Soziales Engagement in Bornheim Mit „Hannes“ den Alltag meistern

Bornheim · Das Secondhand-Kaufhaus am Peter-Fryns-Platz bietet psychisch Erkrankten eine tägliche Aufgabe. Durch die Arbeit dort können sie ihre Leistungsfähigkeit erproben und nach und nach steigern.

Arbeiten im Hannes: Peter Müller (m) und Melanie Rieger (r) unter der Obhut von Angelika Wester

Arbeiten im Hannes: Peter Müller (m) und Melanie Rieger (r) unter der Obhut von Angelika Wester

Foto: Axel Vogel

Im Buchclub ist Peter Müller (Name geändert) in seinem Element. In der ersten Etage des Secondhand-Kaufhauses „Hannes“ am Bornheimer Peter-Fryns-Platz sitzt er an seinem Schreibtisch und prüft gespendete Bücher auf ihren Zustand, bevor er sie ins Lager einsortiert oder einzelne Bände in den Verkauf gibt. Wenn Not am Mann ist, hilft der 50-Jährige auch schon mal an der Kasse im Laden aus. Doch der direkte Kontakt zu den Kunden bereitet dem gelernten Chemisch-Technischen Assistenten Stress.

„Im Buchclub bin ich viel entspannter“, berichtet Müller, der unter Depressionen und paranoider Schizophrenie leidet und nach mehreren Klinikaufenthalten sowie Stationen in Wohnheimen und betreuten Wohnformen nun allein in Wesseling lebt. Einer regelmäßigen Tätigkeit nachzugehen und seinen Alltag ohne Unterstützung zu meistern – dies wäre für Peter Müller vor einigen Jahren noch unmöglich gewesen. Immer noch gibt es Tage, an denen es ihm schlecht geht und er seine Wohnung nicht verlassen kann. Doch das Gefühl im „Hannes“ gebraucht zu werden und eine sinnvolle Aufgabe zu haben, gibt ihm Antrieb.

Wie viel er leisten kann, bestimmt er in Absprache mit Angelika Wester, die das tagestrukturelle Projekt in der Trägerschaft der Malteser-Johanniter-Johanneshaus gemeinnützige GmbH seit 2008 leitet, selbst. „Im Moment komme ich an vier Tagen pro Woche hierher“, berichtet Müller. Er ist einer von insgesamt 20 „Klienten“, die im Secondhand-Kaufhaus mit integriertem Café einer Beschäftigung nachgehen.

Ziel der Einrichtung ist es, Menschen mit Psychosen, Persönlichkeitsstörungen, Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen einen geregelten Tagesablauf zu ermöglichen. Das arbeitstherapeutische Training dient der Erprobung und Steigerung der Leistungsfähigkeit.

„Wir bieten mit unseren sehr flexiblen Arbeitsfeldern und Beschäftigungszeiten eine Alternative zu Werkstätten und Tagesstätten“, erklärt Angelika Wester das Konzept.

Die Malteser-Johanniter-Johanneshaus gGmbH unterstützt „Hannes“ sowohl ideell als auch finanziell, denn selbst tragen kann sich die Einrichtung durch den Verkauf der gebrauchten Waren freilich nicht. Schon oft musste sie um ihren Fortbestand bangen.

Viele „Hannes“-Kunden kennen den Hintergrund der Initiative nicht. Sie fühlen sich einfach wohl in dem liebevoll dekorierten Verkaufsraum mit der urigen Ladentheke und stöbern gerne nach außergewöhnlichen Kleidungsstücken, Accessoires und Schmuck. Auch Porzellan, Dekoartikel sowie Bücher können im „Hannes“ erstanden werden – und eine gemütliche Sitzecke lädt bei einer Tasse Cappuccino zum Verweilen ein.

Die Einsatzfelder der Klienten reichen vom Service über Lageristik und Warenwirtschaft bis hin zu Verwaltungstätigkeiten. Viel Wert wird auf die individuelle Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen gelegt – was die Erstellung eines Wocheneinsatzplans nicht gerade einfach macht.

„Was wir hier lernen, nehmen die Klienten auch mit ins Privatleben“

„Jeder Tag ist eine logistische Herausforderung“, erklärt Heilpädagogin Angelika Wester, die von Ergotherapeutin Daniela Polhaus als zweite hauptamtliche Kraft sowie drei ehrenamtlichen Helfern unterstützt wird.

„Klienten, die ihren Dienst aus welchem Grund auch immer nicht antreten können, müssen absagen“, erläutert Angelika Wester eine der Grundregeln des „Hannes“.

Was selbstverständlich klingt, bereitet beispielsweise Menschen mit sozialen Ängsten große Schwierigkeiten. Auch ein freundliches „Guten Morgen“ oder „Kann ich Ihnen helfen?“, wird quasi nebenbei geübt. Was noch nicht so gut klappt, wird angesprochen. „Wir sind sehr klar mit unseren Klienten“, meint die Leiterin des „Hannes“. Etwa alle sechs bis acht Wochen werden Zielvereinbarungsgespräche geführt.

„Was wir hier lernen und besprechen, nehmen die Klienten auch mit ins Privatleben“, ist Angelika Wester überzeugt. Dies kann Melanie Rieger nur bestätigen. Die 35-Jährige leidet an Epilepsie und einer Borderline-Erkrankung. Nach einer mehrjährigen Pause ist sie seit Oktober 2015 wieder drei Tage pro Woche im „Hannes“ tätig. „Ich habe mich immer schnell angegriffen gefühlt, habe in jedem Satz eine Kritik gewittert. Das war für mich und mein Umfeld sehr anstrengend“, erzählt die junge Frau. Entsprechend schwer viel es ihr, auf Menschen zuzugehen und ihre Impulse zu kontrollieren. Dank der Übung im „Hannes“ gelingt ihr dies inzwischen sehr gut.

An Willensstärke mangelte es Melanie Rieger hingegen nie. Aus eigenem Antrieb verließ sie vor einigen Jahren nach einem Klinikaufenthalt ein Wohnheim, und suchte sich ihre eigenen vier Wände. Bald steht ein weiterer Umzug an. Denn im Dezember will sie ihren Freund heiraten. Ihr Ziel ist es, irgendwann wieder ins „normale“ Berufsleben einzusteigen. „Ich bin niemand, der gerne auf der faulen Haut sitzt.“

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