Interview mit Wolfgang Albers "Das ist kein Meckenheimer Problem"

BONN · Steine fliegen auf Busse und Bahnen, Müllcontainer brennen, Gewalt, Diebstähle und Einbrüche verängstigen die Bürger, die Meckenheimer Sporthalle geht in Flammen auf. Mit dem Bonner Polizeipräsident Wolfgang Albers sprachen über Hintergründe und Folgen von Jugendkriminalität Dagmar Blesel und Wolfgang Kaes.

Wolfgang Albers: "Wir bleiben aufmerksam."

Wolfgang Albers: "Wir bleiben aufmerksam."

Foto: Max Malsch

Wie sicher lebt es sich derzeit in Meckenheim?
Wolfgang Albers: Rein statistisch lebt es sich dort sehr gut - jedenfalls besser als im Schnitt der gesamten Kreispolizeibehörde Bonn. Dort registrieren wir jährlich knapp 9 000 Straftaten pro 100 000 Einwohner. In der Stadt Bonn liegt der Schnitt bei mehr als 11 000, in Meckenheim bei knapp 6 000 Straftaten pro 100 000 Einwohner. Das ist objektiv wenig, aber die Menschen empfinden die Situation in Meckenheim zurzeit als bedrohlich, und die Verunsicherung kann ich gut nachempfinden.

Können Sie in Meckenheim eine Tendenz erkennen?
Albers: In der Tat registrieren wir dort eine ansteigende Kriminalitätsrate. Das gilt für Gewalt-, Straßen- und Einbruchskriminalität, weniger aber für Raub. Wir bleiben aufmerksam und reagieren darauf.

Im Tannenbusch gab und gibt es Sondereinsätze zur Bekämpfung der Kriminalität.
Albers: Wir haben das wegen der Situation ganz bewusst in Tannenbusch gemacht. Etwas Ähnliches gab es auch mal in Bad Godesberg. Diese Konzeption verfolgen wir immer an den Orten, wo die Kriminalitätsentwicklung und/oder das Sicherheitsempfinden der Menschen es erfordern. Wir gehen mit Präsenz rein, um der Klientel zu signalisieren, wir sind da, aber auch um den Bürgern zu zeigen: Die Polizei sorgt für Sicherheit.

Und in Meckenheim?
Albers: Wir haben in Meckenheim bereits mit Kontrollen und Aktionen auch zusammen mit dem Regionalverkehr Köln zusätzliche Präsenz gezeigt; zum Beispiel nach den Steinwürfen auf Busse, und wir machen dies auch weiterhin. Neu-Tannenbusch hat aber eine völlig andere Dimension - sowohl von der Kriminalitätslage als auch vom Potenzial.

Warum ist die Wache Meckenheim nachts nicht besetzt?
Albers: Wir hatten die Öffnungszeiten zuletzt ausgeweitet, jedoch festgestellt: Nachts kommt niemand auf die Wache. Das wissen wir aus Erfahrung. Zudem sollten die Bürger bedenken, dass Personal, das auf der Wache sitzt, nicht auf der Straße sein kann.

Die Bürger beklagen, dass in Meckenheim nur uniformierte Streifen statt ziviler Einsatzkräfte unterwegs sind.
Albers: Wir haben regelmäßig Zivilstreifen in Meckenheim im Einsatz. Dass diese offenbar nicht erkannt werden, spricht für deren Arbeit.

Welche Ursachen sehen Sie für die Entwicklung in Meckenheim?
Albers: Die Brandstiftung in der Sporthalle und die Steinwürfe auf Busse sind besondere Delikte. Sie spiegeln nicht die Gesamtsituation in Meckenheim wider. Das Problem ist, dass wir mehrere soziale Brennpunkte in unserer Behörde haben. In einigen wenigen Wohnblocks vor allem in Meckenheim-Süd ist eine Infrastruktur vorhanden, in der viele Kinder aus problematischen Familien heranwachsen: Migrationshintergrund, relativ schlechte Berufsaussichten, schwierige soziale Einbindung. Wo sich dies ballt, haben wir überall Probleme. Das ist kein Meckenheimer Problem, das ist kein Bonner Problem, das ist ein bundesweites Problem. Das sind Entwicklungen, die haben sich bereits in den 70er Jahren auch durch die Bauplanungen ergeben.

