Interview mit Autor Thommie Bayer „Fantasie ist eine Art Lebensersatz“

Rheinbach · Thommie Bayer studierte Malerei und war Musiker und Liedermacher, bevor er 1984 begann, Romane zu schreiben. In seinem neuen Buch "Seltene Affären" erzählt er die Geschichte eines ungewöhnlichen Doppellebens und stellt die spannende Frage, was es heißt, aus Anstand auf die große Liebe verzichten zu wollen.

 Thommie Bayer

Thommie Bayer

Foto: Peter Peitsch / peitschphoto.com

Am Dienstag, 4. Oktober, ist er um 19.30 Uhr, „Zu Gast auf dem Sofa“ in der Rheinbacher Hochschul- und Kreisbibliothek.

Wie und wann entstand die Idee, aus der Hauptfigur Chiara die Nebenfigur zu machen und Nebendarsteller Peter ins literarische Rampenlicht zu stellen?

Thommie Bayer: Wann, weiß ich nicht mehr, aber ich weiß, wer es ausgelöst hat: mein Lektor. Er war es, der bei „Weißer Zug nach Süden“ gesagt hat: Mir fehlt die Perspektive des Mannes. Damals habe ich gesagt, dass das den Rahmen des Buches sprengen würde. Es geht ja um Fantasie – der Mann muss ein Phantom sein. Und dann scheint es später in meinem Kopf gearbeitet zu haben. Denn dann dachte ich, dass die Geschichte aus seiner Perspektive ja noch mal interessant ist, weil sie sich ebenfalls auf eine Fantasiefigur einlässt. Dann habe ich die Inspiration direkt bei dem Schreibenden. Und dann war es geboren.

Bei der Lektüre des Buches hatte ich den Eindruck, dass der Zwillingsbruder Paul das Leben lebt, das Zwillingsbruder Peter gerne leben würde. Andererseits scheinen beide mit ihren Leben nicht unzufrieden zu sein...

Sie haben also im Vorfeld des Buches fleißig recherchiert?

Bayer: Nicht im Vorfeld. Immer dann, wenn ich eine Lücke bemerke. Wenn ich merke, mir fehlt was, ich kapiere das nicht, ich brauche was Konkretes, dann gehe ich auf die Suche. Ich gehöre nicht zu denen, die vorher gründlich ihre Hausaufgaben machen und dann loslegen mit allem Rüstzeug, ich muss mir das dann immer dazu holen.

Die erotischen Träumereien, die ganzen sinnlichen Andeutungen sind geeignet, ein gewisses Kribbeln beim Lesen zu erzeugen. Sind solch sinnliche Träumereien etwas, dem sich der Autor Thommie Bayer hingibt, um darüber schreiben zu können?

Bayer: Zumindest Peter tut es. Und da ich mit ihm so ein bisschen verwandt bin, kommt es mir logisch vor, dass man die Fantasie als eine Art Lebensersatz nehmen kann – in bestimmten Dingen. Dass man in der Fantasie unterwegs sein kann, wo man im wirklichen Leben nicht hingeführt würde. Der erotische Muskel ist schon halbwegs ermüdet bei dem Mann. Er hat schon genug erlebt, ist nicht auf der Jagd und muss nicht immer wieder seine Männlichkeit neu aufrufen. Es ist eher so, dass es ihm widerfährt. Und das bringt ihn zu seiner Y-Stelle im Leben, an der es für ihn nach rechts oder nach links geht. Er geht spontan nach links und verursacht damit die gesamte Konstellation – unter der er zwar leidet, aber die für ihn die richtige ist. Denn das Leben ist, was im Leben passiert.

Sie lassen ihre Hauptfigur den Satz sagen: „Leute wie ich tanzen im fortgeschrittenen Alter nur noch innerlich“. Der Autor dieser Zeile ist 63 Jahre alt. Fühlen Sie sich etwa schon im fortgeschrittenen Alter?

Bayer: Nein. Aber ich weiß, dass ich im letzten Viertel meines Lebens angekommen bin. In meinem Lebensgefühl gibt es noch nichts, was sich irgendwie alt anfühlt. Aber im Schaufenster guckt mir im Vorbeigehen ein Mann ohne Haarfarbe entgegen. Das war vor zehn Jahren noch anders. Und ich bilde mir nicht ein, 100 werden zu können (Pause). Ich bin noch nicht soweit, dass ich gerne jünger wäre. Mal sehen, ob das noch kommt (lacht).

