Anke Fuchs. Der Themen waren viele, es ging mal um Übergewicht (Fuchs), mal ums Chaos auf Rock-Festivals (Fejfar), um Außenseitertum, Anpassung und Heimatgefühle.

Am Ende siegte mit Julia Engelmann eine bekannte Größe der Szene. Und sie siegte verdient mit leisen Tönen. Trug sie doch zusammen mit Dörsing zu einem ganz besonderen Spannungsbogen des Abends vom Selbstmitleid zum Selbstbewusstsein und zu einem positiven Lebensgefühl bei. In ihrem Schlussgedicht über das, was sie habe, und was sie nicht habe, wog sie nüchtern "Luxusprobleme" ab und kam zu dem Fazit, dass sie "nicht nur nichts zu verlieren, sondern viel zu gewinnen habe".

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