Türkei: Von Semi-Demokratie zur Präsidial-Autokratie Podiumsdiskussion der Grünen in Bornheim

Bornheim · Die aktuelle politische Situation am Bosporus war Thema der Podiumsdiskussion in Bornheim. Dazu eingeladen hatten die Grünen-Ortsverbände aus Bornheim, Alfter und Bonn.

 Diskussion zur Lage in der Türkei: (v. l.) Martin Metz, Wilhelm Windhuis, Cahit Basar, Mahir Tokath, Dirk Reder in Bornheim.

Diskussion zur Lage in der Türkei: (v. l.) Martin Metz, Wilhelm Windhuis, Cahit Basar, Mahir Tokath, Dirk Reder in Bornheim.

Foto: Susanne Träupmann

Die Türkei ist quasi eine Diktatur. Zu dem Ergebnis kam die Diskussionsrunde am Mittwoch im Bornheimer Rathaus. „Wohin steuert Erdogan? Die Türkei nach dem Referendum“ war das Thema des Abends, zu dem die Grünen-Ortsverbände aus Bornheim, Alfter und Bonn eingeladen hatten. Es war die zweite Veranstaltung einer Reihe zu aktuellen politischen Anlässen, die die Grünen im vergangenen Jahr mit einer Diskussion zur AfD begonnen hatten. Die Resonanz war diesmal wesentlich geringer als erhofft.

Dass die türkische Politik vielschichtig ist und wegen der 3,5 Millionen Türkeistämmigen in Deutschland auch für hiesige Politiker bedeutsam ist, verdeutlichten ihren Zuhörern gleich zu Anfang die Referenten Mahir Tokath, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bonner Institut für Politische Wissenschaften, sowie Cahit Basar, Generalsekretär der Kurdischen Gemeinde Deutschland.

„Die Türkei betrifft uns durch die Vielzahl der Menschen, die von dort als Gastarbeiter oder als Flüchtlinge, Oppositionelle und als verfolgte Minderheiten emigriert sind, zum anderen durch die Türkei-Mitgliedschaft in der Nato und die Mitgliedsverhandlungen mit der Europäischen Union“, erklärte Basar. Zur besseren Einordnung der politischen Verhältnisse des Landes am Bosporus erläuterten die Referenten die historische Entwicklung von der engen Partnerschaft mit Deutschland seit rund 100 Jahren sowie die Bedeutungen von Kemalismus und Militär und die Funktion der Demokratie.

Die Türkei - Eine "Demokratie mit Defekten"

So bezeichnete Tokath, der zum Thema „Präsidentialismus à la Turk“ seine Dissertation schreibt, das politische System der Türkei als „eine Demokratie mit Defekten“. Das Referendum vom 16. April habe die Semi-Demokratie in eine Autokratie überführt, urteilte der 33-Jährige. Denn nach dem Referendum, das Erdogan knapp gewonnen hat, gebe es keine unabhängigen Verfassungsorgane mehr.

„Es wird ein Präsidialsystem nach dem Vorbild Aserbaidschans sein, in dem der Präsident seine Familie überall in wichtigen Positionen unterbringt“, kritisierte Tokath. Dass zwischen 300 000 und 400 000 (rund 60 Prozent) der Türken in Deutschland beim Referendum für Erdogan gestimmt haben, sei das Resultat der einflussreichen türkischen Organisationen wie etwa die Ditib, die als verlängerter Arm Erdogans „daran arbeiten, die Türkeistämmigen aus der Integration herauszuführen“, betonte Tokath.

Sorge bereitet ihm und Basar die Zustimmung Jugendlicher der dritten und vierten Generation für Erdogan. „Viele sind wählen gegangen, weil sie sich von der deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht ihr Türkentum nehmen lassen wollen. Bei mir fallen die Schüler auf, die in die Moschee gehen“, hat Basar, Gymnasiallehrer in Köln-Porz, in seinem Unterricht festgestellt.

Erdogans Politik

Dass Erdogans Einfluss weit reicht, hat er selbst gemerkt. So erhielt er 2007 eine Aufforderung des türkischen Generalkonsulats, Schulbücher, deren Verfasser und Verlage zu nennen, die die Türkei kritisch beleuchteten. „Da sollte ich als Beamter zum Spitzeldienst rekrutiert werden“, so der 50-Jährige.

Klar wurde in der Diskussion, dass Erdogans Machtstreben in Kombination mit einer Islamisierung der Gesellschaft seit den 90er Jahren zu beobachten sei. Für Basar und Tokath spricht vieles dafür, dass Erdogan mit seiner Politik ans Osmanische Reich anknüpfen wolle. „Er will sich als führende Macht im Nahen Osten etablieren. Der Nato-Partner Türkei ist in drei, bald in vier Staaten, militärisch aktiv“, wies Tokath auf die Gefahren hin.

Schon im Vorfeld der Veranstaltung – darauf machte der Bornheimer Grünen-Geschäftsführer Markus Hochgartz aufmerksam –, waren böse Kommentare auf Facebook erschienen, die die Veranstaltung mit Türkei-Kritikern als falsch bezeichneten. „Das Thema Türkei brennt uns auf den Nägeln. Deshalb soll im Herbst eine ähnliche Veranstaltung wiederholt werden“, sagte Dirk Reder von den Bornheimer Grünen.

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