50 Jahre Merler Geschichte Als die Meckenheimer die Autobahn blockierten

MECKENHEIM-ALTENDORF · Die Bewohner des Stadtteils Merl seien unabhängig wie die Ostfriesen, sagt Jörg Köpke. Er hat die Ausstellung „50 Jahre bauen und leben in Merl“ mit konzipiert, die am Sonntag im Herrenhaus Burg Altendorf eröffnet wird.

Ein schlichtes Stück Holz an einer Schnur, beschriftet mit einem Filzstift: Der „Merler Keil“ sticht hervor zwischen den übrigen Karnevalsorden, die in bunter Pracht die Vitrine füllen. Zu Merl passt das. Denn die Ausstellung „50 Jahre bauen und leben in Merl“, die an diesem Sonntag in der Begegnungsstätte Herrenhaus Burg Altendorf eröffnet wird, zeigt vor allem, dass die Menschen in diesem Meckenheimer Stadtteil ihren eigenen Kopf haben – und den auch gerne durchsetzen.

„Die Merler sind unabhängig wie die Ostfriesen“, meint Jörg Köpke und schmunzelt. Er hat gemeinsam mit Hans Frank für den Verein Meckenheimer Stadtmuseum und Kulturforum die kleine Sammlung über die Geschichte Merls zusammengestellt. In einem eigenen Raum im Herrenhaus konzentrieren sich sieben Tafeln vor allem auf die vergangenen fünf Jahrzehnte. Wobei die erste Erkenntnis ist: Echte Merler sind meist Zugezogene.

Meckenheim sollte bis zu 40.000 Bewohner haben

Meckenheim und Umgebung sollten in den 60er Jahren vor allem den vielen Mitarbeitern der Bonner Ministerien Wohnraum bieten, von bis zu 40 000 Bewohnern ging man damals als Zielgröße aus. Welche Flächen vorrangig bebaut werden sollten, regelte dabei ein Gutachten über die landwirtschaftliche Nutzbarkeit der Böden.

Der gute Lössboden, der heute im „Grünen Ei“ noch immer unbebaut ist, sollte erhalten bleiben, erzählt der Vorsitzende des Vereins Stadtmuseum, Dieter Ohm. Alles begann daher mit dem Baugebiet „Lehmwiese“. Dort zogen 1968 die ersten Familien ein. Merl vergrößerte sich von diesem Zeitpunkt an rasant. 382 Einwohner hatte der Ort 1965 – zehn Jahre später waren es 2763, im Jahr 1985 sogar 5261.

Reihen- und Doppelhäuser statt Wohnblocks

Die Entwicklung der Infrastruktur Merls musste damit erst einmal Schritt halten. Was auch bedeutete, einige Planungen früh über Bord zu werfen. Ursprünglich sollten 70 Prozent des Wohnraumes in hohen und massiven Mehrfamilienhäusern entstehen, wie sie am Steinbüchel zu sehen sind. Aber das gefiel den Bauherren nicht. Schon 1974 schwenkte man um auf Reihen- und Doppelhäuser – eine teils sehr verwinkelte Siedlungsstruktur, die heute das Ortsbild prägt. Außerdem korrigierte man die erwartete Bewohnerzahl für Meckenheim nach unten. Jetzt sollten es noch rund 25 000 Bürger sein.

Gebraucht wurde natürlich auch eine passgenaue Infrastruktur, selbst wenn das zu Beginn nicht allen offensichtlich schien. „Sogar der Friedhof war zu klein“, sagt Ohm. 1968 wurde beispielsweise die Volksschule vor Ort geschlossen, eine neue Grundschule galt als nicht lebensfähig – zu wenig Kinder. Die zahlreichen Familien, die gerade gekommen waren, sahen das anders. Und zeigten den bis heute typischen Merler Widerstandsgeist. Kurzerhand sperrten sie mit einer Sitzblockade die – damals noch nicht so dicht befahrene – Autobahn 565. Sie erreichten ihr Ziel: Die Grundschule kam. Unterdessen gibt es zwei in Merl, und beide sind gut besucht.

Ehrenbürgerin Erika Meyer zu Drewer protestierte mit

Ein Foto vom Protest hängt in der Ausstellung. Mit dabei war übrigens die noch junge Erika Meyer zu Drewer. Die langjährige Ortsvorsteherin ist unterdessen zum Dank für ihre vielen ehrenamtlichen Einsätze Meckenheimer Ehrenbürgerin geworden. Ihr Archiv und ihr Wissen durften Frank und Köpke als Quelle für die Ausstellung nutzen. Eine weitere wichtige Quelle ist ein Film der Merler Dorfgemeinschaft, in dem der ehemalige Lehrer Christian Hubert über die Ortsgeschichte plaudert. Dieser Film läuft in der Ausstellung in Dauerschleife, zwei bequeme Stühle laden dazu ein, sich die Anekdoten aus Merl anzuhören.

Wie die Sache mit der kommunalen Neuordnung 1969, bei der Merl seine Unabhängigkeit verlor. Der Merler Gemeinderat beschloss damals, die Ersparnisse des Ortes nicht an Meckenheim gehen zu lassen. So erhielt jeder Merler einen Gutschein über zehn Mark, einzulösen auf der Kirmes des Ortes. Die Zeitungsberichte dazu können besichtigt werden.

Ein Umbruch stand Merl bevor, als 1999 die Bundesregierung nach Berlin zog. „Am Anfang waren die Befürchtungen groß“, erinnert sich Frank an diese Zeit. Aber die Merler verlassen ihr Heim nicht, nur weil eine Regierung geht. Was auch der damalige Innenminister Otto Schily erleben musste, als er einen Umzug des Bundeskriminalamtes von Merl nach Wiesbaden in Erwägung zog. Die Meckenheimer intervenierten, Schily führte Gespräche in der Stadt – das BKA blieb.

Wer nach Berlin versetzt wurde, kam zumindest übers Wochenende nach Hause. Die meisten Familien behielten ihre Häuser. Rückblickend betont Ohm: „Es gab kaum Leerstände.“ Die gab es dagegen zunehmend in der Heroldpassage. Bis heute. Ob beim Thema Nahversorgung oder auch bei der ungeliebten Bebauung des Merler Keils, immer noch setzen Bürgerinitiativen ihre Akzente. Sie sind aktiv, die Merler, egal wann sie hergezogen sind. Köpke, selbst kein Ureinwohner, fasst es so zusammen: „Inzwischen sind wir alle Merler.“

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