Was kann die Polizei tun?
Albers: Die Polizei kann präsent sein und die Kriminalität verfolgen, aber die Strukturprobleme wird sie nie lösen können. Ich habe mit Bürgermeister Bert Spilles besprochen, in Meckenheim einen kriminalpräventiven Rat zu initiieren. Ich halte das auch langfristig für den richtigen Weg. Meine Idealvorstellung wäre es, die Stadt, die Polizei, den Verkehrsverbund und nicht zuletzt die Wohnungsgesellschaften an einen Tisch zu bekommen, zu analysieren, was los ist im Viertel, und darüber nachzudenken, welche Lösungen möglich sind.

Mit welchen Tätern haben Sie es heute zu tun?
Albers: Es gibt einerseits Intensivtäter, gegen die wir mit einer eigenen Ermittlungsgruppe personenbezogen vorgehen. Das ist eine relativ kleine Gruppe, die aber eine große Zahl von Straftaten begeht, teilweise schon in sehr jungem Alter. Ferner gibt es die sogenannte Episodenkriminalität. Die hat es immer schon gegeben, und sie entwickelt sich auch nicht besorgniserregend.

Was ist denn Episodenkriminalität?
Albers: Man begeht einen Ladendiebstahl, vielleicht auch zwei. Dann wird man erwischt, lernt daraus und macht es nie wieder. Dafür gibt es das "Projekt Gelbe Karte" von Staatsanwaltschaft, Polizei, Jugendämtern und Gerichtshilfe. Strafverfahren werden außergerichtlich verhandelt. Den Tätern wird klar gemacht, dass sie ein Delikt begangen haben, für das es die Gelbe Karte gibt. Das heißt, sie bekommen Sozialstunden aufgebrummt mit Auflagen, zum Beispiel ein Anti-Gewalt-Training zu besuchen. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren daraufhin ein. Das Projekt ist erfolgreich. Wir haben eine Rückfallquote von nur 15 Prozent. Die Gelbe Karte gilt aber nur für die Episodenkriminalität, nicht für Intensivtäter. Die bedürfen der Sanktion durch die Strafgerichte.

Die beiden mutmaßlichen Brandstifter von Meckenheim gehören aber nicht zu den Episodentätern, sondern zur Gruppe der Intensivtäter?
Albers: Das sind eindeutig keine Episodentäter.

Wie zündet man eine Turnmatte an? Da genügt doch kein Streichholz, oder?
Albers: Das wird die Öffentlichkeit wohl im Strafprozess erfahren.

Wird auch gegen den Vater, der versucht hat, seinen in Meckenheim festgenommenen Sohn zu befreien, ermittelt?
Albers: Ja. Wegen Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Wie viele Intensiväter stehen insgesamt in den Akten der Ermittlungskommission?
Albers: Das sind rund 50.

Die Bonner Polizei verstärkt ihre Präsenz an Brennpunkten. Personell können Sie das heute leisten. Morgen auch noch?
Albers: Wir haben einen gewissen Personalstand, und damit hat die Polizei ihre Aufgaben zu erfüllen. Wir bilden immer mal wieder Schwerpunkte, so in Bad Godesberg, Tannenbusch oder im Bonner Loch. Aber dass wir nicht aus dem Vollen schöpfen, ist kein Geheimnis.

Haben Sie zu wenig Personal?
Albers: Ich habe so viel, wie ich habe.