Es gibt diese wunderschön vielsagende Passage in „Seltene Affären“, die Peters Lebensentwurf skizziert: „Vier Tage als Gastronom, drei Tage als Autor, zweimal in der Woche schwimmen, siebenmal in der Woche Rotwein am Abend, alle zwei Wochen Wäsche wegbringen…“ Ist das ein Plädoyer für Entschleunigung in hektischen Zeiten der ständigen Verfügbarkeit?

Bayer: Zumindest für Regelmäßigkeit – für seine Form des Unspontanen, des Geplanten, des Aufgeräumten, des in Regularien organisierten Lebens. Weil ich selber so ein langweiliges Leben führe...

Ach was?

Bayer: Na klar. Ich sitze ja selbst tagein tagaus am Schreibtisch. Schriftsteller führen vermutlich das langweiligste Leben überhaupt. Es sei denn, es sind solche Leute wie Hemingway, die ständig große Tiere erschießen und sich auch sonst ihre Lebendigkeit mit abenteuerartigen Ausbrüchen beweisen müssen. Aber so einer bin ich nicht. Ich habe schon kapiert, dass die Fantasie das große Plus ist, das unsereinem zur Verfügung steht. Und es ist ein Plädoyer für die Provinz. Da kann ich mir gut vorstellen, dass ich da unbewusst Werbung machen wollte. Ich habe gemerkt, wie gut es mir gefällt, in so einem übersichtlichen Kleinstadtrahmen zu existieren.

Als Autor sind Sie aber viel unterwegs auf Lesereise – immer vor anderen Menschen. Wie stellen Sie sich auf das Publikum ein?

Bayer: Gar nicht. Das kommt spontan. Ich bin da, die sind da und dann gehen wir eine möglichst herzliche Verbindung ein. Da gibt es keine intellektuellen Vorarbeiten oder psychologische Mantras. Ich lasse es auf mich zukommen (Pause). Es klappt aber fast immer gut. Ich habe nie das Gefühl, ein Publikum gegen mich zu haben. So ist das bei einer Lesung: Da kommt man hin, weil man den speziellen Autor hören will. Das heißt: Ich habe mir gewogene Menschen da sitzen, die mir zuhören wollen. Das ist ein Luxusleben im Vergleich zu meinem Musikerleben früher. Das Reisen ist ein kleiner Rest von Rock'n'Roll, und das Publikum hat Manieren – sehr schön.

Sie waren lange als Musiker unterwegs und traten etwa in Dieter Thomas Hecks letzter Hitparade auf. Was machen Sie lieber: ein Konzert oder eine Lesung?

Bayer: Es zieht mich nicht mehr auf die Bühne, um Konzerte zu geben. Musik mache ich nur noch heimlich für mich am Keyboard. Meine Ansprüche wären so hoch, dass jemand furchtbar viel Geld rausschmeißen müsste, damit ich noch mal auf die Bühne gehe: toller Sound, tolle Bühne, tolle Musiker, die gut bezahlt sind und in guten Hotels übernachten. Das wäre elefantös. Insofern ist es wundervoll: Bei der Lesung habe ich mein Buch in der Hand, ich habe meine Lesebrille in der Hand, und das ist mein ganzes Gepäck. Ich komme dahin, finde ein Mikrofon vor und alles ist gut. Zumal ich noch Zeit habe: Ich kann durch die Fußgängerzone laufen, mir Kirchen ansehen und Museen. Das empfinde ich als Luxus.

Info: Thommie Bayer ist am Dienstag, 4. Oktober, 19.30 Uhr, „Zu Gast auf dem Sofa“ in der Hochschul- und Kreisbi-bliothek, Von-Liebig-Straße 20. Karten gibt es für acht, ermäßigt vier Euro in der Rheinbacher Buchhandlung Kayser sowie den Hochschul- und Kreisbibliotheken in Rheinbach, Von-Liebig-Straße 20, und Sankt Augustin, Grantham-Allee 20. Das Buch „Seltene Affären“ von Thommie Bayer ist im Piper-Verlag erschienen und kostet 18 Euro.

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