Gespräch mit Rheinbacher Stadtarchivar „Karneval ist immer eine gute Brücke“

Rheinbach · Rheinbachs Stadtarchivar Dietmar Pertz äußert sich im GA-Interview zum Tag des offenen Denkmals, zur Bedeutung der Sudetendeutschen für die Stadt und zu den historischen Stadtführungen.

 Stadtarchivar Dietmar Pertz mit dem Plakat zum Tag des offenen Denkmals.

Stadtarchivar Dietmar Pertz mit dem Plakat zum Tag des offenen Denkmals.

Foto: Axel Vogel

Wie kam es zu der Idee, einen solchen Stadtrundgang anzubieten?

Dietmar Pertz: Seit den 1990er Jahren macht das Stadtarchiv mit den Burg- und Stadtführern, die im Eifelverein organisiert sind, Veranstaltungen zum „Tag des offenen Denkmals“. Das hat schon Tradition, wir versuchen gemeinsam das Thema zu bearbeiten. Und in diesem Jahr passte das Thema einfach und ich habe mir überlegt, das Jubiläumsjahr von Glasmuseum und Glasfachschule zum Anlass zu nehmen, sich auf Spurensuche in der Stadt zu begeben. Wo sind die Spuren der Stadt Rheinbach als Stadt des Glases?

Und wo wird der historische Spaziergang starten?

Pertz: Den Rundgang beginnen wir im Glasmuseum in der Sudetendeutschen Stube. Dort sind viele Bilder und Textmaterial zu sehen, die die Sudetendeutschen als Ortsgruppe der Landsmannschaft gesammelt haben. Nach der Auflösung der Gruppe gingen die Gegenstände in die Obhut der Stadt Rheinbach. Die wenigsten Bürger wissen davon. Ein Grund mehr, da vorbeizuschauen. Da hängt zum Beispiel auch ein wichtiges Dokument: Der Befehl des Militärortskommandanten aus Böhmisch-Leipa zur Ausweisung vom 14. Juni 1945. Dort wird genau beschrieben, wie die Menschen am nächsten Morgen um 5 Uhr das Land zu verlassen hatten.

Besuchen Sie auch alte Betriebsstätten?

Pertz: Ja, aber so viel ist von den alten Betrieben nicht mehr zu sehen. Wir gehen auch bei der Cristallerie Schönberg, als jüngerem, noch aktivem Betrieb vorbei und dann über den Wilhelmsplatz zur Hauptstraße. Die meisten Glasbetriebe aus der Zeit mussten mittlerweile schließen. Die Firma Palme gibt es noch, aber auch die hat sich verändert und musste sich anpassen, auch die Firma Gescha. Die Ära Fritz Berg ist ja leider Vergangenheit.

Der Schwerpunkt der Veranstaltung liegt dann sicherlich auf der Stadtgeschichte?

Pertz: Das Thema ist vor allem die Historie, wie es dazu kam, dass Rheinbach zum Standort der Glasverarbeitung wurde. Das ist auch alles nicht hundertprozentig deutlich, aber vieles lässt sich rekonstruieren. Rheinbach war nach dem Krieg zu 70 Prozent zerstört. Verpflichtend war es aber, Vertriebene aufzunehmen. Dann kam der Gedanke, warum man das nicht systematisch macht. Eine Rolle spielte Johannes Schornstein, der in Rheinbach lebte und im Wirtschaftsministerium des Landes NRW beschäftigt war. Er hat wohl den damaligen Stadtdirektor Römer darauf aufmerksam gemacht, dass Rheinbachs Nähe zu Köln und Bonn für die Ansiedlung von Industrie wie geschaffen sei. Ursprünglich sollte sich die Gablonzer Schmuckindustrie niederlassen, daraus wurde aber nichts. Dann kam die Glasveredelung ins Spiel. Das war im Interesse der Rheinbacher, die gerne ein rauchfreies Gewerbe wollten. Rheinbach wurde zwar zum Zentrum, aber auch Euskirchen und die Region sollten gestärkt werden.

Und wie wurde die Aufnahme der Vertriebenen realisiert?

Pertz: Im Gastraum der Bäckerei Mostert (heute Mauel) an der Hauptstraße, wurde eine Aufbaustelle eingerichtet. Es musste ja alles organisiert werden, denn viele Vertriebenen saßen in der Sowjetischen Besatzungszone fest und mussten irgendwie weiterkommen. Dann musste koordiniert werden, welche Betriebe für Rheinbach ausgewählt werden und wie die Menschen hier versorgt wurden. Im Café Rogall an der Hauptstraße gab es einen Mittagstisch. Die Verpflegung wurde in der Großküche der Pallottiner und von den Schwestern des Internats „Unserer lieben Frau“ gekocht.

Funktionierte das Zusammenleben in der Stadt, die ja selber unter den Kriegsfolgen litt?

Pertz: Natürlich war der Anfang schwer. Wenn es um Wohnraum ging – die Vertriebenen wurden ja zugwiesen – gab es vielleicht im Einzelnen mal Streit, aber grundsätzlich lief es gut. Der Aufnahmewille und die Bereitschaft, sich zusammenzufinden, war da – und zwar von beiden Seiten. Die Sudetendeutschen haben sich nicht als fremde Gruppe gesehen. Auch die Stadtverwaltung und die Bevölkerung haben sich bemüht, es war ja auch eine bewusste Ansiedlung. Zudem war man sich charakterlich ähnlich. Die Sudetendeutschen feierten auch Karneval, das ist immer eine gute Brücke.

Wie nachhaltig war der wirtschaftliche Aufschwung, zu dem die Ansiedlung der Glasindustrie der Stadt Rheinbach verholfen hat?

Pertz: Die Zeit der Währungsreform war schwierig, aber danach boomte es. Rheinbach profitierte davon, Vorort der Bundeshauptstadt Bonn zu sein. Wenn man in die Auftragsbücher der Firmen guckt, sieht man, wie viel hochwertiges Glas zu der Zeit hier graviert und veredelt worden ist. Die kaufkräftige Kundschaft saß in Bonn. Aufträge kamen von der Bundeswehr, den Diplomaten und vom Außenministerium. Die Bonner Prominenz hat sich die Klinke in die Hand gegeben. Es gab Besichtigungen, man hat Andenken und Geschenke gekauft und das Glasmuseum besucht. Sätestens nach dem Wechsel von Bonn nach Berlin ist das abgebrochen. Heute ist es schwierig, denn Glas hat nicht mehr den Stellenwert und wird nicht mehr so wertgeschätzt.

Und welche Spuren suchen Sie bei Ihrem Stadtrundgang noch?

Pertz: Wir schauen in der Pfarrkirche vorbei, erläutern die besondere Geschichte, die es mit den Kristallleuchtern und der Christusfigur „Christus in der Rast“ auf sich hat. Und dann geht es natürlich auch zum geschichtsträchtigen Gebäude am Voigtstor 23 (heute Imbiss „Ali Baba“), in dem sich nicht nur das Bürgermeisteramt befand, sondern auch die Glasfachschule und das Glasmuseum.

Die Stadtspaziergänge beginnen am Sonntag, 9. September, um 11 und um 15 Uhr. Treffpunkt ist am Glasmuseum Rheinbach, Himmeroder Wall.

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