Hätten Sie gerne mehr?
Albers: Unbestritten ja, aber mit diesem Wunsch bin ich nicht allein. Auch der Innenminister hätte mit Sicherheit gern mehr Personal. Ich sage aber, wir setzen die richtigen Schwerpunkte. Das müssen wir auch tun, denn wenn man überall alles will, macht man nichts.

Steht die Polizei nicht letztlich am Ende einer Kette von Fehlentwicklungen?
Albers: Am Ende der Kette unseres Handelns steht oftmals, dass wir kriminelle Karrieren jugendlicher Intensivtäter nur noch mit einer Ermittlungskommission stoppen können. Wir setzen aber schon in der Schule mit Präventionsarbeit an, initiieren und beteiligen uns an Netzwerken, Ordnungspartnerschaften, Sicherheitskonferenzen und kriminalpräventiven Räten.

Gelbe KarteDas Verfahren "Gelbe Karte" wirkt wie eine kleine Gerichtsverhandlung und beeindruckt durch die "Staatsmacht", die vom Delinquenten wissen will, wie er sich seine Zukunft vorstellt. Das Ziel, so die Polizei, sei in der Regel schon erreicht, wenn der Jugendliche beginnt, über die eigene Persönlichkeit nachzudenken. So wie eine 15-Jährige aus dem Vorgebirge, die beim Ladendiebstahl aufgefallen war. Im Gelbe-Karte-Verfahren bekam sie 15 Sozialstunden aufgebrummt. Sie zeigte sich einsichtig und reuig. Die 15-Jährige absolvierte die Sozialstunden; der Fall wurde im Elternhaus aufbereitet. Prognose: Das Mädchen wird nicht wieder in Erscheinung treten. Die Gelbe Karte hat ihr Ziel erreicht. Polizeipräsident Wolfgang Albers: "Das Verfahren als Vorfilterfunktion und Tool im Jugendstrafverfahren ist unbedingt notwendig und nicht wegzudenken."Wir leisten da einen entscheidenden Beitrag, um die Jugendkriminalität in den Griff zu bekommen. Es geht aber um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Es gibt Familien, die sind regelrecht zerfallen. Das Ergebnis: Die Kinder gehen nicht mehr zur Schule, die Jugendlichen haben keine Perspektive und versuchen deshalb, sich in anderen Bereichen zu profilieren - in der Kriminalität. Da sind sie zu unserem Leidwesen teilweise ausgesprochen erfolgreich.

Ist der Polizist jetzt auch noch Ersatz-Erzieher?
Albers: Wir sind sicherlich keine Sozialarbeiter, dennoch ist das Bild ist nicht ganz falsch. Unsere Bezirksdienstbeamten oder auch die Jugendkontaktbeamten in Tannenbusch sitzen regelmäßig bei den Eltern und versuchen denen klar zu machen, was ihre Kinder so treiben.

Was wünschen Sie sich von der Politik?
Albers: Ich wünsche mir, dass in die Jugend investiert wird, dass wir den Jugendlichen Perspektiven aufzeigen können, um so den Schritt in die Kriminalität zu verhindern. Das, was später an Kriminalität da ist, das ist polizeiliche Aufgabe, und die erledigen wir auch. Mir macht vielmehr Sorge, dass Jugendliche überhaupt erst auf den kriminellen Weg geraten, weil sie keine Perspektiven sehen. Ich wünsche mir nicht nur von der Politik, sondern von der gesamten Gesellschaft mehr Sinn für Verantwortung.

Zur Person

Wolfgang Albers (52) ist seit 2002 Polizeipräsident in Bonn. An der hiesigen Uni studierte er Rechtswissenschaften. 1988 ging er zur Bezirksregierung Köln. 1991 wechselte Albers ins NRW-Innenministerium, war dort Persönlicher Referent im Ministerbüro und leitete es ab 1994, bis er 1997 als Chef der Abteilung Kommunales zur Bezirksregierung nach Düsseldorf ging. Albers ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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