Mord nach TV-Auftritt schockt Spanien - Kritik am „Telemüll“

Als Svetlana mit dem Versprechen einer „Überraschung“ in eine beliebte spanische Talkshow eingeladen wurde, dachte die junge Russin an ein Wiedersehen mit jemand aus ihrer Heimat. Arglos sagte sie zu.

Madrid. (dpa) Als Svetlana mit dem Versprechen einer „Überraschung“ in eine beliebte spanische Talkshow eingeladen wurde, dachte die junge Russin an ein Wiedersehen mit jemand aus ihrer Heimat. Arglos sagte sie zu.

Die Überraschung entpuppte sich jedoch als Rendezvous mit tödlichem Ausgang: Die Sendung brachte die 30-Jährige mit ihrem gleichaltrigen Ex-Freund zusammen, von dem sie sich sechs Wochen zuvor getrennt hatte - weil er sie misshandelte.

Den TV-Auftritt hatte Ricardo eingefädelt, der mit Svetlana vier Jahre zusammen gewesen war. Unter Tränen kniete er sich vor ihr nieder, flehte um Vergebung und machte ihr mit gezücktem Ring einen Heiratsantrag. „Du bist alles für mich. Alles.“

Während der Szene blendete der Sender ein Spruchband ein: „Wird sie ihm eine zweite Chance geben?“ Doch Svetlana wies den gelernten Fleischer entschieden ab. „Willst Du Deine Meinung nicht ändern?“, schaltete sich die Moderatorin ein. „Nein!“, antwortete die Frau resolut.

Vier Tage nach der Show des Privatsenders Antena 3 wurde Svetlana im Eingang ihres Hauses in Alicante mit durchgeschnittener Kehle entdeckt. Als mutmaßlichen Täter verhaftete die Polizei ihren Ex-Freund. Die Frau hinterlässt einen kleinen Sohn aus einer anderen Beziehung.

Der Mord hat in Spanien eine doppelte Debatte ausgelöst. Dabei geht es einerseits um die steigende Zahl von Reality-Shows, die die Zuschauer mit menschlichem Leid oder Enthüllungen aus dem Privatleben vor den Bildschirm locken. „Telemüll“ (telebasura) werden sie genannt. Aufgeschreckt durch die Tat berief die Regierung eilends ein Treffen mit den Verantwortlichen der Fernsehanstalten ein.

Andererseits fachte das Schicksal Svetlanas die Diskussion um die Gewalt gegen Frauen an. In Spanien, dem Land, das weltweit den Begriff des „Machos“ prägte, wurden in diesem Jahr bereits 74 Frauen von ihren Ehemännern, Lebenspartnern oder Ex-Freunden umgebracht. Das sind sechs mehr als im gesamten Vorjahr. Und dies, obwohl ein Gesetz zum Schutz der Frauen verabschiedet wurde, Sondergerichte eingeführt wurden oder immer wieder Medienkampagnen in Hörfunk und Fernsehen laufen.

„Meine Frau gehört mir!“ - diese archaische Einstellung lebe in den Köpfen vieler Männer fort, sagen Soziologen. Schließlich war es unter der Franco-Diktatur (1939-1975) sogar erlaubt, die Ehefrau zur „Züchtigung“ zu schlagen. Strafbar war dies nur, wenn Verletzungen verursacht wurden „die nicht innerhalb von zwei Wochen heilen“.

Die Regierungsbeauftragte zum Schutz der Frauen, Encarnación Orozco, nannte die Macher der Talkshow mit Svetlana „verantwortungslos“. „Sie haben einem Gewalttäter die Chance gegeben, sein Opfer erneut zu erniedrigen.“ Eine solche Sendung habe „weder Ethik noch Moral“, kritisierte die Sonderstaatsanwältin María Soledad Cazorla. Dennoch könne weder dem Sender noch der Talkshow die Schuld am Tod der jungen Russin gegeben werden, sagte die Juristin Montserrat Comas. Diese könnten nur zur Verantwortung gezogen werden, falls Svetlana unter falschem Vorwand in die Sendung gelockt wurde.

Anders sieht das der Gerichtsmediziner Miguel Lorente: „Wenn ein Gewalttäter wie in diesem Fall vor einem Millionenpublikum einen Korb erhält, empfindet er das als öffentliche Demütigung. Das kann das Risiko einer Aggression erheblich steigern.“

Antena 3 weist die Vorwürfe zurück - und bekommt Unterstützung anderer privater Anstalten. In den getrennten Vorgesprächen mit Svetlana und Ricardo sei nichts Auffälliges entdeckt worden, erklärte die zuständige Produktionsfirma.

Die 30-Jährige sei außerdem ausdrücklich gefragt worden, ob es jemand gäbe, auf den sie nicht treffen wolle. Dies habe sie verneint. Unklar blieb, warum die junge Russin in den entsprechenden Formularen auch nicht erwähnte, dass sie misshandelt worden war. War es Scham?

Ihr Ex-Freund jedenfalls hat gelogen - sonst hätten die Macher erfahren, dass er nach zwei Anz1eigen Svetlanas zu elf Monaten Haft verurteilt worden war. Auf freiem Fuß befand er sich nur, weil das Urteil noch nicht rechtskräftig war.

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